Norbert Möller über N26:
Thinking on Design: Ein neuer Code für Bankkunden
Finanzwerbung ist auch nicht mehr das, was sie mal war. W&V-Designkolumnist Norbert Möller über den neuen Stil der Hippsterbank N26.
Vor Kurzem sah ich im Bahnhof eine Plakatwand, die mich irritierte: Ich hatte doch gelernt, dass eine Werbebotschaft eindeutig und auf den ersten Blick erfassbar sein sollte! Hier war es anders: Ich stand vor einem Kreuzworträtsel, das ich erst decodieren musste, aber das letztlich dazu führte, dass ich mir die Marke dahinter sofort einprägte: N26 heißt der Anbieter, der mich für mobiles Banking begeistern möchte. Er verspricht mir "No Bullshit!" – und, wenn man denn die Zeit hat, beim Warten auf die U-Bahn das Rätsel zu lösen, "Keine versteckten Gebühren".
Denen soll ich mein Geld anvertrauen?
Warum bleibe ich an dieser Werbung hängen? Vielleicht, weil es auch aus Gestaltersicht spannend ist, sich mit der Gegenthese zum Look des etablierten Bankings zu beschäftigen. Wie wir alle wissen, haben Banken in den vergangenen zehn Jahren stark an Vertrauen eingebüßt. Finanzkrise, Niedrigzins-Problematik und Boni-Diskussionen kratzten am Image, vielleicht aber auch an den Codes, die bislang verlässlich funktionierten: Bankgeschäfte, das bedeutete Solidität in der Sprache, Bilder glücklicher Familien, Berater in Anzug und Krawatte, gediegenes Blau.
Und jetzt kommt ein Startup daher, das alles anders machen will und mit dieser Ästhetik bricht: komplett digital, freche Tonalität, cleanes Design, Hashtag #nobullshit, typolastige Kampagne. Denen soll ich mein Geld anvertrauen?
Tatsächlich scheint sich unser Blick auf die Finanzbranche derart verändert zu haben, dass viele Menschen diese Frage mit "Klar, warum nicht?" beantworten. Diejenigen Kollegen von mir, die tatsächlich ein Konto bei N26 haben, stören sich nicht daran, dass die "Mein Haus, mein Auto, mein Boot"-Ästhetik fehlt. Sie glauben auch nicht mehr an die Illusion der Bank als Fort Knox, die Werte in echtem Gold verwahrt.
Die Bank der jungen Kunden
Stattdessen erfreuen sie sich am aufgeräumten, minimalistischen Interface-Design, der modernen und konsequent auf digitale Kanäle entwickelten Typografie, den Push-Nachrichten bei Kontobewegungen sowie der Möglichkeit, Ausgaben zu kategorisieren und zu vertaggen. So einfach kann Banking sein.
Interessant ist, dass es bei aller Fokussierung auf mobiles Banking doch noch einer physischen Eintrittskarte in die neue Welt der digitalen Generation bedarf: Es gibt ein Girokonto-Angebot mit einer "Metallkarte", deren Vorderseite aus Edelstahl ebenso minimalistisch gestaltet ist, wie die digitalen Oberflächen. Ganz ohne Karte geht es also nicht, auch wenn das Geldabheben bei N26 eher per Barcode-Scan in Partnershops passieren soll.
Ich finde: Es lohnt sich, genau zu verfolgen, wie sich N26 entwickelt. 60 Prozent der Kunden sind unter 35 Jahre alt. Viele kennen die "alte Welt" der Papierüberweisungen und Bankschalter nicht mehr, der Ballast, den ehrwürdige Geldhäuser mit sich herumschleppen, ist ihnen fremd. Sie haben sich nie mit dem Bild angefreundet, das für viele Marketingentscheider in Finanzunternehmen selbstverständlich ist. Wir lernen daher viel darüber, welche Codes für diese Zielgruppe im Bankgeschäft relevant sind.
Ein bisschen Kritik muss sein
Aber auch ein kritischer Blick darf nicht fehlen: In der "No Bullshit"-Kampagne steckt aus meiner Sicht ein großes Maß an Überheblichkeit. Wer den Verzicht auf "Bullshit" als Alleinstellungsmerkmal propagiert, unterstellt schließlich der Konkurrenz Phrasendrescherei und kultiviert ein sehr radikales Schwarz-Weiß-Denken. Dieses übertüncht, dass N26 in seiner überschaubaren Historie auch schon ein paar Fehler gemacht und Probleme gehabt hat. 2016 wurden Sicherheitslücken aufgedeckt, und bei dem Übergang zur Vollbank lief für die Kunden nicht alles reibungslos. Und nicht zuletzt: Gar so einfach ist die Preisstruktur beim zweiten Hinsehen dann doch nicht.
Ein wenig Demut in der Kommunikation wäre aus meiner sich also angebracht, dann könnte vielleicht auch ich mich alleine vom Design begeistern lassen.