Kolumne:
Wir brauchen mehr Bentos für alle
Nico Lumma und Christoph Hüning vom Next Media Accelerator beschäftigen sich mit Leuten und Themen, über die man im Laufe der Woche sprechen sollte. Diesmal: Medienwandel und Konsequenzen.
Die Meldung, dass DER SPIEGEL seinen jugendlichen Ableger Bento einstellt, sorgte für die erwartbaren Reaktionen aus der Branche. Die einen wussten es eh schon immer besser, die anderen verabscheuen Listicles sowieso und wiederum andere finden es generell nicht gut, dass Nachrichten nicht mehr in Fraktur gedruckt werden.
Bento zeigt sehr deutlich, dass die größte Herausforderung bei der Digitalisierung der Medienbranche die rasante Veränderung der Aufmerksamkeiten ist. Diese Veränderungen setzen Medienhäuser unter Druck und zwingen sie dazu, immer wieder neue Formate und Distributionswege auszuprobieren. Damit kommen nicht alle zurecht, was dann zu abstrusen Ideen wie einem Leistungsschutzrecht für News-Snippets oder das Betteln um staatliche Förderung für Zustellkosten von Printprodukten führt. Natürlich ist es völlig in Ordnung, die heilige Kuh “Print” so lange zu melken, wie es noch geht. Aber nur, wenn Verlage gleichzeitig erkennen, dass die Zukunft woanders liegt und sie sich hierauf vorbereiten müssen und immer wieder aufs Neue versuchen, die Aufmerksamkeit der Zielgruppen für sich zu gewinnen. Da gibt es keinen goldenen Weg, keine einfache Lösung und vor allem keine Hoffnung auf die eine Lösung für die Ewigkeit. Was heute super ist, kann morgen schon nicht mehr funktionieren. Im Digitalen können Myspace, Yahoo und viele andere ein Lied davon singen, die Älteren werden sich erinnern.
Die einzige Möglichkeit, mit dem permanenten Wandel in der Medienbranche zurechtzukommen, ist das Umarmen der Unbeständigkeit durch immerwährendes Testen, durch die Entwicklung neuer Formate und durch die Bereitschaft, sich immer wieder von Liebgewonnenem zu trennen.
Natürlich können Verlage versuchen, jungen Menschen im Rahmen hilfloser Projekte wie "Zeitung macht Schule" jeden Morgen kostenlos Papier zu schicken, das dann naturgemäß nicht beachtet wird, und das dann als großen Erfolg feiern. Die Macher von TikTok zittern schon wie Espenlaub: Die Jugend werden sie so schnell nicht wieder ansprechen können, denn die liest jetzt auf Papier!
Wir brauchen mehr Bentos, große, kleine, schnelle, langsame, bunte und auch schwarz-weiße, um zu testen, was hängen bleibt und wieso, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Diese Bentos werden die neuen Stars sein, jüngere Leserinnen anziehen, tolle Journalistinnen hervorbringen und die Medienbranche zu neuer Blüte führen. Dafür brauchen sie Zeit und Geduld, aber was wir stattdessen beobachten ist, dass die deutsche Huffington Post nicht mehr da ist, dass Buzzfeed Deutschland zum Verkauf steht und vieles mehr.
Und während wir in der letzten Woche noch das provokante Video von Rezo als guten Impuls gelobt haben, hat sich ausgerechnet die FAZ zu einem Antwortvideo verleiten lassen, in dem sie zum einen kleinteilig belegt, welcher zitierte Fehler eigentlich keiner ist, vor allem aber in den fünf emotionalen Minuten der halben Stunde auf dem Niveau von “stalinistischen Selbstbezichtigungsmethoden” argumentiert und kritisierte Redakteure damit verteidigt, dass diese ja schon seit vielen Jahren im Haus und auch mit vielen aus dem Haus privat befreundet sind. Das ist ein klassischer Abwehrmechanismus gegen Neues von außen, aber keine inhaltliche Auseinandersetzung, die weiter bringt.
Innovation ist oft anstrengend, wirkt aber manchmal ganz einfach: Auch Taxifahrerinnen hatten “damals” (2008) noch nicht standardmäßig Smartphones, also haben die Gründer von My Taxi den ersten 100 ein iPhone geschenkt und so die notwendige Marktdurchdringung künstlich geschaffen. Anstatt wieder und wieder darauf hinzuweisen, dass die Zustellung der gedruckten Tageszeitung teurer wird, die Leserinnen in der Provinz aber wegen mangelnder Ausstattung mit Tablets o.ä. nicht erreicht werden, könnten Verlage diese Idee doch kopieren: Warum nicht den Zustellerinnen ein Tablet für jede Abonnentin mitgeben und dann das digitale Angebot konsequent vermarkten? Ein iPad als Aboprämie gibt es ja bereits, scheint aber nicht auszureichen. Nur so eine Idee, denn die tägliche Zeitung aus Papier hat schon bald keine Zukunft mehr.