
Interview mit Philine von Sell:
Was Audi beim Super-Bowl-Spot falsch gemacht hat
Mit dem millionenschweren Super-Bowl-Spot "Daughter" macht sich Audi für die Gleichstellung von Frauen und Männern stark. Authentische Kommunikation sieht für Markenberaterin Philine von Sell jedoch anders aus. Ein Interview.

Foto: Circle of Values Communications
72.500 Dislikes gegen 58.500 Likes: Warum hat der Audi-Spot "Daughter" auf Youtube mehr negative als positive Kommentare erhalten? Die Filmregisseurin Philine von Sell, die mit ihrer Agentur Circle of Values Communication Marken berät, gibt im W&V-Interview die Antwort darauf: Die Werbung sei - wie es nun mal so oft der Fall ist - gar nicht authentisch oder faktisch gemeint. Daraus sollten Kreative und Marketer lernen. Anstatt sich eine populäre Thematik einfach überzustülpen, müssen sich Kreative und Marketer davor bewusst mit ihr auseinandersetzen.
Der Super Bowl-Spot von Audi macht sich für Gleichstellung stark und hat bisher mehr als zwölf Millionen Views auf Youtube erzielt. Ein Erfolg?
Wahrgenommen wurde der Spot in jedem Fall - das ist ja auch der Sinn, wenn man beim Super Bowl ein Commercial schaltet. Auf der Ebene Likes und Dislikes hat die Botschaft des Spots der Mehrheit nicht gefallen: Da stehen 72.500 Dislikes gegen 58.500 Likes. Kommentare kommen überwiegend von Männern, negative oft von denen, die das Thema Equal Pay nicht in in ihrer Autowelt haben wollen. Frauen stoßen sich mehr daran, wie die Botschaft vermittelt wird.
Was gefällt den Frauen nicht?
In den USA ist gleiche Bezahlung beider Geschlechter seit 1963 gesetzlich verankert. Arbeitnehmer können bei ungleicher Bezahlung ihren Arbeitgeber verklagen. Audi hält sich mit seiner Werbeaussage also erst einmal lediglich an das Gesetz. Da Frauen aber - weltweit - weniger als Männer in vergleichbaren Jobs verdienen, ist das Thema durchaus aktuell. Der Claim propagiert: "Audi of America is committed to equal pay for equal work. Progress for everyone." Die bisherige Kommunikation zu "Equal Pay" lässt bisher aber zu wünschen übrig. Audi fördert eine Nachwuchsregisseurin pro Jahr, und hat den "Equal Pay Pledge" im Dezember 2016 im Weißen Haus unterschrieben – neben 44 anderen Unternehmen. Eine transparente Darstellung darüber, wo das Unternehmen selbst steht und was die konkrete Ziele sind, findet nicht statt. Die Absichtserklärung ist da - aber es gibt keine offenen Karten.
Der Super-Bowl-Spot hätte also mehr kommunikative Vorbereitung gebraucht.
Man könnte verführt sein zu sagen, es ist einfach nur schnöde Werbung und deshalb nicht relevant. Doch die Realität zeigt, wie sensibel die Menschen darauf reagieren, wenn wichtige gesellschaftliche Themen banalisiert werden. Und dies zu Recht. Natürlich kann man eine Nachricht mit einem Paukenschlag raushauen, dann hat man erst einmal freies Feld und hat sich damit als Audi für gleiche Bezahlung positioniert. Das aber ist oft das Problem mit Werbung - sie ist gar nicht authentisch oder faktisch gemeint. Deshalb wäre bei dieser Aktion Transparenz und authentische Kommunikation Pflicht gewesen: eine Deckung von Behauptung und Realität, um dadurch wieder Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
Auf was hätte Audi in der Kreation des Spots fokussieren müssen?
"Audi of America is committed to equal pay for equal work. Progress is for everyone." Das ist eine positive Botschaft. Die inneren Gedanken des Vaters wirken radikal und sollen unter die Haut gehen – eigentlich auch gut. Doch die einführende Frage des Vaters „sage ich ihr, dass ihr Großvater mehr wert ist, als ihre Großmutter, ihr Vater mehr als ihrer Mutter?“ ist eine wirkliche Zumutung. Was ist das für ein Menschenbild, wenn man den unterschiedlichen Wert von Menschen ausschließlich an der Bezahlung festmacht? Und warum sollte der Vater dies seiner Tochter sagen müssen, wenn er selber - wie man ja annehmen soll - eine andere Haltung hat? Das ist gut gemeint, aber völlig daneben.
Das passiert auch anderen Kampagnen, die sich eigentlich für Frauen stark machen wollen wie zum Beispiel #LikeaGirl von Always. Wo liegt häufig der Denkfehler?
Die Beweggründe sind entweder unaufrichtig oder nicht ernsthaft zu Ende gedacht. Außerdem wird die Produktionen häufig von Menschen kreiert und betreut werden, die sich in diesen Gesellschaftsthemen gar nicht auskennen. So entstehen oft unbewusst Fehler, die die Aussage schnell zur Farce machen. Die Themen und die Produktion sind oft fantastisch, wie auch hier – alles ist super gedreht, alles vom Feinsten. Aber dadurch, wie die Geschichten erzählt, die Off-Texte geschrieben, das Setting Ausstattung und Casting gewählt werden, kommen Aspekte hinein, die das Gegenteil bewirken. Man kann sich als Auftraggeber und Macher solche Themen eben nicht einfach überziehen, man muss darin schon sattelfest sein und sich damit bewusst auseinandersetzen. Das ist in diesem Fall schade, da das Thema "Equal Pay" für Audi eine echte Chance wäre.
Was raten Sie Unternehmen, die sich für die Gleichstellung stark machen wollen?
Das Wichtigste: Walk your talk! Tun Sie was sie sagen und sagen Sie was Sie tun. Arbeiten Sie hierfür mit Spezialisten, die sich im Umgang mit gesellschaftlichen Themen und authentischer Kommunikation auskennen und Ihnen helfen diese erfolgreich zu vermitteln. Und was mir wichtig ist, betrachten Sie Ihre Werte-Kommunikation als Teil Ihrer Gesamtstrategie. Kommunikation sollte nicht erst ins Spiel kommen, wenn alles andere schon entschieden ist. Kommunikation kann und muss mehr leisten, als ein Thema oder Produkt gut zu verkaufen. Der Audi-Spot zeigt, was schief laufen kann, wenn nicht klar ist, was wirklich gewollt ist.