
Kommentar von Thomas Nötting:
Was der Kickback-Streit um Haribo für die Branche bedeutet
Der Streitfall Haribo gegen Mediaplus muss noch mal aufgerollt werden. W&V-Redakteur Thomas Nötting erklärt , warum sich der Konflikt zwischen Mediaagentur und Kunde auf die gesamte Branche auswirken könnte.

Foto: W&V / Thomas Dashuber
Man stelle sich vor, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gewinnt am 10. Juli das Endspiel der Europameisterschaft mit zwei zu eins gegen – sagen wir - Frankreich. Aber ein Uefa-Gericht urteilt später, das Siegtor von – sagen wir – Thomas Müller in der 86. Minute war ungültig. Die Partie müsse wiederholt werden. Die große Meisterparty am Brandenburger Tor wäre schon gefeiert. Die Ernüchterung und der Schock wären unvorstellbar groß.
Genau so etwas ist jetzt der Agentur Mediaplus passiert. Der Mediaagentur-Arm der Münchner Serviceplan-Gruppe hatte eigentlich ein wichtiges Finale vor Gericht schon gewonnen. Das Oberlandesgericht München hatte im Juli 2014 eine Klage der Firma Haribo gegen Mediaplus abgewiesen. Der Süßwarenhersteller wirft seiner ehemaligen Mediaagentur vor, ihm zustehende Bündelungs- und Naturalrabatte nicht ausgezahlt zu haben. Diese Rabatte hatte der übergeordnete Einkaufsverbund Magnaglobal-Mediaplus erwirtschaftet. Die Begründung der Richter: Haribo hatte zwar einen Vertrag mit Mediaplus, nicht aber mit der Einkaufsfirma – einem Joint-Venture von Mediaplus und Interpublic. "Zwischen der Klägerin" und dem Einkaufsverbund "bestehen keinerlei vertragliche Beziehungen", heißt es im Urteil auf Seite 5. Magnaglobal-Mediaplus sei "daher gegenüber der Klägerin nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und Gegenstände herauszugeben". Der Abpfiff war endgültig. Eine Revision ließen die Münchner Richter nicht zu. Sieg für Mediaplus, bittere Niederlage für das Team Goldbären.
Doch diesen Januar überstimmte der Bundesgerichtshof überraschend die Münchner Richter und rollte das Verfahren wieder auf. Ein Vorgang, der in der Welt der Juristerei nur selten und bei Fragen größter Relevanz vorkommt. Jetzt hat der BGH entschieden: die Partie Mediaplus gegen Haribo muss wiederholt werden. Die Bundesrichter ordneten eine erneute Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München an. Alles wieder offen.
Warum ist das Thema so wichtig? Die Frage, wer im Recht ist, ist zwar spannend, aber eigentlich gar nicht so entscheidend. Mediaplus hat stets betont, alle dem Kunden zustehenden Gelder an Haribo ausgezahlt zu haben. Das Bonner Unternehmen sieht das anders. Doch es geht um viel mehr, als nur um den Streit zweier einstiger Geschäftspartner um Geld. Es geht um grundlegende Geschäftsmodelle von Mediaagenturen. Es geht um die alte Streitfrage: wem gehören die Rabatte und Einkaufsvorteile? Dem Kunden, mit dessen Werbegeld sie erzielt werden? Oder der Agentur, die sie erwirtschaftet? Es geht darum, ob Mediaagenturen Dienstleister und Berater sind, oder eine eigene Wirtschaftsstufe – oder irgendetwas dazwischen.
Zwar haben die Karlsruher Bundesrichter jetzt gesagt, dass es hier keineswegs ein Grundsatzurteil anstehe. Es gehe nur um den speziellen Fall. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens für die Branche. Wie immer das Endergebnis des juristischen Nachspiels ausfallen wird: es wird große Bedeutung haben, wie Werbungtreibende und Mediaagenturen ihre Geschäftsbeziehungen und Verträge künftig gestalten. Urteilen die Richter pro Haribo, wäre höchstrichterlich festgestellt, dass Mediaagenturen auch Rabatte von verbundenen Schwesterunternehmen an die Kunden auszahlen müssten, mit denen sie keine eigenen Verträge haben.
Und dieses Thema ist heute ungleich gravierender als noch 2004, als der Streit zwischen Haribo und Mediaplus begann. Denn in den weit verzweigten Kanälen der digitalen Werbung gibt es inzwischen ungleich mehr mit den Media-Networks verbandelte Dienstleister, die am Geschäft mitverdienen. Sollten die Richter dagegen Mediaplus recht geben, wäre das Geschäftsmodell von Mediaagenturen als eigene Wirtschaftsstufe gestärkt. Und Unternehmen, die auf ihr Ansprüchen pochen, müssten ihre Mediaverträge darauf einstellen.
Wie das Endspiel ausgehen wird, ist unklar. Der BGH hat den Ball nach München zurückgespielt. Er ist in der Luft – man wird sehen, wo er einschlägt.