Neue Kultur der Zusammenarbeit

Hans und Brinkbäumer Seit an Seit – das soll wohl auch stehen für ein harmonisches Zusammenspiel der "Spiegel"-Welten, das lange unmöglich schien. Das betrifft nicht nur die Redaktionen in Print und Online, sondern auch die Zusammenarbeit mit den Verlagsabteilungen. "Der 'Spiegel' war früher nicht gut im Denken über Abteilungsgrenzen hinweg", sagt Chefredakteur Klaus Brinkbäumer. Noch vor zehn Jahren hätten manche Abteilungen kaum miteinander geredet.

Die Zusammenarbeit zwischen den Redaktionen hat jedenfalls zugenommen: SpOn-Kollegen, die man vor wenigen Jahren noch aus dem Printheft heraushalten wollte, schreiben für den gedruckten Spiegel. Umgekehrt schreiben einige Print-Journalisten auch für die digitalen Produkte.

Es waren wohl nicht zuletzt die dramatischen Rückgänge von Auflagen- und Anzeigenvorkommen beim Printheft, die die Bereitschaft auch im gedruckten Spiegel befördert haben, digitaler zu denken. Der Druck aus Gesellschafterkreisen auf die Chefredaktion, endlich eine schlüssige digitale Strategie aufzusetzen, mag ebenfalls als Beschleuniger gewirkt haben.

Printredakteure sollen mehr fürs Digitale schreiben

In Zukunft soll die Integration zum Normalfall werden. Das bedeutet auch eine Umstellung für die Printkollegen. Sie sollen in Zukunft mehr neue, aktuelle Texte für Spiegel+ und SpOn zuliefern und Recherchen aus dem Heft im Digitalen aktualisieren und vorantreiben. "Die Spiegel-Autoren werden mehr schreiben müssen und mehr auf 'Spiegel Online' und 'Spiegel +' zu finden sein", sagt Brinkbäumer.

Die tägliche Morgenkonferenz entscheide und erteile Aufträge an die Ressortleitungen in Print und Online, zusätzliche Inhalte zu produzieren. Weil dabei mit Konflikten zu rechnen ist, treffen sich beide Redaktionen am Dienstagmorgen um Themenkonflikte zu besprechen. Der Reichweitenbringer "SpOn" soll unter dem neuen Bezahlangebot nicht leiden.

Das sind die Text-Bestseller im digitalen Einzelverkauf

Die Umstellung wird möglicherweise auch inhaltlicher Natur sein. Denn das digitale Angebot basiert auf einer Analyse des Nutzerverhaltens. Das Team rund um Produktchef Stefan Plöchinger (aus Redaktion, Vertrieb, IT, Tech Lab und Marketing) orientiert sich bei der Themenwahl auch daran, welche Inhalte die Zahlungsbereitschaft unter den 20,6 Millionen Spiegel Online-Nutzern am besten auslösen. Zu den Bestsellern zählten dabei zum Beispiel emotionale Geschichten oder auch Nutzwert-Themen: "Todeskampf im Berghain", "So bewahren Paare die Lust auf Sex", "Abnehmtrick Intervallfasten" oder "40 Gold-Millionen Futsch. Schatz wo bist du".

Mix aus Nutzerwünschen und publizistischem Anspruch

Das ist nicht gerade der klassische Nachrichtenjournalismus. Und es sind Themen, die auch bei Wettbewerbern funktionieren. "Da findet gerade ein Shift statt", sagt Plöchinger. Die Erwartung an die investigative Marke "Spiegel" decke sich nicht unbedingt immer mit dem, was letztlich die Zahlungsbereitschaft auslöse.

"Opportunistisch" werde das digitale Produkt deswegen aber nicht gestaltet. "Wir werden immer Dinge auf die Seite setzen, die wir für publizistisch relevant halten", sagt Online-Chefredakteurin Hans. Klassische Spiegel-Recherchen wie "Die Wahrheit über den Geisterflug der MH 370", Langzeitrecherchen wie  "Flughafen BER", "Schulz-Story" oder über das "Autokartell" haben ebenfalls bewiesen, dass sie Leser zum Zahlen bewegen können. Der Qualitätsanspruch soll auch für die Nutzwert-Texte gelten. Darüber hinaus steuern auch die Spiegel-Line-Extensions ("Wissen"/"Geschichte") Texte zum neuen Bezahlprodukt bei. "Die Leute schätzen lange, gute Texte und kommen deswegen zu uns", sagt Brinkbäumer.

Textverkaufe über Facebook-Marketing

Von Mitte Juni an unterstützt zunächst eine klassische Werbe-Kampagne  den Launch von "Spiegel+" - mit Kampagnenmotiven auf Online-Angeboten und in den Printtiteln von Tages- und Wochenzeitungen und Magazinen sowie weiteren digitalen Umfeldern.

Neu ist, dass der Spiegel Geld ausgeben will, um einzelne Texte auf Facebook zu bewerben und mögliche Leser zielgerichtet mit Themen anzusprechen, die sie interessieren könnten, und so neue Abonnenten für Spiegel + zu gewinnen. Vorbild sind dabei Titel wie der "Economist".


Autor: Judith Pfannenmüller

ist Korrespondentin für W&V in Berlin. Sie schaut gern hinter die Kulissen und stellt Zusammenhänge her. Sie liebt den ständigen Wandel, den rauhen Sound und die thematische Vielfalt in der Hauptstadt.