
Millennial-Medien:
So arbeitet die Watson-Redaktion
Redaktionsbesuch bei Watson: Wer neu ins Führungsteam kommt und was Chefredakteurin Gesa Mayr noch mit dem Ströer-Portal vorhat.

Foto: Watson
Seit 22. März ist Watson, die deutsche Lizenzausgabe des Schweizer Newsportals für die Generation Mobile, live geschaltet. Das insgesamt 25-köpfige Redaktionsteam hat sich schon Anfang März in die Arbeit gestürzt. Zeit für Deko war nicht, die Wände der Redaktionsräume bei Ströer Media Brands in Berlin sind noch kahl.
Irgendwo hängt ein DINA4-Blatt mit dem Redaktions-Leitspruch "Groß denken. Klein wird‘s von allein". Daneben eines der Werbeplakate mit dem Slogan der aktuellen Kampagne "News ohne Blabla". An einer der Säulen im noch sehr leeren Teil der Großraumbüro-Etage, die Watson mit T-Online teilt, haben die Redakteure ein Blowup des ersten und bislang einzigen Troll-Kommentars aus dem Social Web aufgehängt.
Diese Spezialisten sind neu im Führungsteam
Neu an Bord ist Videochef Leon Krenz, 33. Der prämierte Diplom-Technikjournalist ist spezialisiert auf Mobile-, Vertical-, Social- und 360 Grad-Video, arbeitete als Selbständiger unter anderem für Zeit Online, Edition F oder Into VR und baute für Zett die Videoeinheit auf. Zum 1. Juni kommt die 34-jährige Kinga Rustler von Focus Online als Nachrichtenchefin zu Watson.
Bei Focus Online war Rustler zuletzt stellvertretende Ressortleiterin Life & Science (Gesundheit, Wissen, Reise, Digital und Familie). Davor hat die gebürtige Berlinerin für Maxim, Welt am Sonntag, Stern, Freundin und Bunte geschrieben und ein eigenes Unterhaltungsmagazin aufgebaut. Das sind die Neuen:
Das Führungsteam um Chefredakteurin Gesa Mayr, 31, und Vize Anne-Kathrin Gerstlauer, 28, ist damit komplett. Die 25 Redakteure sind zwischen Mitte 20 und Ende Vierzig und haben vor für Zeit Online, Refinery 29, Wired, Mit Vergnügen, Bento oder Cicero gearbeitet. Der älteste Kollege kümmert sich als Politikredakteur um Europa-Themen.
"Jeder kann und soll vor die Kamera"
Sie alle sind erfasst vom "Startup-Glühen" (Mayr) und wollen über die drei redaktionellen Säulen News (inklusive Sport), Debatte und Unterhaltung mit etwa 50 Beiträgen pro Tag die Kernzielgruppe der 20 bis 35jährigen erreichen. Vor allem Videoformate sollen in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. "Die Redaktion arbeitet komplett integriert. Jeder kann und soll vor die Kamera", sagt Chefredakteurin Mayr.
Vier eigene Videoformate pro Woche entstehen derzeit - Debatten rund um Alltagsthemen wie Kreditkartenzahlung, politische Kommentare, aber auch Unterhaltung, beispielsweise "Wie wäre es, wenn ein Fußballer im Büro arbeiten würde". Es wird viel ausprobiert.
Mayr will nah ran an die Zielgruppe und "das übliche He said -She said-Bingo" in der Politikberichterstattung vermeiden. Es gelingt beispielsweise, wenn Autorin Anna Mayr, die selbst von Hartz IV gelebt hat, über Gerechtigkeitsthemen wie das Grundeinkommen schreibt. Nur zwei bis drei (Spaß-)Beiträge pro Tag werden von den Schweizer Lizenzpartnern übernommen - und nur, wenn es passt.
Einige der Nachrichten kommen von T-Online.
Wachsen mit den Reichweiten von T-Online
Anders als etwa Bento, das die Reichweite des Mutterportals Spiegel Online nutzt, will die Watson-Redaktion schnell unabhängig werden. Sie soll eigenständig wachsen, um langfristig keine Beiträge mehr auf T-Online oder anderen Portalen der Ströer Media Brands (Kino.de, Gamigo) zu integrieren.
Verlegerische Vorgaben gibt es nicht, die Experimentierfreude ist Programm: "Wir haben große redaktionelle Freiheiten, es gibt keine Tabus, nichts ist verboten", sagt Mayr. Das Ziel: Debatten auszulösen und über das Leser-Engagement zu wachsen. Auch die Personalisierung soll dabei helfen: neben Themen können Leser auch Autoren und Formate abonnieren.
Neues Videoformat rund ums Arbeitsleben
Das Video-Debatten-Format "Wein doch!", wo Redakteure sich betrinken und beklagen, haben sich allerdings die Schweizer Kollegen einfallen lassen. Und so funktioniert die bislang erfolgreichste "Wein Doch!"-Folge aus der Berliner Redaktion:
In Berlin entstand die Polit-Soap "Bundestag (und Nacht)". Sie greift politisches Geschehen aus einem unterhaltsamen Blickwinkel auf und lässt die Leser über die nächsten Folgen abstimmen. In Kooperation mit den YouTubern Piet Smiet und Le Floid entsteht gerade ein Gesprächsformat mit Politikern. Ein weiteres Videoformat ist bereits in Planung. Es widmet sich Arbeitsleben und Freizeit und fragt "Wie wollen wir leben und arbeiten?"
Die Redaktion will auch Videos drehen, die nur über Social-Media-Kanäle wie Facebook gespielt werden, um dort Reichweite zu generieren. Chefredakteurin Mayr denkt zudem über Live-Formate für Facebook, Instagram und Twitter nach. Einen eigenen YouTube-Kanal hat Watson vorerst nicht.
Obwohl Watson alle wichtigen Nachrichtenthemen abdecken will und damit in eine Lücke unter den eher magazinig angelegten Millennial-Medien stößt (Bento, Zett, Jetzt.de, Refinery 29) spielt Unterhaltung eine große Rolle: "Wir wollen witzig sein und unterhalten. Das passt auch gut zu Debatten und Nachrichten gut und ist für uns kein Gegensatz", sagt Mayr.
In der Schweiz hat es Watson mit diesem Konzept in die Top Ten der stärksten Medienmarken geschafft. Wie das Projekt in Deutschland angelaufen ist, wird man im Mai begutachten können, wenn die ersten IVW-Zahlen für Watson veröffentlicht werden.