
Big Date im Streaming:
Was der Netflix-Algorithmus über Zuschauervorlieben weiß
Vor allem interessiert die Macher bei Netflix, was die Zuschauer als nächstes interessieren könnte - das wissen die oft selbst noch nicht.

Foto: Netflix/Ausschnitt
Es kann passieren, dass sich einer noch nie für Superhelden oder Horrorgeschichten interessiert hat - und sie dann doch schaut, sobald sie auf Netflix laufen. Empfehlungsalgorithmus sei Dank. Der Streaminganbieter, der mittlerweile 104 Millionen Abonnenten weltweit von seinen Angeboten überzeugt hat, nennt das Wissen um die künftigen Interessen seiner Zuschauer die "Netflix-Superkraft". Und die hat das US-Unternehmen nun näher untersucht. Es geht dabei nicht um Genres, sondern um Themenbereiche.
Die Vorlieben der Zuschauer sind offenbar gar nicht so eng gefasst, wie man es vermuten würde. So hat den Netflix-Daten zufolge zum Beispiel nur jeder achte Zuschauer der Marvel-Serien auf Netflix vorher schon einmal bei einer Comic-Verfilmung eingeschaltet. Stattdessen würde das Publikum seinen Weg zu "Daredevil", "Jessica Jones", "Luke Cage" und "Iron Fist" über andere Serientitel entdeckt - aufgrund der Empfehlung des Streamingdienstes. Als weiteres Beispiel führt Netflix "Stranger Things" an: Die viel beachtete Serie trägt nicht ganz zu Unrecht das Etikett "Horror". Aber lediglich jeder fünfte Fan der Serie guckte davor Horrorformate auf der Plattform. Von den "Black Mirror"-Zuschauern hatte nur jeder siebte einen Bezug zu Sciencefiction-Titeln, bevor er über die britische Serie die dunkle Seite der Technik kennenlernte.
Mit Algorithmus raus aus der Gattungs-Filterblase
"Bei Netflix wissen wir, dass Genres nur sehr oberflächlich die Gattung eines Titels beschreiben. Aus diesem Grund arbeiten wir hart daran, Algorithmen zu kreieren, die dem Zuschauer helfen, diese oft klischeehafte und vage Kategorisierung von Filmen und Serien zu durchbrechen. So kann jeder seine Lieblingsstorys finden – ganz ohne Barrieren und über die bisherigen Genregrenzen hinaus", sagt Todd Yellin, Vice President of Product.
Was aber ist es, das die Gattungsbarrieren überwinden hilft? Dazu hat Netflix das Sehverhalten seiner Mitglieder von 2015 bis 2017 untersucht. Zum Beispiel wurden unter denjenigen Zuschauern, die vor den Marvel-Serien noch nie Inhalte mit der Kennzeichnung "Superhelden" gesehen hatten, die weltweit 10 beliebtesten Titel ermittelt, die diese Gruppe zuvor gesehen hatte. Damit ließen sich die Serien identifizieren, die als eine Art "Türöffner" für das Binge-Watching des Marvel-Universums fungierten.
Antihelden, starke Frauen und düstere Welten als Türöffner
Zu Marvels "Daredevil" kamen beispielsweise viele Zuschauer, die gern ambivalente Charaktere mögen: Sie schauten "Breaking Bad" oder "Bloodline" und mochten auch den zwischen Gut und Böse mäandernden "Dexter".
"Jessica Jones"-Fans wurden über scharfen Humor, starke Frauen und dunkle Verbrechen zu der Marvel-Serie geführt. Das Spektrum ist breit und reicht von "Master of None" und den eher fröhlichen "Friends" über die Frauenknast-Serie "Orange is the New Black" bis zu Krimidokus wie "Making A Murderer" (siehe Grafik ganz oben/Ausschnitt).
Der Superheld wider Willen "Luke Cage" gewann sein Publikum über Serien, die die dunkle Seite der Gesellschaft thematisieren. Ist "Amanda Knox" wirklich schuldig des Mordes? Wie gefährlich ist moderne Technik wie in "Black Mirror"? Wie düster ist die Welt - die echte wie in "Narcos" oder die Zombieapokalypse aus "The Walking Dead"? Seher dieser Formate waren leicht für "Luke Cage" zu gewinnen.
Vom Waisen zum Verbrechensbekämpfer wird Danny Rand in Marvels "Iron Fist". Da liegt es nahe, dass vor allem Coming-of-Age-Geschichten die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Comiceverfilmung lenkten. Sie traf den Geschmack von Fans der Serien "Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why)", "Love" und "Ultimate Beastmaster": einer Wettkampf-Spielshow.
Die vier genannten Helden sind nun in einer neuen Reihe zu sehen: Marvels "Defenders" laufen seit 18. August bei Netflix und drehen sich darum, wie die vier acht Folgen lang gemeinsam in New York gegen dsa Böse kämpfen. In weiteren Rollen sind unter anderem Stars wie Sigourney Weaver, Rosario Dawson, Carrie-Anne Moss und Scott Glenn zu sehen.
Hier der erste Trailer:
Den Weg zur neuen Serie stellt sich Netflix seinen Daten zufolge dann so vor. Denn wer einen oder mehrere der Helden mag - oder die Formate, die ihn dorthin führten - der findet vermutlich auch zum Viererpack.
Netflix hat mit den Marvel-Verfilmungen großen Erfolg. Wird diese aber 2019 wohl verlieren: Marvel gehört zu Disney, und der Unterhaltungskonzern hat die Partnerschaft mit Netflix aufgekündigt: Disney plant einen eigenen Streamingkanal. Netflix hat vorsorglich schon einmal den Comicverlag Millarworld gekauft, von dem unter anderem die Vorlage zu "Kingsman" stammt. Zudem haben der Streamingdienst und sein großer Wettbewerber Amazon Video ihre Teams hochkarätig verstärkt: Netflix holte sich Produzentin Shonda Rhimes ("Grey’s Anatomy", "Scandal", "How to Get Away with Murder") von ABC, zu Amazon kommt "The Walking Dead"-Erfinder Robert Kirkman.