Shitstorm und Programmbeschwerden: Gaming-Szene fällt über RTL her
Für die Computerspiel-Szene ist RTL jetzt das Feindbild Nummer eins. Die Gamer sind wegen eines TV-Beitrags über die Gamescom stinksauer und schalten die Medienwächter ein. Videopunk Markus Hündgen glaubt: "Wenn jemand einen Beweis dafür gesucht hat, dass TV ein überholtes Medium ist, möge er bitte folgenden RTL-Beitrag anschauen."
Dem Social Web bleibt nichts verborgen, der Game-Szene schon gleich gar nicht. So geschehen bei einem RTL-Beitrag im Magazin "RTL Explosiv" über die Gamescom 2011 und ihre Besucher vom 19. August. Darin werden die Spielbegeisterten als verschrobene Einsiedler dargestellt – ohne soziale Kontakte, ungewaschen, schlecht gekleidet und mit einem Hang zum Rumballern in der realen Welt.
Der Unmut der Gamer-Szene über den durchaus einseitigen Beitrag ist offensichtlich: Bis zum darauf folgenden Donnerstagvormittag sind bei der zentralen Stelle der Medienanstalten, der Seite Programmbeschwerde.de, über 7000 Beschwerden gegen den Beitrag eingegangen; das ergibt eine Anfrage von W&V Online. Die Gamer sehen sich in ihrer Menschenwürde verletzt. Programmbeschwerde.de, angesiedelt bei der saarländischen Medienanstalt LMS, hat nach eigenen Angaben die für RTL zuständige Hannoveraner Medienbehörde NLM eingeschaltet. Auch dort haben Gamer ihre Unwillen gegen den RTL-Beitrag kundgetan, heißt es auf Anfrage von W&V Online. Der Vorgang werde nun geprüft, so die NLM.Inzwischen steht fest: Der Beitrag ist zumindest nicht rechtswidrig. Der Sturm hat sich aber noch hingezogen - mehr als 100.000 Personen haben auf die Beschwerdeseite zugegriffen, mehr als 11.500 Beanstandungen sind im Saarland eingegangen.
Geschürt hat den Groll auf RTL unter anderem Videopunk. Der bekannte Blogger Markus Hündgen stellt im Gegenzug die These auf, dass das deutsche Fernsehen ein Problem habe: "Das sind die Macher selbst. Wenn jemand einen Beweis dafür gesucht hat, dass TV ein überholtes Medium ist, möge er bitte folgenden RTL-Beitrag anschauen. Mal vom üblichen RTL-Duktus und den handwerklichen Unzulänglichkeiten abgesehen, strotzt der Beitrag nur so vor Selbstherrlichkeit und Arroganz - und ignoriert eine ganze Generation an Menschen und das, was ihnen wichtig ist", so Videopunk und fordert auf, den Beitrag einfach anzugucken.
Seit Tagen kocht die Spiel-Gemeinde im Netz über – und Giga.de hat einen Gegen-Beitrag produziert. Die Gamer-Szene gibt sich vor allem auch über eine Reaktion eines RTL-Redakteurs entsetzt, der die Spielbegeisterten als humorlos darstellt.
Und was sagt RTL zu dem ganzen Trubel? Die Kölner zeigen Reue und drücken Bedauern aus. "Die Verallgemeinerung und Überzeichnung des Beitrags zur Gamescom in der Sendung 'Explosiv' vom Freitag, 19.08.2011, war ein Fehler. Wenn wir Gefühle verletzt haben sollten, entschuldigen wir uns ausdrücklich dafür", heißt es bei RTL aufrichtig. Ob sich ein angekündigter Hackerangriff auf RTL durch diesen Rückzieher verhindern lässt? Jedenfalls sind Teile der RTL-Seite vorübergehend nicht zu erreichen gewesen. Zuvor hat der Sender versucht, den Beitrag auf YouTube unter Hinweis auf die Urheberrechtsverletzung zu löschen. Was den Sturm der Entrüstung nur noch mehr anfachte. Doch andernorts ist der Beitrag immer noch bei YouTube zu finden, gerne auch verfremdet.
Die Medienwächter sind in Sachen RTL bereits alarmiert: Die NLM prüft immer noch das umstrittene TV-Format "Mietprellern auf der Spur", in der sich Moderatorin Vera Int-Veen in einer Folge Zutritt zu der Wohnung einer Frau verschafft haben soll, während diese abwesend war. Doch nach dem "Explosiv"-Beitrag über die weltgrößte Messe für Videospiele ist der Shitstorm online und offline ungleich größer - wie es bei Programmbeschwerde.de heißt, kommt so ein Massenansturm an Beschwerden sonst nur bei "Big Brother" vor. Mittlerweile steht fest: Das ist Rekord! Klar: Die Gamer-Szene gilt als sehr gut organisiert und vernetzt - was sich hier deutlich zeigt. Da lässt sich - auch mit Blick auf das für RTL so wichtige Geschäftsfeld Spiele - nur festhalten: Die Moral von der Geschicht‘ – verärgere die Gamer nicht!