"Viel Spaß beim Untergang ihrer Marke":
Zeitschriften und warum ich nicht zur Beerdigung gehe
Es ist schon so unendlich viel über den Tod von Print geschrieben worden. Doch gemeint waren damit interessanterweise fast immer die Zeitungen. Reden wir jetzt mal über die Zeitschriften. Und wer könnte das besser als Thomas Koch? Burda-, Spiegel und G+J-Mitarbeiter, bitte festhalten! Eine bitterböse Polemik von W&V-Blogger "Mr. Media".
Es ist schon so unendlich viel über den Tod von Print geschrieben worden. Doch gemeint waren damit interessanterweise fast immer die Zeitungen. Deshalb sollten wir ihnen eine Verschnaufpause gönnen. Und uns stattdessen mit den Zeitschriften befassen. Sie stimmen mir zu? Der Zeitschriftenmarkt ist nämlich gar nicht so tot, wie viele meinen. Ich finde ihn sogar ziemlich lebendig. Allerdings auf äußerst eigentümliche Art und Weise, wie wir gleich sehen werden.
Den Hochglanz- und Nicht-So-Hochglanz-Magazinen geht es derzeit wie vielen Börsenunternehmen. Sie erreichen die angekündigten Ziele und performen relativ gut. Da aber ein paar oberschlaue Analysten meinen, sie hätten durchaus mehr erreichen können, geht der Aktienkurs schnurstracks auf Sinkflug. Auch im Printmarkt geht es längst, wie an der Börse, schon lange nicht mehr um Fakten, sondern nur noch um blanke Psychologie.
Zeitschriften sind tot - oder?
Print ist tot, sagen daher die Analysten, in diesem Fall die Mediaplaner in den börsennotierten Agenturkonzernen. Dass die Zeitungs-Kollegen dem Untergang geweiht sind, interessiert ohnehin nur eine Handvoll Handelswerber. Die Zeitschriften gehen aber ebenso den Bach runter. Sieht man ja: Auflagen und Leserschaften rutschen zweistellig in die Miesen . Das hingegen dürfte hunderte Unternehmen aus den verschiedensten Branchen interessieren, für die bislang ein Markenauftritt in Zeitschriften ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer Mediastrategie darstellte. Bis ihnen urplötzlich klar wurde, dass dieses Werbegeld viel besser in digitale Medien investiert ist. Da können die Zeitschriften nicht mithalten, zumal ihre E-Paper-Auflagen ziemlich mau aussehen.
Die Media-Lemminge
Doch wie kam es dazu? Wenn heute Mediaplaner ihren Kunden raten, Geld aus Zeitschriften abzuziehen, müssen sie keinen Widerspruch befürchten. Brave Planerin, braver Planer! Das ist zeitgemäß, modern und höchst innovativ. Das ist inzwischen so innovativ, dass es alle machen. Sie gehören zur neuen Spezies der Media-Lemminge. Logisch, sie sind ja börsennotiert. Da kann man sich kein Abweichen von der Norm erlauben. Was würden denn die Aktionäre sagen, wenn die Agentur weiterhin in Print investiert? Undenkbar…
Betrachten wir den Zeitschriftenmarkt etwas genauer (was Mediaplaner heute ziemlich uncool finden), dann stellen wir zu unserer Verblüffung fest, dass es überwiegend Dickschiffe sind, die massiv Auflage und Leser verlieren. Warum sie? Weil ihnen eine klare Positionierung in der heutigen Medienwelt fehlt. Wozu brauchen wir noch "Aktuelle Illustrierte" wie "Stern" und "Bunte"? Oder die "Bild"-Gruppe? Wofür stand "Der Spiegel" früher, wofür heute? "Focus"? Verkauft gerade noch so viel wie "Readers Digest". Wofür brauchen wir noch Programmzeitschriften (siehe "Hörzu", die nicht einmal Springer mehr haben will)? Wofür diese Unmenge an austauschbaren, wöchentlichen Frauenzeitschriften? Wofür Computer- und Jugendzeitschriften?
Bezeichnenderweise sind es die Reichweitenbringer, die die Mediapläne früher bevölkerten, die auf die Verliererstraße geraten. Exemplarisch für die Entwicklung des Zeitschriftenmarktes ist jedoch, dass immer neue Special Interest Magazine mit immer geringeren Auflagen von sich reden machen. Dass viele von ihnen von kleineren Verlagen entwickelt wurden, überrascht nicht. Denn hier versteht man sich noch auf das "Machen" von Zeitschriften. Wussten Sie, dass "Diddls Käseblatt" seine Auflage verdoppeln konnte?
Dennoch stehen sie bei den Mediaplanern vor verschlossenen Türen. Der Renditedruck erlaubt ihnen nicht, sich mit derartigem Kleinvieh zu beschäftigen. Fürwahr, ein Teufelskreis. Die Zahl der Mediaplaner, die sich überhaupt noch mit Zeitschriften auskennen, ist, sagen wir mal vorsichtig, rückläufig. Aber nicht weiter schlimm, es geht ja nur um läppische drei Milliarden Euro Werbeumsatz…
Holzmedien auf dem Holzweg
Die Großverlage haben in den letzten Jahrzehnten nur auf das Geld der Anzeigenkunden geschielt und Magazine für vermeintlich begehrte Zielgruppen (wahlweise Frauen/Männer, 20-39 mit Kaufkraft) erschaffen. Das rächt sich jetzt. Hätten sie stattdessen Blätter für authentische Leser gemacht, müssten sie jetzt nicht gegen Hiobsbotschaften ankämpfen.
Ihre Antwort auf schwindende Auflagen, Leser und Werbegelder ist verheerend: Sie verkaufen ihre Redaktion. Schickte man früher eine Pressemitteilung an Verlage, bekam man eine von zwei möglichen Antworten: Interessiert uns, interessiert uns nicht. Heute bekommt man stattdessen eine Gegenfrage: Schalten Sie Anzeigen? Wenn nicht, keine PR. Neulich erst wieder bei einem Großverlag in München erlebt. Man empfindet dabei körperliche Schmerzen. Viele Verlage funktionieren heute so. Und der Schmerz bohrt sich immer tiefer. Ganz Mutige - wie ein Großverlag in Hamburg - bemühen sich nicht einmal mehr, ihr Angebot zu verschlüsseln: Für zwei bis drei Anzeigenseiten gibt es eine redaktionelle Seite gratis. Basta.
Wenn diese Zeitschriften eingehen, werden wir ihnen nicht nachtrauern. Ich würde nicht einmal auf ihre Beerdigung gehen.
Aus Verlagen werden Fliesenleger
Das sind keine Verlage mehr. Denn Verlag kommt von Verlegen. Verleger waren früher Journalisten, die ihre redaktionelle Hoheit beschützten wie Jeanne d’Arc die Freiheit. Heute sind sie wie Fliesenleger, die schwarz arbeiten - ohne Mehrwertsteuer und ohne Qualitätsversprechen. Ihnen fehlt sogar die strategische Intelligenz zu begreifen, dass sie mit dem Geschäft "Redaktion gegen Anzeigen" ihre wertvollsten Leser verlieren: Die einzigen, die sie in Zukunft noch zu Werbeerlösen machen könnten. Alle anderen Leser sind billig zu haben - bei den bekannten Gammel-Medien an jeder Straßenecke.
Der letzte Ausweg wäre für manche Verleger ein einstündiges Seminar bei einer in diesen Fragen fachkundigen Expertin, zum Beispiel bei Gabriele Fischer von "Brand eins". Sie kann trefflich referieren über Positionierung, über Differenzierung, wie man den unmoralischen Rabattforderungen der Agenturen begegnet, über Nachhaltigkeit. Rechnen Sie bitte damit, dass sie ein moderates Honorar verlangt.
Aber halt. Burda startet jetzt die Print-Ikone "Harper’s Bazaar" und G+J "Look". Ich muss beiden Verlagen hierzu unbedingt gratulieren. Sie besitzen ein vortreffliches Timing. Sie haben mit beiden Objekten solange gewartet, bis der Anzeigenmarkt dermaßen am Boden liegt, dass sie Hochglanz-Flops ohne Anzeigenerlöse produzieren werden. Oder haben sie etwa nicht bemerkt, dass selbst der letzte "Spiegel" nur sechs bezahlte Anzeigen enthielt?
Die Freimaurer unter den Medien
Doch, warten Sie. Es muss ja damals einen Grund gegeben haben, warum Werbekunden überhaupt auf die obskure Idee kamen, Anzeigen in Zeitschriften zu schalten. Ich komme nur nicht mehr drauf. Das Geheimwissen ist leider verschütt gegangen. Es hatte irgendetwas mit Marke, Markenbildung und Markenpflege zu tun. Mit Image. Mit Involvement und Leser-Blatt-Bindung. Mit Meinungsbildnern. Auch irgendwas mit Zielgruppenqualität, mit Bildung und so. Aber ich krieg’s nicht mehr zusammen. Schade, es hatte nämlich damals seinen Reiz. Aber vertan. Vorbei.
Wir sind heute so besessen vom Ende der Kommunikationskette, von Aktivierung und Lead-Generierung - von messbaren Mediakontakten und messbarer Media-Effizienz - dass wir vergessen haben, den eigentlichen Anfang der Kette zu bedenken. Zumal selbst die Zeitschriften nicht mehr so genau zu wissen scheinen, wozu sie früher einmal gut waren. Jedenfalls behüten sie ihr Geheimnis wie einen Schatz, der auf keinen Fall wieder das Tageslicht erblicken darf. Wie die Freimaurer…
Wenn das so richtig ist, ist ja alles in Ordnung. Bitte begeben Sie sich wieder an Ihre Schreibtische und Rechner. Seien Sie nicht so halbherzig beim Kürzen der Zeitschriftenetats. Weg damit. Und achten Sie stets auf die Effizienz und Produktivität Ihrer Mediaplaner. Lassen Sie nicht zu, dass sie sich mit morbiden Medien wie Zeitschriften beschäftigen. Bringen Sie ihnen schleunigst bei, wie man die digitalen Medien automatisiert. Ihre Stake- und Shareholder werden es Ihnen danken.
Und viel Spaß beim Untergang Ihrer Marke.