Typografie:
Thinking on Design: Warum sich Unternehmen wieder für eine Hausschrift entscheiden
Ja, doch, Arial ist eine schöne Schrift. Aber wenn sich alle Dax-30-Unternehmen für sie entscheiden würden, fehlte ihrem Markenauftritt einiges. W&V-Designkolumnist Norbert Möller über das Comeback der Hausschrift.
Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist sicher nicht Ihr erster Gedanke, wie toll es ist, dass Sie es lesen können. Oder wie schön erkennbar die Buchstaben sind, mit ihren Ober- und Unterlängen, und wie harmonisch sie zueinander stehen. Schrift ist alltäglich, wir denken nicht viel über sie nach. Wir setzen sie ein und empfinden manchmal, dass die eine Schrift klar und schlicht aussieht, die andere aber verschnörkelt, weil sie noch so Tüddelchen hat. Und eine Handschrift können wir auch noch erkennen.
Nun gibt es jedoch Zigtausende unterschiedliche Schriften auf der Welt und die Diskussion, ob die eine oder andere die für diesen oder jenen Anlass passende ist, ist für viele Nicht-Fachleute ermüdend: Die eine hat "Häkchen", die andere nicht, eine ist vielleicht schmaler, oder eckiger – aber macht es Sinn, dass sich Gestalter und hierüber den Kopf zerbrechen? Und sogar Geld dafür ausgeben?
Im Studium – lang ist es her – habe ich mein optisches Auge am besten schulen können, als ich vor der Aufgabe stand, per Hand eine Schrift mit Tusche und Ziehfeder zu zeichnen. Durch diese Arbeit habe ich die optischen Regeln am besten gelernt. Man erfährt, dass horizontale Balken in der gleichen Strichstärke fetter wirken als vertikale. Oder kurze Balken ebenfalls fetter aussehen als lange. Es geht hier immer um Ausgleich und Harmonie oder auch um bewusste Betonungen.
Am spannendsten war immer das Ausgleichen der Buchstabenzwischenräume: Dabei geht es darum, nicht das Schwarze der Buchstaben zu beurteilen, sondern den Weißraum, der zwischen ihnen liegt. Und der sollte im besten Falle immer gleich sein, egal bei welcher Buchstabenkombination, denn dann ist die Schrift am besten lesbar.
62.000 Zeichen pro Schriftschnitt
Diese kurzen Schilderungen sind nur ein Bruchteil dessen, was bei Schriften beachtet werden muss, deshalb ahnt man schon, wie aufwändig es ist, eine eigene, ganz neue Schrift zu entwerfen. Denn es ist ja meistens nicht mit einem Schriftschnitt getan, sondern es muss die Schrift in light, semilight, normal, halbfett und fett geben – und dann auch noch alles in kursiv –, und zum Schluss muss sie auch global funktionieren, also zum Beispiel in Kyrillisch und Griechisch. Da kommen einige Buchstaben zusammen. Für einen großen Konzern überprüfen wir dies gerade – und zählen alleine für einen Schriftschnitt 62.000 Zeichen.
Natürlich sind unzählige Schriften schon fertig verfügbar: Man kauft sie einfach als Datei bei einem Schriftenhersteller ein. Oder man findet sie vorinstalliert auf seinem Computer. Vielleicht sucht man auch im Internet nach frei verfügbaren Fonts und lädt sie sich herunter.
Ich dachte daher auch noch im vergangenen Jahr, dass die Zeit der eigenständig für Unternehmen entwickelten Schriften endgültig vorbei sei: Warum sollten Unternehmen bereit sein, für eigene Hausschriften zu zahlen, wenn sie sich doch auch für kostenfrei nutzbare Open-Source-Schriften wie zum Beispiel die Google Fonts entscheiden könnten? Ich sah vor meinen Augen bereits den Reflexgriff der Entscheidungsträger zur Arial: "Warum nehmen wir nicht die? Die hat jeder und sie sieht doch eigentlich ganz modern aus!"
Arial reicht nicht
Ich habe nichts gegen die Arial, sie ist gut lesbar, gut ausgebaut, hervorragend für den digitalen Bereich optimiert. Aber wenn sich alle Dax-30-Unternehmen für die Arial als Hausschrift für den Officebereich entscheiden, so wäre dieser Schritt nicht unbedingt förderlich, um eine eigenständige Identität zu erreichen.
Zum Glück habe ich mich geirrt. Aktuell stelle ich fest, dass immer mehr Unternehmen die Bedeutung der Schrift als stilistisches Element erkennen. Dass ihnen bewusst wird, wie eigenständig und charakterstark ihr Auftritt sein kann, wenn sie sich für eine Schrift entscheiden, die ganz individuell für sie entwickelt wurde.
Drei Faktoren beeinflussen aus meiner Sicht diese Entwicklung:
Erstens hat sich durch die Digitalisierung der Aufwand für die Schriftentwicklung reduziert. Das Ergebnis der Arbeit ist zudem eine Datei, die sich problemlos an alle Mitarbeiter und Dienstleister in der ganzen Welt schicken lässt. Die Implementierung geht also einfacher als vor zwanzig Jahren.
Zweitens gibt es durch das Einbinden von Webfonts die Möglichkeit, die eigene Unternehmensschrift durchgängig über alle analogen und digitalen Medien hinweg zu verwenden. Eine individuelle Schrift und ein stringenter Auftritt schließen sich also nicht mehr gegenseitig aus.
Und drittens: Bei Unternehmen ist das Bewusstsein für Folgekosten gewachsen. Bei lizenzpflichtigen Schriften, die man bei Herstellern fertig einkauft, fallen – abhängig von den Klickzahlen – zusätzliche Gebühren an, wenn die Schrift in digitalen Medien verwendet wird. Wird jedoch die eigene Schrift verwendet, entfallen diese Kosten. Nach einigen Jahren kann sich die Entwicklung einer eigenen Schrift somit bezahlt machen.
Auch wenn wir in Zukunft vielleicht immer weniger lesen sollten: Schrift wird in der Kommunikation die wesentliche Rolle spielen. Ein Bild kann eine Stimmung auslösen – aber nur über die Schrift wissen wir, was wir tun sollen. Und oft genug reicht die Schrift aus, um ein Unternehmen zu erkennen: Hier sind Nivea, Mercedes, Adidas oder auch Montblanc gute Beispiele. Typografie ist ein wesentliches Mittel der Differenzierung – deshalb freut es mich, wenn die Entscheidung für eine eigene Schrift von Unternehmen wieder öfter in Betracht gezogen wird.
Der Autor: Norbert Möller ist seit 2003 Executive Creative Director der Peter Schmidt Group und leitet deren Corporate Design Team am Standort Hamburg. Zu den von ihm betreuten Marken und Unternehmen zählen unter anderem Linde, Henkel, Kühne+Nagel, die Postbank, REWE, die Stadt Hamburg und das Goethe Institut. Möller studierte Visuelle Kommunikation an der HfBK Braunschweig und arbeitet seit 1992 bei der Peter Schmidt Group, darunter von 1999 bis 2003 als Geschäftsführer.