Kolumne von Norbert Möller:
Thinking on Design: Die Marke Europa
Wie können wir Europäer es schaffen, dass wir uns mit der europäischen Idee und ihren Institutionen identifizieren können? W&V-Kolumnist Norbert Möller über eine Marke, die uns alle angeht.
Der Brexit und damit die Diskussion über Europa bestimmen im Moment meine Gespräche, ob beim Mittagessen mit Kollegen oder bei Terminen mit Kunden. Und nachdem die Engländer drei Tage nach dem Referendum auch noch bei der EM ausgeschieden sind, hat das Thema sogar den Sport erreicht: Das Aus bei der Europameisterschaft wirkte ja fast wie eine logische Konsequenz voller Symbolkraft.
Ganz egal, mit wem ich spreche: Wir alle machen uns alle Sorgen um Europa. Zumal sich in den Nachrichten seit Monaten ein verstörendes Bild zeigt: Auf den Straßen wird nicht für die großartige europäische Idee demonstriert – vielmehr bestimmen die Populisten und bekennenden Europagegner die Schlagzeilen.
Die großartige europäische Idee steckt in einer Identitätskrise. Europa wird nicht geliebt. Schnell denkt man bei Europa an Verordnungen und Vereinheitlichungen, an Regelungen und Kompromisse. Aber nicht an die Vielfalt der Kulturen und Sprachen, an offene Grenzen vom Nordkap bis zur Algarve und an siebzig Jahre Frieden – und wo sonst gibt es das schon auf der Welt?
Man kann sich jetzt natürlich fragen: Was hat das alles mit Design zu tun? Nun, auch die europäischen Institutionen haben einen visuellen Auftritt, mit dem sie sich an Bürger wenden. Europa ist eine Marke, mit eigenen Werten und deren Kommunikation. Und wenn diese nicht begeistert, scheint es an der ein oder anderen Stelle zu klemmen. In der Wirtschaft würde man da vielleicht seine Agentur wechseln oder über ein Rebranding nachdenken, aber in Europa besteht hierüber – hoch lebe das Klischee! – wahrscheinlich kein Konsens.
Das stärkste und bekannteste visuelle Symbol Europas ist sicher seine Flagge. Bei dieser denken viele, dass ihre Sterne – wie bei den Amerikanern – für die Zahl der Gründungs- oder Mitgliedsstaaten stünden. Dem ist nicht so: Die Zahl von zwölf Sternen ist unveränderlich und steht symbolisch für Vollkommenheit und die Vollständigkeit. Speziell der Kreis soll ein Symbol für die Einheit sein. Für mich ist die Flagge einfach nur staatstragend, viel mehr nicht. Die Flagge taucht auch in den Auftritten der drei großen europäischen Institutionen auf, also dem Parlament, der Kommission und dem Rat. Hier wird sie meist ziemlich uninspiriert mit trist-grauen Illustrationen von Gebäudeformen oder Parlamentbestuhlungen kombiniert. Emotional geht anders. Eine entsprechende Bildwelt könnte vielleicht etwas Begeisterung vermitteln, aber tatsächlich gibt es diesbezüglich wohl kaum eine kargere Website, als die offizielle Seite der EU .
Ein Kollege erinnerte mich an einen Entwurf vom niederländischen Architekten Rem Koolhaas für ein neues Branding der EU. Dieser hat mit seinem Office of Metropolitan Architecture (OMA) auf Einladung der Europäischen Kommission vor 15 Jahren eine neue europäische Flagge entworfen. Die Idee ist simpel, aber prägnant: Koolhaas’ Vorschlag ist eine Addition aus vielen Streifen in den Farben der Flaggen der Mitgliedsländer. So entsteht ein unheimlich buntes und lebendiges Bild, ein Synonym für die Vielfalt und Einheit Europas. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass jedes Land seine kulturelle Identität behält. Leider entfachte sich eine Diskussion, dass der Entwurf zu sehr an einen Barcode erinnere und damit das bürokratische Image der EU noch mehr stütze. Der „Barcode“ wurde zwar von den Österreichern während ihrer Ratspräsidentschaft eingesetzt, verschwand danach aber in der Schublade.
Quelle: Rem Kohlhaas / Wikipedia
2016 könnten wir erneut eine Ideenphase starten: Wie können wir Europäer es schaffen, dass wir uns mit der europäischen Idee und ihren Institutionen identifizieren können? Ich würde mir wünschen, dass in der Kommunikation und der Selbstdarstellung ein Wandel entsteht. Oft erscheint uns die inspirierende kulturelle Vielfalt Europas als selbstverständlich und doch sollten wir uns bewusst machen, welch großes Glück es ist, mit Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen zusammen zu leben oder auch arbeiten zu können.
Meine Kollegen aus Spanien, Frankreich und auch aus Großbritannien bringen unterschiedliche Sichtweisen, Ausbildungen und Erfahrungen in den Arbeitsalltag mit ein. Wir streiten uns über gutes Design – und natürlich schauen wir zu Zeiten der EM auch zusammen Fußball oder unterhalten uns leidenschaftlich über die Leistungen unserer Teams. Kurzum: Unser europäischer Alltag ist voller Emotionen, voller Vielfalt, voller Lebendigkeit. Es wäre an der Zeit, diese auch auf die „Marke Europa“ zu übertragen.
Der Autor: Norbert Möller ist seit 2003 Executive Creative Director der Peter Schmidt Group und leitet deren Corporate Design Team am Standort Hamburg. Zu den von ihm betreuten Marken und Unternehmen zählen unter anderem Linde, Henkel, Kühne+Nagel, die Postbank, REWE, die Stadt Hamburg und das Goethe Institut. Möller studierte Visuelle Kommunikation an der HfBK Braunschweig und arbeitet seit 1992 bei der Peter Schmidt Group, darunter von 1999 bis 2003 als Geschäftsführer.