Taschenmesser:
Victorinox: Der Schweizer-Mythos wirkt
Diese Aufmachung kennt jedes Kind: Roter Schaft mit Schweizer Kreuz. Das Offiziersmesser mit dem nicht gerade eingängigen Namen Victorinox ist längst eine Industrie-Ikone. Und trotzdem tüfteln Techniker noch immer an ihm herum. Und auch für Kommunikationsstrategen scheint es nichts Schärferes zu geben.
"Sie können Ihre Uhr danach stellen", prophezeit der Mann aus der Schweiz. "Jedesmal, wenn wir mit einem interessanten Produkt kommen, dauert es maximal ein Jahr und schon haben sie es kopiert." "Sie", das sind die Chinesen. Und die kupfern ab, was die Klingenautomaten in ihren Klitschen hergeben. "Mitunter sind sie so geschickt, dass wir es erst beim zweiten Blick bemerken." Dann kommt Urs Wyss aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Leiter Werbung/Sponsoring des Kult-Labels Victorinox berichtet, dass sogar die Verpackung samt Logo millimetergenau nachgeahmt wird und der Strichcode identisch mit dem Original ist. "Du wirst verrückt, wenn Du so etwas siehst."
Das Schweizer Offiziersmesser ist weltweit einer der bekanntesten und originellsten Gebrauchsgegenstände. Das kleine rote Teil mit dem Schweizer Kreuz wird jährlich 26 Millionen Mal in über 200 Ländern verkauft. Hervorgegangen aus dem "Soldatenmesser" (1891) gibt es das Produkt inzwischen in über 100 Variationen. Neuester Schrei: "SwissChamp", das Top-Modell mit seinen 64 Teilen. "Victonrinox", so viel noch am Rande, ist ein Kunstwort und setzt sich aus dem Namen der Mutter des Firmengründers (Victoria) und "Inox" für rostfreien Stahl zusammen.
Ibach, Kanton Schwyz. Hier kommt dem Besucher die Schweiz am schweizerischsten vor – vor allem dann, wenn braune Kühe auf sattgrünen Weiden stehen und sich ein strahlendblauer Himmel über dem Grossen Mythen wölbt, der wie ein Koloss die 4600-Einwohner-Gemeinde beherrscht. Die Kühe, vielleicht noch so viel zum Thema Folklore, stehen fast einen Steinwurf weit vom Eingang eines der erfolgreichsten Unternehmen entfernt, das für eine Weltmarke steht.
In dieser überschaubaren Umgebung arbeiten in drei Gebäudekomplexen 910 Menschen, davon 800 in der Produktion. Der Unternehmensumsatz betrug 2012 rund 510 Millionen Schweizer Franken, von denen 40 Prozent auf das klassische Messer und 15 Prozent auf Haushalt-/Küchenmesser entfallen. Der Rest geht auf das Konto von Uhren (Victorinox Swiss Army), Koffer, Bekleidung und Parfüm. Auch ein schweizerischer Mittelständler darf diversifizieren- und expandieren. Es war eine strategische Entscheidung auch von nationaler Bedeutung, 2005 die schwächelnde Traditionsmarke Wenger aus dem Jura mit ihren Messern, Uhren und Reisegepäck zu übernehmen. Russische Geschäftsleute standen schon parat.
Das Messer. Wohl kaum einem Handwerkszeug widerfährt so viel mythische Verehrung wie dem von Karl Elsener 1897 konstruierten und immer wieder neu erfundenen Gerät. Der Tüftler übrigens war der Großvater des kürzlich gestorbenen Firmen-Patrons Carl Elsener sen., der wegen seiner speziellen Menschenführung in Company wie Kanton sehr verehrt wurde. Die ersten Groß-Abnehmer waren damals, wen wundert’s, die Offiziere der Schweizerische Armee. Während heute Marketingchef Urs Wyss das Messer in aller helvetischen Bescheidenheit als ein "Massenprodukt, wenn auch auf hohem Niveau" bezeichnet, ist es für Luigi Baretella, den Director der Mediaagentur M&M aus Glattbrugg bei Zürich "neben Toblerone der herausragende Botschafter unseres Landes". Dass das Messer es als Industrie-Ikone locker mit der Cola-Flasche oder dem Apple-Equipment aufnehmen kann, ist ein anderes Thema.
Dieses spezielle Image mit seinen ungeahnten Möglichkeiten machen sich gerne auch andere rege zunutze. Die Klingenschleifer aus der Zentralschweiz fanden heraus, dass inzwischen über 200 Unternehmen rund um den Erdball das "Original Swiss Army Knife" für Eigenwerbung einsetzen – hemmungslos als ein Art Trittbrettfahrer wenn es um Effizienz, Zuverlässigkeit und Präzision geht. Dann dient es in Inseraten und auf Plakaten soll als Blickfang für Produkte, auch wenn es dabei nur Ananas in Scheiben eines philippinischen Produzenten geht. Stolz heißt es dazu auf der Victorinox-Homage: "Die typischen Merkmale unserer Taschenwerkzeuge, wie Genialität, Vielseitigkeit und einzigartiges Design garantieren einen unverwechselbaren und bleibenden Imagetransfer."
Dass es überhaupt so weit gekommen ist, dafür haben die Schweizer schon einiges getan. Die außergewöhnliche Funktionstüchtigkeit und Zuverlässigkeit erkannte auch die NASA, die ihre Besatzungen bei den Spaceshuttle-Flügen mit den Produkten aus der Schmiedgasse Nummer 57 in Ibach ausstattete. Das gute Teil ist außerdem auf Expeditionen aller Art mit von der Partie, von Patagonien bis in die Wüste Gobi, und erfreut sich auch in deutschen Amtsstuben allergrößter Beliebtheit. "Super ist das Ding – vor allem auch deshalb, weil es eine Feile hat", erklärt Dr. rer. nat. Ulrike Rockland. Sie ist für die Kommunikation des BAM Bundesamtes für Materialforschung und -prüfung zuständig. Zwar prüft und testet das BAM keine Messer oder Haushaltsgeräte, doch vom Schliff, dem Material und dem Zusammenbau ist man hier stark beeindruckt: "Es ist einfach unverwüstlich und seine Klinge, obwohl Edelstahl, hält extrem lang ihre Schärfe", sagt Rockland.
Es sind die Geschichten der Kunden, die Victorinox für seine Markenkampagne einsetzt – mit großem Erfolg und mit beachtlicher Resonanz. Die von der Zürcher Kreativagentur Spillmann/Felser/LeoBurnett – jetzt Leo Burnett Schweiz - entwickelte Kampagne stellt Kunden-Geschichten in den Mittelpunkt – es ist das Feedback aus Hunderten von Briefen und E-Mails, die Monat für Monat in Ibach ankommen. Lohn der Mühe: Silberner EPICA-Award 2012. Nach dem Hatch-Award für die Online-Umsetzung ist dieses die zweite silberne Auszeichnung für die Schwyzer.