Gastbeitrag:
Zwölf Gebote für Digitalagenturen
André Roitzsch, Chef des E-Commerce-Spezialisten Shopmacher, beschäftigt sich seit Langem mit der digitalen Transformation. Er stellt fest: Digitalagenturen sind längst nicht so weit, wie sie sollten.
Die Digitalisierung der Wirtschaft ist in aller Munde. In praktisch jeder Branche wird diskutiert, wie man den Herausforderungen der digitalen Transformation am besten begegnen kann. Nur in einer nicht – in der Digitalbranche. Die diskutiert zwar die digitale Transformation – aber nur für andere, nicht für sich selbst. Offenbar gehen die Digitalen davon aus, dass es hier keines Transformationsprozesses bedarf.
Ist ja klar: Man ist schließlich quasi "digital native". Ein gefährlicher Fehler! Denn viele Digitalagenturen basieren auf Strukturen der vor-digitalen Zeit und erfüllen selbst nicht, was sie ihren Kunden predigen. Und am Ende scheitern Projekte und Kundenbeziehungen. Nur weil eine Agentur digitale Dienstleistung anbietet, ist sie noch lange nicht digital im Sinne der digitalen Transformation.
Denn die ist vor allem ein Mindshift in der Art, wie sich Organisationen den Herausforderungen der digital beschleunigten Märkte stellen. Mit IT hat das nur am Rande zu tun.
Im Laufe meiner Biografie habe ich verschiedene Digitalagenturen kennen gelernt, die im Kern wie traditionelle Unternehmen denken, organisiert sind und handeln. Agenturen – auch wenn sie wissen, wie die Produktion digitaler Medien funktioniert – müssen sich aber unter dem Einfluss der digitalen Revolution verändern, sich digital transformieren, um langfristig in der beschleunigten digitalen Wirtschaft bestehen zu können.
Dabei haben sich folgende Schritte als hilfreich bewährt.
Nach innen gerichtet:
1. Schaffe das Organigramm ab – Hierarchien waren gut geeignet, um das preußische Militär zu organisieren. Hochspezialisierte Fachkräfte brauchen Orientierung, aber nicht jemanden, der ihnen sagt, wie sie ihren Job machen sollen.
2. Großer Zampano, gib auf – Es gibt nicht den einen, der weiß, wie es läuft, was die Kunden wollen und wie man es herstellt. Unterschiedliche Experten wissen unterschiedliche Dinge besser. Nutze das!
3. Vergiss Work-Life-Balance – Denn es zementiert die Schere zwischen Work und Life. Das ist nicht das Modell der Generationen Y oder Z.
4. Finde einen gemeinsamen Sinn für die Organisation – Warum kommen wir jeden morgen zusammen? Um Geld zu verdienen? Um tolle Websites zu bauen? Oder gibt es da noch mehr? Wer mit seinem täglichen Tun einen Sinn verbindet, braucht keine externe Motivation.
5. Die organisatorische Trennung nach den Disziplinen Beratung, Kreation, Umsetzung hat sich erledigt – das ist Taylorismus! Gerade bei größeren Projekten: Wenn das, was die Beratung entwickelt hat, in der Umsetzung ist, ist es doch heute schon wieder veraltet.
6. Flexible Köpfe brauchen flexible Arbeitsmodelle – Wer nur Old-School-Arbeitsmodelle bietet, bekommt auch nur Old-School-Personal. Home Office, wenn die Telekom mal kommt, ist weit verbreitet. Aber bei dezentralen, regional unabhängigen Modellen, 28-Stunden-Woche, Vertrauens-Arbeitszeit tun sich viele Agenturen noch schwer. Was bezahlen wir? Arbeitszeit oder Ergebnisse? Was bezahlen unsere Kunden?
Nach außen gerichtet:
1. Halte Projekte so klein wie möglich – Große Projekte scheitern zu oft. Qualitativ und kaufmännisch. Jeder weiß das. Und doch frisst die Gier oft das Hirn.
2. Akquiriere Bestandskunden – immer wieder jeden Tag neu. Sie gieren danach, sie müssen sich weiterentwickeln. Denn sie stehen vor derselben Herausforderung. Sie werden es dir danken. Und auch gerne dafür zahlen.
3. Verkaufe nicht Projekte, verkaufe Ressourcen – Entwicklungsressourcen sind ein sehr kostbares Gut. Kluge Kunden wollen sich Ressourcen sichern. Unkluge Kunden werden nicht überleben.
4. Arbeite rekursiv – Projekte haben ein Ende, Kunden nicht. Die Entwicklungen im Bereich IT auch nicht. Sorge dafür, dass die Wunschliste deiner Kunden immer lang ist, dann werden sie auch weiter Ressourcen von dir benötigen.
5. Neukunden sind Wachstumsprojekte – wer bei Vollauslastung mit Bestandskunden einen Neukunden annimmt, ohne zu wachsen, kann nur scheitern. Auch wenn es schmerzt: Wenn ich keine Ressourcen bekomme, kann ich besser auf einen Job verzichten, als einen schlechten Job zu machen.
6. Tue alles für den Erfolg deines Kunden – Denn erfolgreiche Kunden beauftragen dich weiter. Der Kunde ist nicht König, sein Erfolg ist König.
André Roitzsch, 44, ist seit März 2016 CEO des E-Commerce-Spezialisten Shopmacher aus Gescher im Münsterland. In den vergangenen 18 Monaten hat er den ehemaligen Shop-Serienfertiger zu einem Dienstleistungsunternehmen umgebaut, dessen Schwerpunkt auf der kontinuierlichen Weiterentwicklung von E-Commerce-Plattformen liegt. Der studierte Kommunikationswissenschaftler beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Organisation digitaler Dienstleistung. Zuletzt war er Managing Director bei der UDG United Digital Group in Düsseldorf und baute bei der Full-Service Webagentur Move:elevator in Oberhausen das Geschäftsfeld Digital Business mit auf.