André Krüger über Social-Media-Marketing:
Woher kommen plötzlich all diese Influencer?
W&V-Autor André Krüger alias @bosch wundert sich über die Goldgräberstimmung beim Influencer Marketing. Vieles, was unter diesem Etikett verkauft wird, ist nämlich austauschbar und überteuert. Worauf man besser achten sollte.
11 von 10 befragte Influencer-Marketing-Experten sagen: Als Brand muss man jetzt auch unbedingt mal was mit Influencern machen. Eine gute Sache das, die sind schließlich alle super-authentisch und erreichen noch einmal ganz neue und vor allem junge Zielgruppen etc. Derweil werden Budgets umgeschichtet, und allerorten sprießen Spezialagenturen und vermeintlich pfiffige Dienstleister, die Marken und Influencer – zum Teil komplett automatisiert – verkuppeln wollen, aus dem Boden. Das alles sollte Markenverantwortliche zumindest vorsichtig aufhorchen lassen, bevor sie sich ungeschützt dem Influencer-Virus aussetzen.
Woher kommen plötzlich all die Influcencer?
Wie wird man Influencer? Entweder man ist bekannt aus Film, Funk und Youtube – oder man wurde von Instagram auf die Suggested-User-Liste gesetzt. Ganz normale Nutzer wie Du und ich erlangen so einen Zuwachs von z. T. mehreren tausend Abonnenten pro Tag. Wer regelmäßig schöne Quadrate macht, Wendeltreppen fotografiert (#theworldneedsmorespiralstaircases), andere Mitglieder der Community in seinen Bilder verewigt, sich selbst von ihnen verewigen lässt und womöglich auch mal ein Instameet organisiert, der hat gute Chancen, auf die Liste zu kommen. Dann wird man für einen begrenzten Zeitraum allen Neuanmeldern im Netzwerk ans Herz gelegt.
Hilfreich ist außerdem eine minimalistisch-helle Bildsprache (wie im Kinfolk-Magazin) und immer wieder Fluchten, Fluchten, Fluchten, die das Auge des Betrachter in die Bildtiefe leiten. Auf diese Weise hat Instagram selbst eine Gruppe von reichweitenstarken Instagrammern erschaffen, die einander in ihrer Ästhetik sehr stark gleichen. "Wir sind alle Individuen!", rufen sie ganz laut aus ihren glattgebügelten Getty-Image-Lifestyle-Portfolios heraus und sehen sich dabei doch alle zum Verwechseln ähnlich.
Auch wenn sich das Empfehlungsinstrumentarium der Fotoplattform mittlerweile verändert hat (die Suggested-User-Liste rotiert derzeit unregelmäßiger und bringt auch keinen so hohen Zuwachs mehr), gibt es in Deutschland ca. 50 Community-Fotografen, die es allein durch ihr Wirken auf Instagram zu Reichweiten von bis zu mehreren hunderttausend Abonnenten gebracht haben. Nur schwerlich kann man ihnen vorwerfen, die intensive Arbeit, die sie in Aufbau und Pflege ihrer Accounts investiert haben, in Zeiten des Hypes ordentlich zu monetarisieren.
Was reitet nun aber Agenturen und Unternehmen, immer wieder auf dieselbe überschaubare Gruppe an Influencern zu setzen – egal ob es um Tourismus oder Turnschuhe geht?
Wenn jemand ein paar hunderttausend Follower hat und heute für Automobilmarke X, morgen für Automobilmarke Y und übermorgen für Automobilmarke Z wirbt, wie groß mag da wohl noch die vielbeschworene Authentizität sein?
Hinzu kommt, dass es Influencer gibt, die nahezu jedes ihrer Bilder von einem anderen Unternehmen sponsern lassen. Ein Blick auf den Instagram-Account des bekannten Berliner Foodsylistinnen-Duos @_foodstories_ (766 k Followers) zeigt in der letzten Zeit Werbung für einen Druckerhersteller, Wermut, Uhren, Whiskey, Küchengeräte, Kaffeemaschinen, einen Online-Lebensmittelhändler, eine Kaffeekette, einen Autohersteller, einen Wandfarbenhersteller, Kaffeelikör, Hüttenkäse, Gemüsechips und noch viel mehr.
Die Follower finden das okay, kaum jemand beschwert sich. Die Fotos sehen jedoch fast alle gleich aus: ein schön gedeckter Tisch von oben, ein paar Kaffeetassen, Blumen – und fertig ist die Drucker-, Auto-, Küchengerätewerbung. Da muss man sich als Auftraggeber doch fragen: Was bringt das meiner Marke überhaupt noch?
Nimmt der Influencer noch positiv Einfluss auf Image oder Kaufentscheidungen – oder ist er vielmehr nur eine kreative Litfaßsäule, deren Follower sich längst fühlen wie in einer niemals endenden Dauerwerbesendung? – Sofern sie die Markenbotschaften überhaupt noch bewusst wahrnehmen.
Nicht selten wird das Werbewirken der Influencer auf Instagram sogar aktiv verschleiert. Dann verschwindet der Hinweis auf eine Kampagne einfach in einer Wüste von Hashtags in der Bildunterschrift. Wenn nichts weiter vereinbart wird, werden Bildunterschriften, Hashtags oder ganze Bilder nach Ende der Kampagne auch schonmal vollständig aus dem jeweiligen Feed gelöscht.
Manchmal scheitert eine Kampagne aber auch an einer unzulänglichen Kreation und/oder am Briefing. Selbst namhafte Unternehmen wie Audi sind hiervor nicht sicher. Eine Auswahl von bislang nicht durch besondere Autoaffinität aufgefallenen Instagram-Influencern postete im Dezember 2015 jeweils drei Fotos im Farbschema rot/weiß/schwarz mit den Hashtags #zuallembereit, #AudiA1, #sponsored, #vorsprungdurchtechnik, #planA.
Dass es sich hier um die Einführung eines neuen Automodells ging, war für den geneigten Follower nur zu erahnen, denn weder wurden irgendwo Autos gezeigt noch wurden Informationen, die über die Hashtags hinausgingen, geliefert. Ziemlich versteckt wurde dann der Account von @audi_de auch nur im Bild selbst markiert. Dieser wiederum verwies unter dem Hashtag #zuallembereit auf die offiziellen Content-Friedhöfe @a1_starten (20 Abonnenten, Link in der Bio führt ins Leere) und @a1_fahren (14 Abonnenten, Link zur Händlersuche). Was soll das, bitteschön?
Mehr Qualität, statt Quantität
Noch immer wird bei der Auswahl von Influencern in erster Linie auf quantitative Aspekte geachtet. Natürlich ist aus Sicht des Auftraggebers eine möglichst hohe Reichweite wünschenswert – auch mit Blick auf die mittlerweile ordentlichen Honorarforderungen der Top-Influencer. Aber ist das wirklich die alles entscheidende Kennzahl?
Was bringt es einem Tourismusunternehmen, eine Gruppe von reiseaffinen Instagrammern durch die Welt zu schicken, wenn diese allesamt dieselben Fotos schießen – nicht nur für ihre jeweiligen Kanäle, im schlimmsten Fall ist nicht einmal erkennbar, ob sie sich gerade in der idyllischen Altstadt von Barcelona oder Buxtehude befinden?
Ebenso enttäuschend ist es, wenn Influencer durch die Welt jetten und an ihren Reisezielen lediglich die bereits gut dokumentierten Touristenhotspots dieser Welt abfotografieren. Schließlich weiß jeder Daheimgebliebene mittlerweile, wie die Freiheitsstatue, der Eiffelturm oder der Schiefe Turm von Pisa aussehen.
Meistens sind die Fotos hübsch, setzen auf den WOW-Effekt und auch die Interaktionsraten sind zum Teil atemberaubend. Natürlich aber wissen auch Influencer um Mittel, diese noch weiter in Höhe zu treiben: Wer einzeln auf jeden WOW-Kommentar mit einem freundlichen "Danke, Bro!" und einer Gegenfrage "Hattest Du eine schöne Woche?" antwortet, macht sich nicht nur bei seinen Followern beliebt, sondern vervielfacht praktischerweise gleichzeitig seine Interaktionsrate.
Auch kommt es schon einmal vor, dass zwei Instagrammer mit 60 k Followern fast gleichzeitig ein nahezu identisches Foto machen und der eine bekommt 600 und der andere bekommt 6.000 Likes, während andere Instagrammer, die nominell über ein Vielfaches an Abonnenten verfügen, sich mit einem Bruchteil an Resonanz begnügen müssen. Hier kann man schon zu der Vermutung gelangen, dass mancher mit unlauteren Mitteln nachhilft, während andere einfach im Laufe der Zeit sehr viele inaktive Follower angesammelt haben.
Galt früher die Interaktionsrate noch als eine eher qualitative Kenngröße, sollte man als Auftraggeber mittlerweile auch diese auf jeden Fall kritisch hinterfragen.
Nur allzu leicht erliegen Marketingverantwortliche der Verlockung, sich an Reichweiten und Interaktionsraten zu berauschen, und diese gar additiv zu betrachten. Bei einem genaueren Blick auf die Followerstruktur der Influencer-Reisegruppe wird meist bereits bei einem kurzen Blick auf die immer wieder auftauchenden Kommentatoren klar, dass alle über dieselbe Followerstruktur verfügen dürften. In diesem Fall hätte es wohl auch gereicht, nur einen aus der Gruppe in die Welt zu entsenden – etwas mehr Diversität bei der Auswahl der Influencer würde zu einer breiteren Streuung der Markenbotschaft beitragen.
Auch die Kanalstrategie der Werbetreibenden lässt einen immer häufiger kopfschüttelnd zurück.
Es mag ja sein, dass jemand auf Snapchat ein brillanter Selbstdarsteller ist, aber das macht ihn noch lange nicht zu einem begabten Schreiberling (auch wenn sich Unternehmen in letzter Zeit wieder mehr ergänzende Blogbeiträge von Influencern wünschen).
Ebenso verwundert es, wenn Instagrammer plötzlich schweigend auf den Snapchat-Kanälen von Unternehmen die Zuschauer zu Tode langweilen. Auf unlustige Standfotos sowie unvertonte Videos mit der Rückseitenkamera hat auf Snapchat wirklich niemand gewartet. Ein bißchen mehr Rock'n'Roll darf da schon sein. Der eierlegende Wollmilch-Influencer muss erst noch erfunden werden. Bis dahin gilt es, für die jeweiligen Kanäle passende Influencer zu finden. All das erfordert gute Kenntnisse der Plattformen und ihrer Eigenheiten sowie eine Menge Fleißarbeit bei der Recherche.
Um Ihnen als Leser die Arbeit nicht komplett abzunehmen, hier ein weit hergeholtes, aber durchaus auch in relevanteren Branchen skalierendes Beispiel: Wer glaubt, z. B. die Veröffentlichung eines nobelpreisverdächtigen Lyrikbandes auf Social Media befeuern zu können, wird bei der Suche nach reichweitenstarken #Buchbloggern sicher schnell desillusioniert sein: Auf Instagram finden sich unter diesem Hashtag fast nur Leseratten mit einer Vorliebe für bunte Cover, Fantasy und Drachentöter.
Wer sich wiederum an eine der aus der aus dem Boden sprießenden Influencer-Agenturen oder -Vermarkter wendet, dem werden wiederum immer dieselben (semi-)professionellen Instagramer mit hoher Reichweite vorgeschlagen, die heute ein Luxushotel, morgen ein Sonnenbrille und übermorgen ein Smartphone bewerben. Wenn man sich jedoch etwas Mühe gibt, kann man auch wirksamere Influencer identifizieren: Sie halten sich in Literaturhäusern und Buchhandlungen auf, lesen Bücher von den richtigen Verlagen und Autoren. Vielleicht hat dieser Influencer nur 1000 Follower – und keine der Influencer-Agenturen oder Vermarkter würde ihn je in ihre Kartei aufnehmen. Wenn aber zehn seiner Follower, die ihn als Lyrikkenner schätzen, das neue Buch kaufen, wäre eine Kampagne mit ihm sicher ein größerer Erfolg als mit einem 200K-Reiseblogger, dessen Follower eigentlich nur Sonne, Strand und Mädchen in Bikinis sehen wollen.
Fazit
Influencer Marketing ist zwar gerade ziemlich in, aber trotzdem kein Allheilmittel. Es mag zwar etwas unhip klingen, aber Influencer Marketing ist: Below the Line. Bei richtiger Auswahl der Influencer, einem handwerklich sauberen Briefing und bei einer klaren Vorstellung von den Zielen einer Kooperation kann man mit dem Instrumentarium des Influencer Marketings beachtliche Erfolge erzielen. Voraussetzung ist natürlich – Sie werden es bereits ahnen – einzigartiger, hervorragender Content.
Wer allerdings von gigantischen Reichweiten mit mehreren hunderttausenden oder gar Millionen Views/Likes/Kommentaren träumt, kann das im deutschsprachigen Raum nur mit Youtube-Stars – vielleicht auch bald mit Snapchat-Stars – realisieren. Das hat dann allerdings mit klassischem Influencer Marketing noch genauso viel zu tun wie ein bloggender Franz Beckenbauer oder ein instagrammender Thomas Gottschalk.
Ein Influencer ist nicht jemand, der eine möglichst große Zahl an Followern hinter sich versammelt. Ein wirklicher Influencer ist jemand, der über eine gewisse Expertise verfügt und bei seinen Followern großes Vertrauen genießt.
Der Autor: André Krüger ist Freelancer in Hamburg und Berlin. Er entwickelt Kommunikationskonzepte für den digitalen Raum. Seit den Anfängen von Instagram ist er dort als @bosch unterwegs. Er ist Dozent an der JvM-Academy und Lehrbeauftragter an der HAW Hamburg.