IZI/LfM-Studie:
Von Karriere bis Krise: Wie sich Castingshows auf ihre Teilnehmer auswirken
Was macht "DSDS" mit den Teilnehmern"? Wie geht es "Popstars"-Kandidaten danach? Von Karriere bis Krise finden IZI und die LfM alles...
"Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme": So heißt die erste umfassende Studie rund um die Frage, wie Kandidaten von "DSDS", "Popstars" oder auch "The Voice of Germany" die Teilnahme, die Sendung und die Folgen im Nachhinein einschätzen. Die Befragung bringt eine große Spannweite an Erfahrungen zu Tage – "vom professionellen Sprungbrett bis hin zur tiefen Krise", wie die Studien-Partner, das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und die NRW-Medienanstalt LfM zusammenfassen.
Während die Teilnahme für einige ehemalige Kandidaten eine herausragende Wachstumschance sei, führe es andere in jahrelange Häme durch das Umfeld und in eine schwer zu bewältigende Krise. Rund die Hälfte der hier Befragten sehe das "Erlebnis Castingshow-Teilnahme" im Nachhinein eher positiv, viele hätten gemischte Gefühle und für einige sei es eine ausgesprochen negative Erfahrung. Vor diesem Hintergrund fordern IZI und die Medienwächter, dass die Produktionsbeteiligten und Jugendschutzbeauftragten für das Thema sensibilisiert würden. Auch sei es dringend notwendig, dass die Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen gefördert und öffentlich über die Folgen diskutiert würde.
Zurück zur Studie: Erstmals haben IZI und LfM 59 ehemalige Teilnehmer und Teilnehmerinnen von Musik-Castingshows dazu befragt, wie sie das "Erlebnis Castingshow-Teilnahme" empfanden und psychisch verarbeitet haben. Kernthese der Forscher war, dass Musik-Castingshows wie "Popstars“ oder "Deutschland sucht den Superstar" seit Jahren Höchstquoten erzielten, insbesondere bei den werberelevanten jungen Zielgruppen. Damit das Genre so gut funktioniere, brauche es "menschliches Material", unerfahrene junge Talente, die sich entsprechend bereitwillig inszenieren lassen. "Doch wie geht es eigentlich den TeilnehmerInnen währenddessen und im Nachhinein? Sehen sie dies rückblickend als große Chance an oder hat es sie in eine tiefe Krise gestürzt?", so die Fragestellung.
Herausgearbeitet worden sind sieben typische Erfahrungsmuster, die von herausragender Wachstumschance bis hin zur selbstgefährdenden Krise gehen:
Typ 1: Eine insgesamt sehr positive Erfahrung ist die Castingshow-Teilnahme zum einen für Profis, die die Show als Sprungbrett nutzen, wie "The Voice of Germany“-Teilnehmer Behnam Moghaddam, der mit seiner Band "Mokka Express" vermehrt Anfragen für Auftritte bekam.
Typ 2: Positiv war das "Erlebnis Castingshow-Teilnahme" auch für die Neuentdeckungen, wie Jonathan Enns, der bei "DSDS" als 20-Jähriger den 9. Platz erreicht hat. Die Herausforderung für ihn nach dem Medienrummel war es, zu begreifen, "dass du nach der Zeit immer noch der Jonathan bist, der du vorher auch warst".
Typ 3: Abgewertete Hoffnungsträger. Deutlich ambivalenter schätzen im Nachhinein diejenigen die Teilnahme ein, die zunächst positiv und dann aber öffentlich von Sendung und Presse ausgesprochen negativ dargestellt wurden, wie Annemarie Eilfeld. Im Nachhinein sagt sie über diese Zeit: "Ich war 18 Jahre alt und kannte diese Art einer TV-Produktion nicht. Ich vertraute immer allen und im Nachhinein war das naiv und hat mir und meiner Familie sehr viel Schmerz bereitet."
Typ 4: Bei denjenigen, die innerhalb der Castingshow zu unfähigen "Freaks" inszeniert wurden, zeigen sich drei Varianten: Es gibt einige, die als heimliche Komplizen des Mediensystems an ihrer übertriebenen Stilisierung mitgearbeitet haben. Ihnen haben die Dreharbeiten viel Spaß gemacht, mit dem großen öffentlichen Aufsehen nach der Ausstrahlung haben sie allerdings nicht gerechnet.
Typ 5: Dann gibt es diejenigen, die sich der Abwertung nicht bewusst sind, die Beschämung umdeuten und die öffentliche Aufmerksamkeit rund um ihre Person genießen.
Typ 6: Problematisch wird das Leben nach der Ausstrahlung für die Bloßgestellten: Sie gingen naiv und mit großem Vertrauen auf ihre eigene Besonderheit als Mensch in den Prozess. Doch anders als die Rückmeldungen während der Aufnahmen es erahnen ließen, wurden sie in der Sendung als besonders unfähig zur Schau gestellt und müssen nun mit der Häme aus dem sozialen Umfeld leben – zum Teil noch Jahre nach dem "Erlebnis Castingshow-Teilnahme". Eine ehemalige "DSDS"-Kandidatin, deren Bewerbung vielfach und über Jahre hinweg wiederholt wurde und zudem jeder Zeit über das Internet anzusehen ist, berichtet, wie jedes Mal wieder "der ganze Scheiß von vorne anfängt, dass man von jedem angesprochen wird". Im Nachhinein stellt sie für sich fest: "Ich hätte mich niemals dort beworben, wenn ich gewusst hätte, was die mit den Leuten da alles machen, nur um sie blöd darzustellen, nur damit die Leute was zu lachen haben."
Typ 7: In Selbstkrisen gerieten aber nicht nur die durch das Mediensystem offensichtlich Abgewerteten. Einige der Kandidaten waren durch die Anforderungen während und nach der Produktion psychisch überfordert. Das "Erlebnis Castingshow-Teilnahme" mit seinen diversen Krisenpotenzialen führte sie dauerhaft in eine psychische Krise. Eine ehemalige "DSDS"-Kandidatin berichtet: "Ich war damals erst 16 Jahre alt und konnte damit nicht umgehen, bekam später Depressionen und bekomme bis heute mein Leben nicht in den Griff."
Die Rückmeldung der ehemaligen Kandidaten an Sender, Juroren und Produktionsteam fällt entsprechend unterschiedlich aus und geht von: "Du warst absolut perfekt als Coach. Ich habe durch dich für mein Leben so viel gelernt." (an Rea Garvey, "The Voice of Germany“-Juror) bis zu "Es war ein Erlebnis, das ich nie wieder erleben möchte. Es war deprimierend, traurig. Ich bin 16 Jahre alt und bin noch nicht im Stande, solche Sachen auszuhalten. Ich fand es fies, wie du mich behandelt hast. Ich fand es link, was für Lügen du vor der Kamera an mich gerichtet hast und dass du mich zum Weinen gebracht hast." (an Detlef D! Soost, "Popstars").
Die Studie wird bei der LfM-Fachtagung "Sprungbrett oder Krise? – Erlebnis Castingshow-Teilnahme" am 30. April 2013 in Essen im Mittelpunkt stehen. Dort wird auch der Forschungsbericht vorgestellt – von den Autorinnen Maya Götz (IZI-Leiterin) Christine Bulla und Caroline Mendel. Das Ganze ist als LfM-Dokumentation, Band 48 ab dem 30. April online zu finden.