Zeitung der Zukunft: "Man muss sich Nischen suchen"
Digitale Produkte, Briefpost und Druckmaschinen im Dauerbetrieb: Wolfgang Poppen, Geschäftsführer der "Badischen Zeitung", stemmt sich mit neuen Geschäftsmodellen gegen die Zeitungskrise. W&V-Autor Reinold Rehberger hat mit dem Verlagschef aus Freiburg gesprochen.
E-Paper oder Apps könnten vielleicht bald für neue Abo-Erlöse sorgen - und damit zu einer Trendwende in der arg gebeutelten deutschen Zeitungslandschaft führen. Das hofft Wolfgang Poppen, der Geschäftsführer der "Badischen Zeitung" in Freiburg. Im Interview mit W&V Online macht der 54-jährige Poppen klar: „Es kann einfach nicht sein, dass guter Journalismus auf ewig 'kostenlos‘ ist.“
Herr Poppen, wird mit den traditionellen Zeitungslesern irgendwann auch deren Medium verschwinden, wie Kulturpessimisten behaupten?
Das glaube ich nicht. Bei uns werden Verlag und Druckerei jährlich von über 6.000 Schülern besucht. Sie kommen, um sich zu informieren, aber auch um selbst Hand anzulegen, um die Medien buchstäblich zu begreifen. Und da können wir nicht nur die Begeisterung sehen, mit denen die jungen Menschen darauf reagieren, wenn sie z.B. einen Schülerpresseausweis bekommen, sondern auch, dass sie sich fast alle nur für das Arbeiten mit der Print-Zeitung entscheiden. Sie sind ganz offensichtlich der Meinung, dass das Gedruckte glaubwürdiger ist als das was im Netz steht.
Zur Realität gehören aber auch bestimmte Trends und Fakten…
…klar, Online ist gewaltig auf dem Vormarsch. In unserem Fall bedeutet das Rückgänge bei den Abonnenten – wenn auch zum Glück sehr geringe – sowie ein ziemlicher Einbruch beim Anzeigenumsatz, der im Moment aber wieder stark angezogen hat.
Mit welchen Rezepten wollen Sie gegen diese Entwicklung angehen?
Für uns kann ich feststellen, dass wir keinen Kannibalisierungseffekt haben. Eher ist es so, dass wir mit der "Alternative Internet" zeigen können, dass wir in der Lage sind, bei Entwicklung und Einsatz der neuen Medien vorne mit dabei zu sein. Wir bekommen Abo-Bestellungen übers Internet. Wir haben schon 4.500 zahlende E-Paper-Leser.
Und welche Rolle spielen gerade diese bei Ihrem Erlösmodell?
Ein E-Paper-Nutzer zahlt zehn Euro pro Monat, während der "normale" Zeitungs-Abonnent 1,20 Euro pro Monat zahlt; dafür hat er Zugriff auf alle 21 Lokalausgaben der "Badischen Zeitung". Eigentlich hat diese Kombination einen unschlagbaren Charme: Wir produzieren ein sehr gutes Print-Erzeugnis und sind in der Region mit unseren 100 Lokalredakteuren und den 2.000 Freien im Internet schneller als Radio und Fernsehen.
Aber damit haben wir noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgereizt…
Unsere Leser werden sich weiter entwickeln und werden immer selbstverständlicher mit dem Internet umgehen. Der Online-Bereich wird natürlich auch bei uns stärker werden. Wir haben schon jetzt knapp 20 Millionen Page Impressions und knapp drei Millionen Visits und über eine Million Unique User. Und weil wir einen hohen Anspruch haben, hat so etwas langfristig natürlich Folgen.
Und die wären?
Es kann einfach nicht sein, dass guter Journalismus auf ewig "kostenlos" ist. Das heißt, dass wir unbedingt ein praktikables Bezahlmodell finden müssen. Auch wenn es dieses Modell für die deutsche Presselandschaft noch nicht gibt, bin ich optimistisch, dass wir es bald hinbekommen werden. Meine Hoffnungen ruhen auf E-Paper oder Apps, um unsere Leser zum Bezahlen zu bringen. Aber, wie gesagt, den Königsweg gibt’s leider noch nicht.
Also bimmelt noch nicht das Totenglöcklein?
Nein, sicher nicht! Ich glaube nur, dass wir den Markt anders aufteilen müssen. Die Auflagen werden schon alleine aus demographischen Gründen schwinden. Aber auch die strukturellen Entwicklungen werden uns fordern, diese müssen wir mit dem Internet auffangen.
Was heißt "Marktaufteilung", wie soll so etwas ausschauen?
Unser Knowhow ist der Umgang mit der Nachricht, Information und Meinung, wie diese zum Nutzer, sprich Leser, kommt - ob über Print, Online, TV oder Radio -, das ist erst einmal sekundär. Die Wege, die wir nutzen, müssen finanzierbar sein; und vor allem der Journalist, von dem ich eine fundierte Ausbildung und Professionalität erwarte, muss für seine Leistung entsprechend honoriert werden.
Dann halten Sie also nichts von Auslagerungen und Ausgründungen, wie sie momentan in der Branche grassieren und wie sie etwa von Ihrem Kollegen Hanswalter Twer von der "Rhein-Zeitung" praktiziert und als Überlebensmodell propagiert werden?
Die Beweggründe und Fakten kenne ich nicht wirklich. Für uns ist das kein Thema.
Mit welchen Modellen geht’s aus der Krise?
Eines unserer Geschäftsmodelle ist neben der Zeitung auch ein umweltfreundlicher, C02-neutraler Druckbereich. Dann erledigen wir private Briefpost mit über 40 Millionen Briefen pro Jahr, machen Anzeigenblätter, Supplements und derartige Dinge. Man muss sich Nischen suchen, in denen man sich vorantasten kann, um eben den Verlag auf eine breite Basis zu stellen. Manche Verlage drucken nur ihre Zeitungen und danach stehen die Maschinen still. Während wir fast rund um die Uhr drucken, weil wir mit unserer Rotation Produkte im Akzidenzbereich anbieten können.
"Nischen" hat sich herumgesprochen, aber auch der Ruf nach Subventionen. Ist das nicht eine Chance, um aus einer vertrackten Situation zu kommen?
Ich halte es da mit der alten Verleger-Meinung, dass Zeitungsmachen kein Subventionsgeschäft ist – weder direkt durch den Staat noch sonst wie. Wir müssen unsere Unabhängigkeit bewahren. Worüber man nachdenken sollte, sind so Themen wie der Mehrwehrsteuersatz oder die Pressefusionskontrolle, die den heutigen Marktgegebenheiten angepasst werden müssten. Oder das Leistungsschutzrecht. Oder, noch wichtiger, die ständig zunehmenden Werbeverbote. Mir geht es um die Bewusstseinsbildung gerade in Wirtschaft und in Politik: Die Tageszeitung, ob Print oder Online, ist wesentlicher Bestandteil der Demokratie. Hier wünsche ich mir mehr Toleranz und Akzeptanz.
Wagen wir mal einen kühnen Blick nach vorne: Wie wird in 20 Jahren die deutsche Zeitungslandschaft aussehen?
Ich bin davon überzeugt, dass es auf jeden Fall noch gedruckte Zeitungen geben wird. Ob es dann immer noch 350 Verlage in Deutschland - oder die 55 in Baden-Württemberg – sein werden, ist eher nicht anzunehmen.