
Werbung, die die Welt nicht versteht
Die Motto-Manie greift um sich. Der Erfolgsdruck von Managern senkt die Halbwertzeit von Slogans und Claims. Erschwerend kommt hinzu: Englische Schlagworte werden oft gar nicht verstanden.
W&V-Interview: Endmark-Chef Bernd Samland erklärt, wann ein Claim gut ist.
W&V: Herr Samland, was fällt Ihnen ein, wenn Sie "Public Viewing" hören?
Samland Die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen.
Und wer hat das verbrochen?
Wir haben versucht, das zu recherchieren, aber es will jetzt keiner mehr gewesen sein. Jedenfalls stammt es aus dem unmittelbaren Umfeld des DFB und wurde kurz vor der WM 2006 in Umlauf gesetzt. Die Medien haben es dann unreflektiert übernommen. Manchmal haben wir es schon mit einer grandiosen Gedankenlosigkeit zu tun.
Aber doch bitte nicht in der Werbung ...
Gerade dort! Möchten Sie einige Beispiele hören?
Nur zu!
"Life by gorgeous" – der Claim für den Jaguar XK – wurde von vielen mit "Leben in Georgien" oder "Leben bei George" übersetzt. "The Beck’s experience" hieß auf einmal "Beck’s Experiment" und "Drive alive" mit der Mitsubishi Pkw’s bewarb, kam als "Fahre lebend" oder "Die Fahrt überleben" rüber, obwohl "Lebendiges Fahren" damit gemeint war. Aber so gut Englisch sprechen nur wenige deutsche Familienväter. Solche Sprüche, um es kurz zu sagen, führen zu unnötigen Irritationen, und ich frage mich, ob damit die Positionierung des Produktes getroffen wird oder ob es letzten Endes nicht doch dem Produkt schadet.
Deshalb also auch Ihr bedingungsloses Plädoyer für die Muttersprache?
Nicht immer, aber immer öfter. Das heißt, es gibt durchaus Fälle, in denen Englisch seine Berechtigung hat, aber selten bei klassischen Verbrauchs- und Konsumgütern. Das hat jetzt nichts mit Ideologie oder Deutschtümelei zu tun. Es geht ganz einfach um den Erfolg. Dass die Muttersprache besser emotionalisiert und außerdem auch eine weitere höhere Merkfähigkeit bedeutet, haben alle Studien in der Vergangenheit bewiesen. Wir hatten mal eine Untersuchung zum Thema Fluktuation gemacht und stellten bei Adidas fest, dass der Konzern in den zurückliegenden zehn Jahren 42-mal mit verschiedenen Product- und Corporate-Claims – alle in Englisch – auftrat. Mit einer solchen Strategie lässt sich natürlich nur schwer ein Markenbild aufbauen oder unterstützen. Einer der mehrfach eingesetzten Claims von Adidas lautet bekanntermaßen "Impossible is nothing" – vergleichen Sie das einfach mal aus Wirkungssicht mit Toyotas "Nichts ist unmöglich.
Nun gibt es ganz offensichtlich unterschiedliche Auffassungen: Viele Agenturen und Marketingleute sind der Meinung, dass man mit Englisch näher am Zeitgeist und damit auch am Business sei.
Es ist ein großer Fehler, den viele Werbestrategen machen, wenn sie meinen, Englisch sei weltläufiger, zeitgeistnäher und wirkungsvoller. Dass Englisch besser klingt, stimmt nur manchmal. Aber noch immer gibt es ein klares Kriterium für einen guten Claim: Wenn er Teil der Alltagssprache geworden ist, habe ich einen guten Claim. Das klingt jetzt sehr abstrakt, aber Sprüche wie beispielsweise "Wohnst du noch, oder lebst du schon", "Quadratisch, praktisch, gut" oder "3,2,1 meins" sind Slogans, die hängenbleiben. Sie werden in der Alltagssprache benutzt und zahlen dadurch auf die Marke ein. Das zweite und letzte Kriterium ist die Emotionalität: "Ich liebe dich" klingt in deutschen Ohren doch viel emotionaler und damit authentischer als "I love you".
Wo könnten die Gründe dafür liegen, dass Englisch für deutsche Werber mehr Gewicht hat als ihre eigene Sprache?
Ich habe den Verdacht, dass es oftmals ein Mangel an Kreativität ist, weil man im Englischen einfach unverbindlicher sein kann. Wir Deutsche lieben ja die englische Sprache so stark, dass wir ständig neue englische Wörter erfinden. Das fing beim "Oldtimer" an, den es im Englischen nicht gibt und geht über das Handy bis zum Beamer, der in Englisch übrigens „projector“ heißt. Das ist auch völlig okay, solange es nicht peinlich wird, und wir uns im internationalen Kontext lächerlich machen wie eben mit "Public Viewing" oder etwa "Bodybags" als modische Bezeichnung, die in Englisch allerdings für "Leichensäcke" steht. Dennoch: Englisch ist die Weltsprache und deshalb darf man auch keine generelle Tabuisierung vornehmen, vor allem im B-to-B ist Englisch wichtig und richtig. Ebenso macht Englisch dort Sinn, wo Themen von englischer Terminologie geprägt sind, wie etwa bei Trendsportarten. Oder sagen Sie Schneebretter statt Snowboards?
Wenn Sie jetzt den deutschen Werbestrategen eine Empfehlung in Sachen Claims geben könnten – was würden Sie ihnen außer dem weit gehenden Verzicht auf Anglizismen ins Stammbuch schreiben?
Das sind zwei Dinge, die aber mehr miteinander zu tun haben, als es auf den ersten Blick scheint und die sich zugespitzt wie folgt zusammenfassen lassen: "Folge keinen Trends, wenn du originell sein willst und bewerte die Marktforschung nicht über!"
Das heißt?
Jede Marke lebt in erster Linie davon, sich von anderen Marken zu unterscheiden, und das tut sie umso besser, je einzigartiger sie für sich wirbt. Wenn alle den gleichen Trends folgen, wird es schwer mit der Einzigartigkeit. Und wenn man in einer falsch angelegten Marktforschung fragt, wie Konsumenten zum Beispiel einen Claim finden, werden diese meistens denjenigen als gut, eingängig und passend bewerten, der ihnen bekannt vorkommt – und das ist eben niemals der Einzigartige. Noch kürzer: mehr Mut!