
Big Data:
Was Display-Werbung vom E-Mail-Marketing lernen kann
Bei Display-Werbung spalten sich die Meinungen: die einen preisen neue Technologien und Formate, die anderen stören sich an mangelnder Sichtbarkeit und nervigem Retargeting. Dabei könnten Werbungtreibende, die ihre Daten geschickt einsetzen, ein Vielfaches aus ihren Display-Kampagnen herausholen, meint W&V-Leserautor Samir Reinert, Sociomantic Labs.

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Bei Display-Werbung spalten sich die Meinungen: die einen preisen neue Technologien und Formate, die anderen stören sich an mangelnder Sichtbarkeit und nervigem Retargeting. Dabei geht es in beiden Lagern um dieselbe Sache: die Aufmerksamkeit des Users. Wenn Werbungtreibende ihre Daten geschickt einsetzten, könnten sie ein Vielfaches aus ihren Display-Kampagnen herausholen.
E-Mail, Content Marketing, Social Media Engagement, Retargeting, M-Commerce, Big Data – sie alle wurden einst für den Heiligen Gral des Online-Marketings gehalten. Keiner davon war es. Der wirkliche Star unserer Branche wurde übersehen: der User. Noch nie waren wir dem User so nahe, wie heute: Schnäppchenjäger, Luxusgenießer, Hundebesitzer, Vielflieger, Gelegenheitskäufer, Power Shopper – First-Party-Daten verraten uns, wer unsere Kunden sind.
First-Party-Daten sind unternehmensinterne Daten, die Werbetreibenden in den eigenen Systemen bereits vorliegen. Im Gegensatz zu den viel diskutierten Big Data sind First-Party-Daten bereits strukturiert, zugänglich und rechtlich unbedenklich. Die Herausforderung ist es, sie richtig aufzubereiten und nutzbar zu machen.
Was E-Mail-Marketing recht ist, sollte Display billig sein
Im E-Mail Marketing hat man die Kraft unternehmenseigener First-Party-Daten längst verstanden. Mittels fein abgestimmter Kundensegmente liefern E-Mail-Technologien die richtige Botschaft in die richtige Inbox: Neuerscheinungen, Produktempfehlungen, Sonderaktionen, Promotions – allesamt passend zu den Interessen und Vorlieben des Kunden. Auch Websites bieten immer bessere Personalisierungslogiken um dem Kunden schnell den für ihn relevanten Content zu präsentieren, online wie auch mobile.
In der Display-Werbung hingegen werden First-Party-Daten erst seit etwa einem Jahr wirklich ernst genommen. Noch viel zu oft verfolgen simple Retargeting-Kampagnen User mit derselben Jeans und halbherzigen Produktempfehlungen durchs Netz – im schlimmsten Fall ohne User-individuelles Frequency Capping. Dabei können einfache Datenstrategien bereits viel bewirken. Wer seine Kampagne in neue User und bestehende Kunden segmentiert, kann zum Beispiel relevantere Produkte empfehlen und Promotions gezielter für die Neukundengewinnung nutzen.
Wer einen Schritt weiter gehen möchte, sollte sich die eigenen Daten etwas genauer anschauen. Gibt es saisonale Trends? Unterschiedliche Nutzungsmuster? Wichtige User-Gruppen? Für den Last Minute-Reiseanbieter L‘tur zum Beispiel sind Details und Rückschlüsse aus dem Online-Buchungsverhalten seiner User wichtig. Ein Blick in die Daten hat gezeigt, dass es eine klare Tendenz gibt, wann bestimmte Reisen geplant und gebucht werden.
Buchungskurve
Was, wenn man mit Hilfe dieser Daten User genau dann mit passenden Angeboten ansprechen könnte, wenn eine Buchung erfahrungsgemäß am wahrscheinlichsten ist? Gesagt getan: L’tur hat seine Insights genutzt, um drei strategische User-Segmente zu bilden: kurzfristige, mittelfristige, und langfristige Reiseplanung. Dadurch kann L’tur seine User nicht nur zum bestmöglichen Zeitpunkt vor der Buchung ansprechen, sondern auch weitere saisonale Trends der Reisebranche berücksichtigen: In der Frühbucherzeit am Anfang eines Jahres wird der Werbedruck im Segment der langfristig planenden User erhöht, während der Last Minute-Saison im Sommer konzentrieren sich die Investitionen auf das Segment der kurzfristig planenden. Auch den Empfehlungsalgorithmus hat L’tur mit seinen Daten auf Relevanz getrimmt: Anstatt verschiedene Hotels in der selben Region bekamen User Empfehlungen für ähnliche Reiseziele zum selben Preis, oder eine andere Region im selben Land.
"Unser Ziel war es, unsere gesammelten Daten intelligenter zu nutzen um unsere User besser anzusprechen", erklärt Anja Köster, Teamleiterin Performance Marketing bei L’tur. "Wir müssen unseren Usern schneller das passende Angebot liefern, um relevant zu bleiben. Dazu müssen wir punktgenau personalisieren und individuelle Bedürfnisse ansprechen, online ebenso wie auf mobilen Endgeräten."
Nach drei Monaten hatte die segmentierte Kampagne im Vergleich zur vorherigen, einfachen Retargeting-Kampagne eine deutliche Performance-Steigerung erzielt. Während Sales, Umsatz und Conversion Rate (CR) um 70 Prozent und mehr zulegten, stiegen die Kosten um nur 24 Prozent. Die Gleichung dahinter ist einfach: Je mehr Relevanz die Werbung für den User schafft, desto effizienter arbeitet das Budget. "Die intelligente Nutzung der Bewegungsdaten der Kunden auf unserer Seite ist der Treibstoff des digitalen Vertriebs. Unser Ziel ist es, dieses immense Potenzial noch besser auszuschöpfen", fasst es Rüdiger Peters, Director E-Commerce bei L’tur zusammen.
Performance-Veränderung nach der Segmentierung
Jeder hat Daten, die seine Kunden charakterisieren
Website-Behavior und -Analytics sind erst der Anfang. Jede Branche hat Datensysteme mit Potenzial für intelligentere Online-Werbung. Sei es das CRM-System eines Online-Kaufhauses oder das Revenue Management einer Airline – die hier gesammelten Daten erlauben tiefe Einblicke in langfristige Kundenstrukturen und Entwicklungen. Immer mehr Werbetreibenden erkennen das Potenzial und verfeinern ihre Datenstrategie mit den gewonnenen Insights.
Ein Mobilfunkdienstleister kann so zum Beispiel zwischen Vertragskunden und Prepaid-Nutzern unterscheiden, ein Kleinanzeigenanbieter ROI-starke Postleitzahlengebiete besser ansprechen, ein Mode-Retailer loyale Bestandskunden mit passenden Up- und Cross-Selling-Angeboten pflegen. Eine ausgefeilte Datenstrategie unterscheidet User-Gruppen dabei nicht nur auf Desktop, sondern auch auf Facebook und mobilen Endgeräten – jeweils mit einer eigenen Segmentierungslogik.
Hyper-Segmentierung statt Gießkanne
Daten haben Display-Werbung revolutioniert: vom einfachen Retargeting der ersten Stunde über die Neu- und Bestandskundenstrategien der letzten Jahre bis hin zu komplexen CRM-Gruppen auf allen Kanälen, wie wir sie heute immer öfter sehen. Dieser Trend hin zur Hyper-Segmentierung wird sich in den nächsten Monaten fortsetzen während weitere Unternehmen ihre CRM-Systeme für programmatische Technologien öffnen. Damit wird sich auch unser Verständnis von Kundenbeziehungen verändern.
Wer die richtigen CRM-Daten verbindet und analysiert, lernt seine wertvollsten User kennen: die Kunden mit dem höchsten Customer Lifetime Value (CLV). Der CLV beschreibt den Wert eines Kunden über seine gesamte Zeit als Kunde hinweg. Ein Beispiel: Ein User eines Modelabels mit 483 Euro Warenkorbwert scheint auf den ersten Blick ein wertvoller Kunde zu sein. Was aber, wenn die Marge der bestellten Artikel gering ist oder er 85 Prozent der Bestellung zurückschickt? Und was, wenn er das jeden Monat so macht? Der CLV berücksichtigt diese Faktoren. Dadurch kennen Werbetreibende den langfristigen, effektiven Wert eines Kunden, anstatt nur den Wert einer einzelnen, unabgeschlossenen Transaktion.
Was, wenn man CLV-Werte und Online-Werbung nutzen könnte, um seine wertvollsten Kunden mit passenden Angeboten noch wertvoller zu machen? Kann man. Wer den CLV in seine Segmentierungsstrategie integriert, kann seine Investitionen auf wichtige Kunden mit großen Bestellwerten, geringen Rücksendequoten, häufigen Bestellungen und hohen Margen konzentrieren, während User mit niedrigem CLV ausgeschlossen werden können.
Marketing braucht IT
Die Personalisierung anhand von User-Bedürfnissen – durchsuchte Produktkategorien, angesehene Artikel, benutzte Suchfilter, vorherige Bestellungen, relevante Produktempfehlungen, Warenkorbartikel – ist nur ein Aspekt einer intelligenten Datenstrategie: der User-Aspekt. Hier geht es um Relevanz und Mehrwert, eine persönliche Ansprache und gute Angebote – also die Optimierung im Sinne des Users.
Während der User zu Recht im Mittelpunkt steht, müssen Kampagnen aber auch im Sinne des Unternehmens optimiert werden. Das ist der zweite Aspekt einer intelligenten Datenstrategie, der Marketing-Aspekt. Hier geht es um strategische Wertanalysen, die Priorisierung der wichtigsten User-Gruppen und die langfristige CLV-Optimierung für ein effizienteres Marketing.
Die Herausforderung, vor der viele Unternehmen noch stehen, ist die technische Kombination der nötigen Daten aus CRM-Systemen und Data Warehouses. Online-Marketer müssen deshalb noch enger mit IT- und Business-Intelligence-Abteilungen zusammenarbeiten, um Datensilos zugänglicher und ihre Strategien flexibler zu machen. Alles andere ist heute bereits möglich.
Samir Reinert arbeitet bei Sociomantic Labs an der Schnittstelle von Programmatic Display und Daten. Als Senior Sales Manager berät er E-Commerce-Unternehmen weltweit bei der Entwicklung von Datenstrategien und Optimierungsprozessen auf Desktop, Facebook und Mobile. Sein Schwerpunkt liegt auf Retargeting-, Branding- und Prospecting-Kampagnen für die Reise- und Retail-Branche.