Interview:
Wie Michael Spreng zur eigenen Medienmarke wurde
Michael Spreng hat seine persönliche Medienkrise längst hinter sich: Seit seiner Entlassung der als Chefredakteur der "Bild am Sonntag" etablierte er sich als einflussreicher Medien- und Politikberater, gefragter Talkshow-Gast und als Blogger mit bis zu 180.000 Besuchern pro Monat. Ein Interview über Selbstvermarktung im Netz, Medienmarken der Zukunft und natürlich über Sprengs Ex-Kollegen Kai Diekmann.
Er war mehr als ein Jahrzehnt Chefredakteur der "Bild am Sonntag", Wahlkampfmanager von Edmund Stoiber bei der Bundestagswahl 2002 und Medienberater von Jürgen Rüttgers. Trotz des verlorenen Stoiber-Wahlkampfes gilt Michael H. Spreng nicht nur als einer der bekanntesten, sondern auch wichtigsten Politikberater der Republik. Er ist zur echten Marke geworden und bloggt seit 2009 unter www.sprengsatz.de. Dem Markenschaublog von W&V verriet er, wie wichtig diese Internetpräsenz für seine persönliche Markenbildung ist – und wo Politiker und Medienmenschen noch Nachholbedarf haben.
Herr Spreng, Sie sind einer der ganz wenigen altgedienten Journalisten die regelmäßig bloggen. Warum tun Sie das eigentlich?
Aus zwei Gründen: Erstens, weil ich leidenschaftlicher Journalist und Schreiber bin und als Politikberater nicht mehr zum Schreiben gekommen bin. Zweitens wollte ich die verblassende Marke Spreng neu aufladen.
Warum drohte Ihre Marke zu verblassen?
Es bestand die Gefahr, dass ich nach meinem Ausscheiden bei der "BamS" und den Tätigkeiten für Edmund Stoiber und Jürgen Rüttgers in Vergessenheit geriet. Dem wollte ich entgegenwirken. Also habe ich 2009 mein Blog Sprengsatz gestartet.
Hat Ihr Vorhaben geklappt?
Ja. Ich habe jeden Monat 150.000 bis 180.000 Besucher auf meinem Blog, was für eine One-Man-Show sehr gut ist. Dabei habe ich meine Zielgruppe sehr gut getroffen: Journalisten, Politiker, Leute aus Ministerien und politisch sehr Interessierte. Ich habe etwa 12.000 bis 14.000 Stammleser und zahlreiche Kommentatoren. Ich habe meine Ziele erreicht. Mehr Besucher sind natürlich willkommen.
Welche Ziele waren das?
Ich empfinde eine große Freude an der Belebung der Marke Spreng. Ich bin weiterhin als politischer Experte im Rundfunk und Fernsehen gesucht. Ich halte Vorträge und bin aktiv als Berater. Sprengsatz hat diese Marke lebendig gehalten.
Was soll man mit der Marke Michael H. Spreng verbinden?
Kompetenz für Politik und Kommunikation, Meinungsfreude ein gewisses schreiberisches Talent, sowie politische und analytische Fähigkeiten.
Ist das Bloggen eine Marketing-Methode, die Sie auch anderen Journalisten, Medienmachern oder Politikern empfehlen würden?
Nun ja, das kann nicht jeder. Es ist eine Frage der Leidenschaft: Will man schreiben? Kann man schreiben? Macht es Spaß? Für mich ist das auch ein Stück Selbstverwirklichung.
Wo haben Sie sich selbst verwirklicht?
Ich war zum Beispiel auch wortschöpfend und habe das Wort Schwarmfeigheit erfunden als Pendant zur Schwarmintelligenz. Oder auch die Mißfelderisierung als Symbol für die Entwicklung hin zu einem bestimmten Politikertypus. Es wird ja auch häufig aus meinem Blog zitiert oder Kollegen greifen Themen auf. Auch das gehört für mich zur Selbstverwirklichung.
Was haben Sie eigentlich von dem so sensationell gescheiterten Peerblog gehalten?
Nichts. Erstens hatte das mit dem eigentlichen Bloggen nichts zu tun, sondern war eine Wahlkampfaktion, die zweitens völlig verheerend war, weil sie auch noch anonym finanziert wurde. Für einen SPD-Kandidaten ist das katastrophal.
Das bringt uns zu den Parteien. Wie positionieren die sich denn im Netz? Auch als Marke mit Qualitätsanspruch?
Die Parteien sind im Netz nicht besser als sonst auch. Also relativ schlecht. Wenn ich als Partei entscheide, ins Internet zu gehen, verlängere ich das Übel nur. Die Parteien betreiben viele Scheinaktivitäten, die eine Internet-Affinität symbolisieren sollen. Dass die Parteien im Netz sind, heißt noch lange nicht, dass sie modern sind. Was sie aktuell im Internet machen, wirkt auf mich noch sehr unbeholfen.
Also alles noch Neuland im Merkelschen Sinne?
Hier muss man Frau Merkel etwas in Schutz nehmen. Denn wie man ja weiß, war der Kontext, in dem sie den Begriff Neuland verwendet hatte, ja auf terroristische Aktivitäten im Internet gemünzt. In der Internet-Diskussion wurde das verdreht.
Sie waren ja 2002 auch für den Internetauftritt von Edmund Stoiber verantwortlich.
Ja, bereits damals habe ich gelernt, wie wichtig das Netz zur Präsentation eines Politikers oder einer Marke sein kann. Mit den vielen Vertiefungsmöglichkeiten des Internet kann man einen Kandidaten umfassender präsentieren. Wir haben zum Beispiel Grundsatzreden ins Netz gestellt, eine Frage-Antwort-Funktion integriert und ein Stoiber-Wahlkampftagebuch geführt. Für 2002 war das ganz in Ordnung.
Eine Erfahrung, die Sie dann im Rüttgers-Wahlkampf 2010 einsetzen konnten?
Nein, eher weniger. Ich war da nicht Wahlkampfmanager und als Medienberater auch nicht für den Internetauftritt verantwortlich. Ein Landtagswahlkampf ist auch ganz anders als eine nationale Kampagne.
Was würde der Medienberater Michael H. Spreng heute im Jahr 2013 einer politischen Partei oder einem Politiker zur Markenbildung im Netz raten?
Das entscheidende ist eine durchgängige Kommunikation mit den gleichen Inhalten und Botschaften auf allen Kanälen. Und Sie sollten das Internet für Interaktion und Partizipation nutzen. Da haben die deutschen Parteien noch viele Defizite, während die französischen Sozialisten beispielsweise schon Internetmitgliedschaften eingeführt haben.
Warum haben wir in Deutschland Defizite?
Das hat politische Gründe. Interaktion und Partizipation ist für die Führung der Parteien ein hohes Risiko. Sie geben Deutungshoheit und Macht aus der Hand. Viele Spitzenpolitiker haben Angst vor den Geistern, die sie damit rufen können.
Wen würden Sie sich eigentlich noch als Blogger nach Ihrem Vorbild wünschen?
Mir fällt da kein spezieller ein. Aber es gibt viele interessante Menschen, die sich aus der Politik oder dem Journalismus zurückgezogen haben und über einen großen Erfahrungsschatz verfügen.
Was halten Sie davon, wie sich "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann als Marke im Netz präsentiert?
Dass er ins Silicon Valley gegangen ist, ist für mich eine Mischung aus Sabbatjahr und Marketinggag.
Diekmann hat sich dabei ja komplett neu erfunden: Mit Nerdbrille, Wuschelfrisur und Bart... Also auch eine neue Marke geschaffen.
Ganz ehrlich: Das ging für mich bis an die Grenze des Lächerlichen.
Und dann gab es da diese überschwängliche Umarmung von Phillip Rösler...
Das war unklug und falsch von beiden Seiten. Politiker und Journalisten haben Distanz zu wahren. Sie sollen sich nicht duzen und nicht umarmen. Das war fatal für beide, eine Lose-Lose-Situation.
Diekmann hat das ja sofort genutzt und alle möglichen Menschen öffentlich umarmt. Ein kluger Schachzug, um die Marke Diekmann zu positionieren? Muss man das heute als Medienmacher tun?
Kai Diekmann hat ja schon viele Versuche in diese Richtung gemacht. Natürlich ist es ein Trend, dass sich Journalisten als Marke positionieren. Fernsehleute machen das ja schon länger. In Deutschland verstärkt sich das jetzt.
Kai Diekmann hat quasi als erste Amtshandlung nach seiner Rückkehr aus den USA eine Paywall bei Bild.de eingeführt.
Ich glaube, dass die Menschen nur bereit sind zu zahlen, wenn sie dafür einen Mehrwert erhalten. Bei Bild Plus besteht der einzige Mehrwert aus den Bundesligarechten. Aber für die Information, dass Costa Cordalis sich Fett unterspritzen lässt, zahle ich keinen einzigen Lousy Penny.
Wird Sprengsatz.de kostenlos bleiben?
Ich bin ja an einer großen und breiten Wirkung interessiert. Umgekehrt arbeite ich seit vier Jahren kostenlos. Ich denke also darüber nach, nach der Bundestagswahl einen Versuch mit einem niedrigen Betrag zu starten.
Kommen wir zurück zu Diekmanns Kuschel-Kumpel Phillip Rösler. Was würden Sie ihm heute raten, um die eigene Marke zu stärken?
Hmm, das ist schwer. Er kann sich nur zum Positiven entwickeln, wenn er die Chance hat, weiter der Regierung anzugehören. Dann könnte er durch seine Taten als Wirtschaftsminister wieder Boden unter den Füßen erhalten.
Welche Politiker haben heute das Zeug zur echten Marke zu werden?
Bei der FDP ist es Christian Lindner. Wolfgang Kubicki ist ja schon eine, wenn man so will. Bei der CDU ist es nach wie vor Peter Altmaier, wenn er durchhält und sich nicht durch Niederlagen entmutigen lässt. Bei der CSU ist Markus Söder schon auf seine eigene Art eine Marke. Bei der SPD ist es für mich ein Mann wie Thomas Oppermann. Bei den Linken setze ich nach wie vor auf Dietmar Bartsch. Bei den Grünen sind die Marken teilweise ein bisschen angestaubt, da weiß man nicht, was nach der Riege der alten Schlachtrösser kommt.
Und was ist mit den Piraten?
Die sind zum vergessen. Ich habe selten erlebt, wie eine politische Organisation eine solche Chance selbst vermasselt hat. Da kommen sie aus dem Stand in vier Landtage und vermasseln es durch falsche Figuren, inneren Streit und die Unfähigkeit, auf allen politischen Feldern sprechfähig zu werden. Das ist schon eine besondere Kunst. Heute ist die Marke der Piraten diffus und fragwürdig – was ich schade finde, denn sie hätten dem Parteiensystem gut getan.
Und Sie selbst. Wie geht es weiter mit der Marke Spreng und dem Blog Sprengsatz?
Nun ich werde am 10. Juli 65. Und mit Sprengsatz ist es mir gelungen, das Rentenalter ein bisschen auszutricksen und einen fließenden Übergang zu schaffen. Ich werde das also weiter machen und sehen, ob mich die Leute weiterhin als Experten haben wollen.
Das Interview führte der Journalist und Blogger (www.lousypennies.de) Karsten Lohmeyer für das W&V-Blog Markenschau.