Wulff-Affäre:
Vom Gejagten zum Gewinner? Wie die Medien in der Wulff-Berichterstattung das Lager wechseln
Spätes Mitleid: Den großen Zeitungen konnte Christian Wulffs Rücktritt vor gut einem Jahr gar nicht schnell genug gehen. Jetzt rollen die Krokodilstränen. Eine vergleichende Presseschau 2012 vs 2013 von Vanessa Helfgen.
Seit Dienstag steht fest: Christian Wulff wird bis zuletzt um seine Unschuld kämpfen, eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung lehnte er ab. Und die Chancen hierfür stehen nicht schlecht. Von den 21 Anklagepunkten ist ein einziger übrig geblieben – ein "Schneebällchen", wie es Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung" nennt. Wurde Wulff also zu Unrecht, nicht zuletzt auch durch die Hetzjagd der Medien, vor Gericht und gleichzeitig zum Rücktritt getrieben?
Wie Prantl in seinem Kommentar durchaus selbstkritisch zum Ausdruck bringt, müssen sich neben der Staatsanwaltschaft, die angesichts der dünnen Beweislage einen unverhältnismäßigen Aufwand bei den Ermittlungen betrieben hat, auch die Medien in der Causa Wulff eine gewisse Schuld eingestehen: "Auf den Skandalisierungsexzess folgte der Ermittlungsprozess. (…) Und jeweils fehlte – unter anderem – die Selbstkontrolle. Das darf man, bei allen Unterschieden, die es zwischen einzelnen Zeitungen und Medien gab, so generell feststellen."
Dass sich Christian Wulff selbst überhaupt erst in diese Lage gebracht hat und moralisch nicht unschuldig ist, steht außer Frage. Die Art und Weise aber, wie mit seinen Fehlern umgegangen wurde, muss hinterfragt werden. Und das scheinen auch seine einstigen "Jäger" zu erkennen. Nach über einem Jahr ist Wulff zurück in den Medien – aber diesmal nicht als Gejagter, sondern als Opfer.
Eine vergleichende Presseschau 2012 vs 2013:
Bild, 18.2.2012: "Ist Christian Wulff Opfer einer 'Medien-Kampagne' geworden? Nein. Ist er nicht. Er ist das Opfer seiner selbst geworden. Es geht nicht darum, ob ein Politiker mit Freunden im Urlaub abends ein Glas Saft trinken darf. Es geht um Anstand, Glaubwürdigkeit – und das Gesetz."
Bild, 28.3.2013: „… Für all das muss Christian Wulff schwer büßen. Seine politische Karriere ist am Ende, seine Familie zerbrochen. Wie immer das juristische Verfahren enden mag – dieser Mann ist gestraft genug. Das muss doch mal gesagt werden.“
Zeit, 17.2.2012: „Womöglich müssen wir uns von dem Gedanken lösen, dass ein Staatsoberhaupt heute noch geistig und moralisch führen sollte. Allerdings: Aufrechter und integrer als der bisherige Bundespräsident sollte sein Nachfolger schon sein. Das zumindest.“
Zeit, 6.4.2013: „Auch der ehemalige Bundespräsident hat ein Recht auf eine faire Beurteilung, nicht nur durch die Justiz. (…) Und wer in den Medien einmal nicht auf Wulff herumtrampelt, (…) Besonders bestürzend ist es, wenn ausgerechnet das am Ende unverhältnismäßig wirkt, von dem man sich gerade unvoreingenommene Aufklärung erhofft hatte. (…) Kann es sein, dass ein Bundespräsident am Ende wegen einiger nicht klar zuzuordnender Rechnungen zurücktreten musste? (…)“
FAZ, 18.2.2012: „Auch für Wulff gilt die Unschuldsvermutung. Doch ist anzunehmen, dass die Staatsanwälte sich diese in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Entscheidung schon wegen der absehbaren politischen Folgen nicht leichtgemacht haben. (…) Bei einer nüchternen Betrachtung der Rolle der Presse in dieser Affäre ist jedoch festzuhalten, dass erst ihre Recherchen die Justizbehörden in die Lage versetzten, einen möglicherweise strafrechtlich relevanten Vorgang aufzuklären, den der Bundespräsident mit seinen Erklärungen nur weiter in die Zone des Zwielichts schob, obwohl er selbst das größte Interesse an der Beseitigung aller Zweifel hätte haben müssen.“
FAZ, 9.4.2013: „Viel ist nicht geblieben von dem schweren Geschütz, das die Staatsanwaltschaft gegen Christian Wulff auffuhr. (…)Wulff, der freilich keineswegs nur wegen strafrechtlich bedeutsamer Vorwürfe am Pranger stand, hat stets alle Schuld von sich gewiesen - und scheint nun Recht zu bekommen.
Welt, 18.2.2013: "Wahrscheinlich ist es nicht, dass am Ende der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Christian Wulff die - wie er selbst prognostizierte - "vollständige Entlastung" des ehemaligen Bundespräsidenten stehen wird. (…) Doch so hart das angesichts des persönlichen Dramas von Christian Wulff auch klingen mag - an seinem Scheitern als Bundespräsident ist vor allem er selbst schuld. Er hatte nicht die Statur, dieses schwierige, belastete Amt auszufüllen."
Welt, 10.4.2013: „Wulff handelt richtig. (…) Christian Wulff lehnt eine Verfahrenseinstellung gegen eine Geldbuße ab, weil die Klage auf "Bestechlichkeit" lauten soll. Das ist nachvollziehbar. Denn in Deutschland beendet schon eine Anklage, geschweige denn eine Verurteilung wegen Korruption die bürgerliche Existenz. Das steht in Wulffs Fall in keinem Verhältnis zum konkreten Tatverdacht. (…) Es wäre deshalb gut, wenn das Gericht gründlich über die Zulassung einer Klage nachdächte. Die Klagevermeidung bei minderschweren Fällen ist ein Anliegen der Justizpolitik, um die Gerichte zu entlasten. Es würde seltsam wirken, wenn dieser Vorsatz ausgerechnet bei einem früheren Staatsoberhaupt wegen einer Lappalie in den Wind geschlagen würde.“
FR, 17.2.2012: „Er muss kein Moralist sein, aber er sollte ein Gefühl für Anstand und Moral haben. Wir brauchen keinen Heiligen, aber wir wollen keinen Scheinheiligen. (…) Einer, der zur Nähe fähig ist, aber Distanz zu wahren weiß. Ein Mann, oder eine Frau, egal. Bloß kein Wulff.“
FR, 10.4.2013: „Das muss Wulff sich nicht gefallen lassen. Er hat das Angebot der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Mit seiner Anklage ist bald zu rechnen. Es ist nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich und mit guten Gründen zu wünschen, dass das Gericht die Anklage gar nicht erst zulassen wird.“
SZ, 17.2.2012: „Es ist schlimm, so etwas über einen Bundespräsidenten sagen zu müssen. Aber der Rücktritt von Christian Wulff war fällig, überfälliggeradezu. Wochenlang hat er das Volk zum Narren gehalten. Wie ein Puzzle musste Detail um Detail aneinandergesetzt werden, um am Ende endlich ein klares Bild von einem Mann zu bekommen, der als Saubermann erster Güte von Merkel in dieses Amt gehievt wurde, um vor allem eines zu machen: keinen Ärger. (…) Jetzt ist klar: Wulff hätte nie Präsident werden dürfen. Wer genauer hingeschaut hätte, der hätte das sehen können. Wer sich mit umstrittenen Leuten umgibt wie dem Finanzjongleur Carsten Maschmeyer, der kann vieles werden. Bundespräsident eher nicht. Sein Rücktritt ist der Fall eines längst Gefallenen. Er hat es geschafft. Niemand vor ihm hat das Amt so beschädigt wie er. Niemand vor ihm hat so deutlich sich über alles andere gestellt. Er wollte nicht zurücktreten. Er musste. Es ging nicht mehr anders.“
SZ, 10.4.2013: „Wer hat auf dem Oktoberfest exakt wie viel gegessen, am Tisch von Christian Wulff? Für die Korruptionsermittler ist die Antwort auf diese Frage von erheblicher Bedeutung: In ihrer Anklage wird es um zwei oder drei Stunden gehen, um ein paar alkoholfreie Getränke - und um die Radieschen vom Vorspeisenteller“