Tencent hat den globalen Markt im Visier

Was noch fehlt ist der Ausbau auf 7765 chinesische Zeichen, damit der Adobe-GB1-4-Standard erreicht wird. Dann gibt es auch für die gängigen Schrift- und Grafik-Programme keine Einschränkungen. Tencent erhält daneben schon jetzt Zeichensätze in Latin, Greek, Kana (Japanische Zeichen) und das kyrillische Alphabet, die jeweils im Schriftbild zusammenpassen - der Konzern will vor allem international wachsen.

Neben diversen Kommunikationsportalen wie WeChat betätigt sich der Konzern in diversen anderen Bereichen. Bekannt sind beispielsweise der Bezahldienst Tenpay und diverse internationalen Spielefirmen. Dazu gehören Riot Games und vor allem Supercell. Für die finnische Firma hinter "Clash of Clans" hatte Tencent 2016 stolze 8,6 Milliarden Dollar gezahlt.

Die Größe von Tencent ist am Börsenwert abzulesen: Unlängst lag die Bewertung des chinesischen Konzerns sogar über dem von Facebook (aktuell: Tencent: 469 Mrd. Dollar, Facebook: 515 Mrd. Dollar). 

Welche Hausaufgaben Tencent erledigen muss

Nur was das Marketing betrifft, muss der Konzern genauso wie alle chinesischen Unternehmen noch aufholen. "In China ist das Branding mit Hilfe von Schrift bei weitem nicht so ausgebildet wie in den westlichen Industriemärkten", sagt Jürgen Siebert, Marketing Director von Monotype in Berlin. Er vergleicht die Lage mit den 50er Jahren in Deutschland. Angesichts der überschaubaren Zahl unterschiedlicher Schriften arbeiten Grafiker in China vor allem mit Farbe und Zeichengrößen.

Es besteht Aufholbedarf, und dementsprechend groß könnte der Markt für neue Schriften bald werden. "Da die Schriftentwicklung inzwischen hochgradig technologisiert ist, lassen sich auch chinesische Schriften mit 8000 und mehr Zeichen schneller produzieren als früher", sagt Siebert, der einst die Design-Zeitschrift Page mitgegründet hat.  

Monotype setzt auf China

Für Monotype steht China ganz oben auf der Prioritätenliste. Erfahrung hat das Unternehmen genug. In der Vergangenheit entstand unter anderem die japanische und lateinische Hausschrift für Sony. Sie ist inzwischen frei verfügbar. Auch Mercedes-Benz und der Volkswagen-Konzern haben ihre Hausschriften irgendwann freigegeben. Ob auch die Tencent-Schrift irgendwann von Dritten genutzt werden kann, ist aber noch offen. 

Das Interesse an der Einführung der Tencent-Schrift ist groß. Dafür sorgt allein schon die Tatsache, dass es sich um eine Kursive handelt. Etwas, das selbst Schriftenexperte Siebert von seinen Kollegen nicht erwartet habe. "Kursive Schriftformen sind in der Schreibkultur des Landes unbekannt." Hui und sein Designteam hatten daher lange mit diversen Steigungen und Graden experimentiert. Am Ende half eine schräge Box, in die sie die kursiven chinesische Schriftzeichen hineinkonstruierten.

"Um die grafischen Probleme zu minimieren, die bei der Verschrägung chinesischer Schriftzeichen lauern, haben wir an jedem Zeichen mehrere optische Korrekturen vorgenommen, um den Kursiv-Effekt für unsere Augen so angenehm wie möglich zu machen", sagt Monotype-Designer Hui. Dabei halfen Typoregeln für die Harmonisierungen, die sich das Team aus dem lateinischen Type-Design entlieh.

Wie komplex dieses Vorgehen ist, verdeutlicht das Making-of. 


Autor: Leif Pellikan

ist Redakteur beim Kontakter und bei W&V. Er hat sich den Ruf des Lötkolbens erworben - wenn es technisch oder neudeutsch programmatisch wird, kennt er die Antworten. Wenn nicht, fragt er in Interviews bei Leuten wie Larry Page, Sergey Brin oder Yannick Bolloré nach.