Stern.de-Chef Frank Thomsen: Wunsch und Wirklichkeit
"Anatomie einer Attrappe": Stefan Niggemeier seziert den Qualitätsanspruch von Stern.de und bringt Chefredakteur Frank Thomsen in Erklärungsnot. Gegenüber W&V Online will sich Thomsen nicht äußern. Aber ein kurzer Rückblick auf seine eigene Ansprüche und ein aktueller Faktencheck sagen vielleicht noch mehr aus.
"Anatomie einer Attrappe": Stefan Niggemeier seziert den Qualitätsanspruch von Stern.de und bringt Chefredakteur Frank Thomsen in Erklärungsnot. Gegenüber W&V Online will Thomsen nicht Stellung beziehen. Aber ein kurzer Rückblick auf Thomsens eigene Ansprüche und ein aktueller Faktencheck sagen vielleicht noch mehr aus.
Thomsen im Juli 2007 gegenüber turi2:
"Wir wollen die Nummer 1 werden unter den publizistischen Angeboten, die es im Internet in Deutschland gibt....In den nächsten Jahren wollen wir 600 Millionen Page Impressions pro Monat erreichen."
Tatsache 2011:
Laut IVW wies Stern.de im April 2011 nicht einmal ein Drittel des angepeiltem PI-Volumens aus. Es waren exakt 165.172.688 Page Impressions. Von der Marktführerschaft ist das Portal weit entfernt. Zum Vergleich: Spiegel Online kam im April auf rund 796 Millionen PIs, Bild.de meldete sogar über zwei Milliarden PIs.
Thomsen 2007, im gleichen Interview:
"Wir wollen sehr viel schneller werden und trotzdem fundierter in der Aufbereitung. Wir wollen aber keine Nachrichten am Fließband produzieren, sondern die wirklich wichtigen Themen des Tages magazinartig aufbereiten".
Tatsache 2011:
Laut Stefan Niggemeier veröffentlichte Stern.de am 17. Mai 2011 insgesamt 367 Artikel, die überwiegend von Nachrichtenagenturen stammten. Am Ende blieben nur acht eigene Geschichten, von denen man "streng genommen, noch den Artikel über die neuen Gepäckregeln bei der Lufthansa abziehen (müsste), der vor allem aus der - teils wörtlichen - Übernahme einer Lufthansa-Pressemitteilung besteht."
Dazu Thomsen gegenüber dem Branchendienst Meedia: "In der Online-Welt gibt es überall Newsticker und sie sind auch sinnvoll für die User.""
Thomsen 2007:
"Ich sehe kein Anzeichen, dass sich die großen, alten Leitmedien wie der 'Stern' im Internet überleben. Die Leute suchen Nachrichten im Netz, auch Verlässlichkeit und Orientierung. Bei uns werden die Nachrichten auch eingeordnet, in verdaulichen Stücken serviert, mit Hintergrund und Multimedia kombiniert.
Tatsache 2011:
Den quantitativ größten Artikel-Anteil bei Stern.de machen laut Niggemeier automatisierte dpa-Meldungen aus. Das Format auf der Stern.de-Homepage heißt "Nachrichten-Ticker".
Thomsen 2007, auf die Frage von Turi2, ob er darauf wetten würde, demnächst die Nummer 1 vor Spiegel Online zu sein:
"Ich sage: bis 2015 sind wir soweit".
Tatsache 2011:
Im April 2011 kam Stern.de auf 20,5 Mio Visits, Spiegel Online auf 137,6 Mio Visits. Im Vergleich zu 2007 (11,2 Millionen Stern-Visits zu 63,4 Millionen Spiegel-Visits) hat sich der Vorsprung von Spiegel Online sogar noch vergrößert.
W&V-Redaktionsmitglied Franziska Mozart hat Frank Thomsen am vergangenen Freitag um ein Statement gebeten. Der Wunsch wurde nach mehreren Stunden von der Gruner+Jahr-Pressestelle mit dem Hinweis abgelehnt, Frank Thomsen wolle in der Angelegenheit keine weiteren Interviews geben.