Kolumne von Norbert Möller:
Siemens Healthineers: Radikalkur mit Pannenstart
Für die Umbennung seiner Medizintechnik-Sparte in Healthineers hat Siemens viel Spott geerntet. W&V-Gastautor Norbert Möller hält die Idee dahinter für durchaus schlau. Aber: Motivationssongs für Mitarbeiter stoßen hierzulande auf Unverständnis. Anders als in den USA oder Asien.
Für die Umbennung seiner Medizintechnik-Sparte in Healthineers hat Siemens sehr viel Spott geerntet. W&V-Gastautor Norbert Möller hält die Idee dahinter für durchaus schlau. Aber, das weiß auch er: Motivationssongs für Mitarbeiter stoßen hierzulande - anders als in den USA oder in Asien - auf ziemlich großes Unverständnis.
Von Norbert Möller
Mir ging es im ersten Moment wie fast allen Kollegen, als ich das Youtube-Video zur Vorstellung des neuen Brandings der Healthcare-Sparte von Siemens gesehen hatte: Ich war fassungslos! Da tanzen einige in bunten Morphsuits gekleidete Frauen und Männer zu einem Song mit im Hintergrund projizierten Karaoketext über die Bühne: "We are, we are, we are Healthineers - oho, oho, oho, oho, oho, oho, oho, oho...".
Sollte dies wirklich eine ernst gemeinte Veranstaltung vor fast 5.000 Mitarbeitern gewesen sein? Wer selbst staunen will, sucht am besten auf Youtube nach "Healthineers Song" – denn die Videos werden immer wieder gelöscht, samt aller vernichtenden und oft leider auch verstörenden Kommentare.
Siemens war für mich bislang die Inkarnation von konsistentem Branding gewesen: Wortmarke und die Petrolfarbe waren irgendwie schon immer da. Jede Bereichseigenständigkeit war eigentlich untersagt. Und das bei einem integrierten Mega-Mischkonzern mit 350.000 Beschäftigten in 200 Ländern. Wie konnte das eigentlich alles unter einer einzelnen Marke so lange funktionieren?
Die Frage hat sich die Sparte der Medizintechnik auch gestellt – und hat sich jetzt in Siemens Healthineers umbenannt, ein Kunstwort aus Health (Gesundheit) und Pioneers (Pioniere). Das ist gewöhnungsbedürftig, weil es nicht gelernt ist und eher Assoziationen an Comicsuperhelden zulässt. Andererseits hat der neue Name eine Idee, die das Management unbedingt an seine Mitarbeiter weitergeben möchte. Neben der herausragenden technischen Expertise soll in Zukunft der Kunde und damit der Mensch in den Fokus rücken. Das eine schließt das andere zwar nicht aus, es bedeutet aber einfach, sich nicht auf dem Ingenieurswissen auszuruhen, sondern dass jeder Einzelne mit noch mehr Leidenschaft in die Märkte geht. Und dieser Anspruch steckt im Namen.
Diese Idee für interne Mitarbeitermotivation muss man nicht zwangsläufig in einem neuen Namen ausdrücken, das geht natürlich auch durch andere kommunikative Maßnahmen. Mein Eindruck ist aber, dass dafür die Zeit fehlte. Die Namensänderung funktioniert wie eine Radikalkur, der sich die Sparte unterzieht. Und jetzt ist jeder Mitarbeiter mit dem neuen Namen gezwungen, die Positionierung des Unternehmens zu erklären. Das ist – so finde ich tatsächlich: schlau.
Wir sind es in Deutschland kulturell nicht gewohnt, bei firmeninternen Motivationssongs auf die Bühne zu stürmen und mitzusingen. In den USA oder in Asien wäre dies hingegen kein Thema gewesen. Deshalb kann man, bezogen auf die Veranstaltung, hier schon von einer Kommunikations-Panne sprechen. Diese hat aber immerhin dazu geführt, dass sich eine halbe Million Zuschauer das mittlerweile entfernte Video auf Youtube angesehen haben. Ich kenne tatsächlich nur Kollegen, die das Video peinlich fanden, aber: Alle haben sich gemerkt, dass sich bei Siemens was tut und die Medizinsparte jetzt Healthineers heißt.
Und meine bescheidene Meinung ist, dass das Geschäft dank der hervorragenden Ausgangsposition so gut läuft, dass ein in Morphsuits getanzter Motivationssong die Healthineers nicht aus der Bahn werfen wird. Let's go!
Über den Autor:
Norbert Möller ist seit 2003 Executive Creative Director der Peter Schmidt Group und leitet deren Corporate Design Team am Standort Hamburg. Zu den von ihm betreuten Marken und Unternehmen zählen unter anderem Linde, Henkel, Kühne+Nagel, die Postbank, REWE, die Stadt Hamburg und das Goethe Institut.