
Interview:
Was Marken von Abercrombie & Fitch lernen sollten
Mainstream-Medien berichten häufig kritisch über die polarisierende Modemarke Abercrombie & Fitch. In Sachen Marketingstrategie macht A&F jedoch alles richtig. Andere Labels sollten sich davon eine Scheibe abschneiden, findet Branding-Experte Lucas von Gwinner.
Mainstream-Medien berichten häufig kritisch über die polarisierende Modemarke Abercrombie & Fitch. In Sachen Marketingstrategie macht A&F jedoch alles richtig. Kein anderes Mode-Label schafft es so leicht, dass die Kunden vor den Läden Schlange stehen. Hinsichtlich der konsequenten Markenführung und glasklaren Positionierung sollten sich andere von A&F eine Scheibe abschneiden, sagt Branding-Experte Lucas von Gwinner im "Markenschau"-Interview.
Dank einer radikalen Marketingstrategie wurden Abercrombie & Fitch und Hollister für eine bestimmte Zielgruppe zu begehrten Kultmarken. Allerdings sorgt das inszenierte Image von "Perfektion und Makellosigkeit" auch für viel Kritik und schlechte Presse. Wird es für die Marke langsam gefährlich oder nutzt jede Berichterstattung eher dem Konzern?
Lucas von Gwinner: Wegen der radikalen Marketingstrategie wird es nicht gefährlich, die funktioniert perfekt. Abercrombie & Fitch positioniert sich bewusst elitär und abgehoben. Da ist jede naserümpfende Berichterstattung etablierter Medien eine Bestätigung. Aus Marketing-Sicht kann es für Abercrombie nur gefährlich werden, wenn makellose Jugendlichkeit und die Zugehörigkeit zu einer Elite nicht mehr en vogue sein sollten, aber dafür sehe ich keine Anzeichen. Zweifelhafte Geschäftspraktiken könnten dem Konzern dagegen schon gefährlich werden. Und die exponierte Stellung der Marke würde ein Medieninteresse daran katalysieren.
Für negative Schlagzeilen sorgen vor allem Äußerungen von CEO Mike Jeffries, der lieber gut aussehende und "coole" Kunden in seiner Mode sehen will. Wird er für die Marke zum Problem? Oder fühlen sich Abercrombie & Fitch-Kunden erst recht bestätigt?
Mike Jeffries schießt mit seinen Aussagen oft über das Ziel hinaus. Aber seine Statements und auch seine Person wirken für die Marke positionierend. Und am Ende hält er die Marke damit im Gespräch, sehr viel besser sogar als z.B. Fred Perry oder Lacoste das schaffen. Aus Marketing-Sicht ist Mike Jeffries also eher hilfreich als schadend.
In der BR-Sendung "Kontrovers" wurden vor gut zwei Wochen neue Vorwürfe gegen Abercrombie & Fitch erhoben. Kann sich A&F als Marke mit Premium-Preisen miese Arbeitsbedingungen bei Zulieferern und giftige Stoffe in der Kleidung leisten? Wieviel verzeihen Kunden einer Kultmarke?
Nein, das kann sich keine starke Marke leisten. Prekäre Produktionsbedingungen oder giftige Ware bergen gerade für klar profilierte Marken die Gefahr eines nachhaltigen Imageschadens. Bei No-Names interessiert es niemanden, aber populäre Marken müssen damit rechnen, dass jeder Bereich ihres Geschäfts öffentlich beleuchtet wird. Nicht umsonst hat Apple extrem schnell und mit viel Medienrummel reagiert, als durch Mitarbeiter-Selbstmorde die prekären Produktionsmethoden ihres Zulieferers Foxconn öffentlich wurden. Und McDonalds betreibt einen immensen Aufwand, um bloß in keinen Lebensmittelskandal zu geraten. Ehrlich gesagt verwundert es mich, dass Abercrombie & Fitch zu den Vorwürfen aus den BR-Recherchen bislang schweigt. Offenbar war die öffentliche Empörung noch nicht groß genug.
Wie zahlreiche andere Modemarken hat auch Abercrombie & Fitch die Sicherheitsvereinbarung für die Textilfabriken in Bangladesh unterschrieben, wie aktuell auch Puma. PR oder echt? Was meinen Sie?
Tja, was soll man da sagen. Die marktüblichen Produktionsbedingungen von Mode sind nach wie vor erschütternd. Dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie dieses Problem lösen wage ich persönlich kaum zu hoffen. Es ist absurd und zynisch, aber starke Marken tragen vermutlich mehr zur Lösung bei: Jedes Premium-Label, das prekärer Produktionsbedingungen überführt wird, sorgt unfreiwillig für mehr Öffentlichkeit. Denn Stories über Textilfabriken in Bangladesh, bei denen nur No-Name-T-Shirts aus den Trümmern gezogen werden, will schließlich keiner von lesen, oder?
Was können andere Marken von Abercrombie & Fitch lernen? Was sollten sie lieber lassen?
Lernen können wir, wie perfekt eine radikal konsequente Markenführung auf Basis einer klaren Positionierung funktioniert. Und ganz ehrlich: Da sollten so manche Labels, die sich Weltverbesserung auf die Fahnen geschrieben haben, dringend mal eine Scheibe abschneiden. Konsequente Markenführung ist schließlich kein Selbstzweck oder gar rosaroter Marketing-Zuckerguss, sondern elementarer Erfolgsfaktor für nahezu jede Unternehmung. Positive Beispiele dafür sind kleine Marken wie die faire Bio-Limonade LemonAid aus Hamburg oder die eco-animal-humanfriendly Mode-Boutique DearGoods aus München. Die betreiben ihr Marketing letztlich nach der gleichen Methode, die auch Abercrombie & Fitch nutzt. Die zweifelhaften Geschäftspraktiken lassen sie dagegen weg.
Im dem Beitrag äußerte der BR-Reporter die Vermutung, dass in Deutschland der Hype um Abercrombie & Fitch bald nachlassen wird. Wie ist Ihre Meinung?
Die Frage habe ich mit den BR-Reportern auch lange diskutiert. Es gibt Anzeichen für Grenzen des Hypes: In den USA betreibt A&F kleinere Outlets in Shopping Malls – mit überschaubarem Erfolg. Und auch beim eCommerce tun sie sich offenbar schwerer. Aber überall dort wo die Marke reinrassig und ganzheitlich inszeniert wird, ist sie erfolgreich. Wenn sie das beherzigen, wird der Hype vermutlich noch eine ganze Weile halten. Ich kenne einfach wenig andere Premium-Modemarken mit dem Potenzial, Tag für Tag Schlangen vor ihren Läden zu bilden.
Interview: Frauke Schobelt