
Challenger Brands:
Wie One Laptop per Child den Computermarkt herausfordert
Die Non-Profit-Organisation One Laptop per Child (OLPC) hat sich 2006 zum Ziel gesetzt, jedem Kind der Welt den gleichen Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Dafür entwickelte die Organisation einen grünen Kinder-Laptop, der sie berühmt machte - denn das Gerät mit Internetzugang kostet nur 100 Dollar. Im "Overthrow"-Interview erklärt CEO Rodrigo Arboleda seine Vision.
Die Non-Profit-Organisation One Laptop per Child (OLPC) hat sich 2006 zum Ziel gesetzt, jedem Kind der Welt den gleichen Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Dafür entwickelte die Organisation unter Vorsitz von MIT Medialab Begründer Nicholas Negroponte einen Laptop, der sie berühmt machte. Denn das grüne, energiesparende Gerät mit eigener Lernsoftware kostet nur 100 Dollar - inklusive Wlan-Zugang. Damit soll es für Regierungen in Entwicklungsländern erschwinglich sein. Mehr als 2,5 Millionen Kinder in 41 Ländern würden bereits mit diesen Geräten lernen und arbeiten, so die Organisation. 2009 stellte OLPC außerdem erstmals ein Lern-Tablet vor.
Der Organisation gehe es in erster Linie aber nicht um preiswerte Technologie, sondern um Chancengleichheit, wie Rodrigo Arboleda, Vorsitzender und CEO der One Laptop per Child Association im Interview mit der Agentur Eatbigfish erklärt. Diese beschreibt die Ziele der Organisation in der Case-Sammlung "Overthrow - 10 Wege, wie man etablierte Marken herausfordert", die sie gemeinsam mit der Mediaagentur PHD herausgebracht hat. Darin wird OLPC als Challenger-Typ "Demokratisierer" beschreiben, der den Elitismus herausfordert.
OLPC hat viele Förderer, allerdings auch etliche Kritiker. Diese bemängeln etwa, dass die Organisation ein intuitives Lernen von Kindern annimmt, wenn sie erst einmal einen Computer in den Händen halten. Dazu sei jedoch entsprechend geschultes Lehrpersonal notwendig. Außerdem wären Investitionen in günstige Smartphones sinnvoller gewesen, denn Handys sind weltweit viel stärker verbreitet, so ein Vorwurf.
Im Interview erklärt Rodrigo Arboleda die Vision der Organisation:
Welche Idee steckt hinter One Laptop Per Child?
Ganz einfach: Kinder in Entwicklungsländern mit dem gleichen, grundlegenden Zugang zu Bildung zu versorgen, qualitativ und quantitativ, wie er den privilegiertesten Kindern beispielsweise in New York, London, Tokio oder Berlin zur Verfügung steht. Vor zehn bis fünfzehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Mit dem Aufkommen des Internets und den Technologien des digitalen Zeitalters kann dieser Anspruch erfüllt werden und wir haben gezeigt, dass ein Kind in einem abgelegenen Dorf in einer ländlichen Region des Amazonas heute mindestens die gleiche Chance auf Zugang zu Bildung in der gleichen Qualität und Menge haben kann wie das privilegierteste Kind in New York.
Wie sind Sie zu der Überzeugung gelangt, dass das Programmieren so wichtig für die kindliche Entwicklung ist?
1967 wurde Seymour Papert zusammen mit einem anderen Wissenschaftler namens Martin Minsky ans MIT berufen, um ein renommiertes Labor aufzubauen, das Artificial Intelligence Lab. Als er ans MIT kam, hatte er bereits mit Jean Piaget auf dem Gebiet der Gehirnforschung gearbeitet und untersucht, wie das Gehirn Informationen aufnimmt und verarbeitet. Bei seinem Antritt gab er eine umstrittene Erklärung ab. Er sagte, Kinder zum Lernen zu befähigen, sei so bedeutsam, dass eines Tages jedes Kind einen eigenen Computer haben müsse. Durch das Programmieren lerne ein Kind vier spezifische Dinge, die für den Lernprozess entscheidende Bedeutung hätten.
Das Erste ist kritisches Denken. Wenn Sie ein Programm schreiben, das nicht funktioniert, müssen Sie es immer wieder testen. Sie müssen sich kritisches Denken aneignen, um zu verstehen, was mit dem Programm nicht stimmt. Das Zweite ist Disziplin bei der Suche nach Lösungen. Jeder, der programmiert, kennt diese Situation, wenn er in endlosen Schleifen nach dem vergessenen Komma oder der Leerstelle sucht. Diese Disziplin bei der Suche nach Lösungen ist sehr wichtig beim Entwickeln von Lernumgebungen. Als Drittes kommt das Teilen. Bis vor Kurzem wurde individuelles Lernen als Norm angesehen. Wenn man beim Programmieren verzweifelt, weil sich der Fehler nicht finden und lösen lässt, fragt man die Kollegen und sagt: „Hey, hört mal, ich werde hier noch verrückt, es klappt einfach nicht.“ Sharing ist also ebenfalls eine sehr wichtige Komponente. Und wenn man letztlich das Programm erfolgreich zum Laufen gebracht hat, geht man einen Schritt zurück und reflektiert das Ganze. Es sind also die Begriffe Kritisches Denken, Lösungsorientierung, Teilen und Reflexion, die auf diese Weise Bedeutung erlangt haben, nicht nur in dem Bereich, der früher lineares Programmieren hieß. Schon damals konnte man diese Eigenschaften entwickeln – doch dazu benötigte man zwingend einen Computer.
Wie ist die Entwicklung Ihres Laptops vonstatten gegangen?
Wir sahen damals, dass das digitale Zeitalter alle Technologien bereitstellte, die wir benötigten, aber da war der Preis. Vor sieben Jahren, im Jahr 2005, kostete ein Laptop mindestens 1.000 Dollar. Uns war klar, dass wir diesen Preis auf circa ein Zehntel senken mussten – wir mussten versuchen, einen 100-Dollar- Laptop hinzubekommen, wenn wir wirklich den finanziellen Möglichkeiten von Regierungen bei der Bereitstellung von Bildung entsprechen wollten. Dieser Umstand zwang uns zu der mutigen Entscheidung, den Laptop in einem Niedriglohnland entwickeln zu lassen – und die Ausstattung auf die minimalen Anforderungen eines Kindes von fünf Jahren zu reduzieren, ohne all den überflüssigen Schnickschnack, über den normale Computer verfügen. Normalerweise nutzt man nicht mehr als fünf Prozent solcher Computer, die restlichen 95 Prozent werden von Superhirnen und High-End-Entwicklern benötigt, die damit Tausende von Rechenoperationen pro Sekunde ausführen. Wir, die Normalsterblichen, benötigen über 90 Prozent dieser Rechenleistung nicht und an dieser Stelle zu sparen, bedeutet, Kosten zu senken.
Wo machen Sie Abstriche und wo lassen Sie sie nicht zu, um die Chancen für den Erfolg Ihres Projekts zu erhöhen?
Wir richten uns an Grundschulen. In diesem Alter lässt sich das Gehirn eines Kindes nachhaltig formen. Das Gehirn von Schülern an weiterführenden Schulen zu verändern, ist für uns zu aufwendig hinsichtlich Zeit, Energie, Hingabe und Materialeinsatz. Das ist der Grund, warum wir bei Schulanfängern einsteigen, im Alter von vier oder fünf Jahren. Angefangen haben wir bei fünfeinhalb Jahren, jetzt starten wir mit dreieinhalbjährigen Kindern, denn die intuitive Nutzung von Touchscreens ermöglicht es, auch jüngere Schüler einzubeziehen.
Können Sie ein Beispiel für die massenhafte Verbreitung Ihrer Laptops geben?
Uruguay ist das erste Land, in dem sich das Projekt zu einer Herzensangelegenheit entwickelt hat, als Tabaré Vázquez dort Präsident war. Er ist Mediziner, Onkologe, und hat selbst während seiner Präsidentschaft jeden Freitagvormittag seine Praxis für die unentgeltliche Behandlung von Krebspatienten geöffnet, über die gesamte Dauer seiner Präsidentschaft! So viel zu seiner humanitären Art. In seinem Vokabular gab es vier Wörter, die für alle anderen Sterblichen nicht dieselbe zwingende Bedeutung haben. Als Mediziner verstand er die Bedeutung des Wortes ‚Notfall‘. Wenn Ärzte nicht schnell genug zur Stelle sind, sterben die Patienten, so einfach ist das. Der zweite Begriff, den er als Onkologe im Vokabular hatte, war ‚Epidemie‘. Und als jemand, der mit Epidemien zu tun hatte, war ihm auch der dritte Punkt geläufig, die verzweifelte Suche, der quälende Wunsch nach einem Impfstoff. Und schließlich: Wenn man den Impfstoff gefunden hat, müssen alle Menschen geimpft werden. Sie impfen nicht nur jeden zweiten in der Hoffnung, dass nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit auch Ungeimpfte überleben, nur weil sie von Gesunden umgeben sind. Nein, Sie impfen alle.
Tabaré Vázquez kam gerade von Davos zurück, wo er einen Vortrag von Nicholas gehört hatte, und erklärte seinem Kabinett, dass er gerade den wirksamsten Impfstoff überhaupt entdeckt habe. Jedes Regierungsmitglied wusste, dass er Arzt ist, deshalb fragten alle sofort: „Ist er gegen Malaria? Gegen Krebs? Sagen Sie uns, was für einen Impfstoff Sie entdeckt haben.“ Und er sagte: „Wissen Sie, ich habe gerade einen Wirkstoff gegen Ignoranz entdeckt. Und ich werde jeden in diesem Land gegen Ignoranz impfen, indem ich ihm eines dieser Dinger gebe, von denen der Typ namens Nicholas Negroponte aus Boston gerade erzählt hat.“
In nur 27 Monaten hatte Uruguay aus seinem eigenen Haushalt jedem Grundschüler im Land eines unserer Geräte bezahlt, sodass heute jedes Kind über einen Laptop mit Internetverbindung verfügt. Uruguay ist damit zum wichtigsten Lernlabor der Welt geworden. Vergessen Sie Südkorea, vergessen Sie Singapur, vergessen Sie Taiwan. Um zu verstehen, was da vor sich geht, müssen Sie nach Uruguay fahren, wo eine totale Transformation der Gesellschaft stattfindet. Jedes Kind hat einen Computer, gehandicapte Kinder genauso wie Autisten, Kinder mit Downsyndrom, mit Sehbehinderung, sogar solche im Rollstuhl, sie steuern ihren Rollstuhl mit dem Computer.
Wie würden Sie das Erreichte zusammenfassen?
Was wir vollbracht haben, ist wahrhaftig im Sinne der Demokratisierung: Wir haben Chancengleichheit erzeugt. Vor fünf Jahren noch ein Privileg, reden wir heute über ein Recht. Wir haben gezeigt, dass das möglich ist.
Das Original-Video mit Eindrücken aus der Organisation: