Gastkommentar von Hasso Mansfeld:
Sea Watch auf der Spree: Den Shitstorm habt ihr euch verdient!
Mitten in Berlin hat die Hilfsorganisation Sea Watch Berliner Polit-Prominenz über die Spree schippern lassen - um einen Eindruck von der Not der Flüchtlinge zu vermitteln. Die gut gemeinte Aktion ist ein peinliches PR-Debakel, findet Strategieberater Hasso Mansfeld. Ein Gastkommentar.
Traurige Musik. Stimme aus dem Off. 121 winzige Menschlein auf einem wackelnden Schlauchboot. Wie hilflos sie wirken. Der Wind heult. Später werden die Bootsinsassen berichten, wie beengt man sich fühlte, sie können nachempfinden, wie schrecklich eine solche Situation für Flüchtlinge sein muss. Allerdings: Die Ufer der Spree sind derweil kaum mehr als zehn Meter von den Flüchtlingsdarstellern entfernt. Und alle Beteiligten tragen fabrikneue, ohnmachtssichere und feuerrote Schwimmwesten. Das hier beschriebene Video wurde bei Spiegel Online mittlerweile fast eine Million Mal angesehen. Und ein regelrechter Schwall negativer Kommentare ergoss sich über die Protagonisten.
Was die Nichtregierungsorganisation Sea Watch hier inszeniert hat, ist ein PR-Debakel. Dabei hatte man doch alles beisammen, was normalerweise einen großen Werbeerfolg verspricht: viel Prominenz, ein anrührendes Thema, und freundlich gesinnte Medien. Jedoch: "Politiker schippern gemütlich in "Originalflüchtlingsboot" auf der Spree" - so nur einer von tausenden hämischen Kritikern. Oder: "Fehlt nur noch, das Häppchen gereicht werden".
Nicht in erster Linie die üblichen Verdächtigen von Pegida, AfD und Co. tobten sich aus. Nicht wenige Menschen, die sich ansonsten solidarisch mit Flüchtlingen äußern oder sogar in der Flüchtlingshilfe tätig sind, nennen die Aktion zynisch und menschenverachtend. Positive Kommentare findet man so gut wie gar nicht.
So viele Fehler!
Was ist nur schief gegangen? Alles.
Erstens: Für den unbedarften Zuschauer wird nicht klar, dass es sich um eine Aktion einer NGO handelt, die schon mehrfach tatsächlich durch private Seenotrettung von sich reden gemacht hat. Damit fällt der NGO-Bonus in der Rezeption ebenso weg wie die Street-Credibility einer Gruppe, die dort einspringt, wo's weh tut. Stattdessen sieht der Zuschauer Politiker (die mag er sowieso nicht), vor allem von den Parteien der Berufsbetroffenen (noch schlimmer) und die setzen sich selbst in Szene, ohne dafür ein persönliches Opfer zu bringen. Schrecklich.
Zweitens: Dass die Medien jegliche Distanz aufgegeben haben, gereicht den Aktivisten in diesem Fall nicht zum Vorteil. Wenn Spiegel Online, statt die Hintergründe zu durchleuchten, noch die passende musikalische Untermalung zum Video liefert, fühlt sich der Zuschauer zu Recht verarscht. So geht Journalismus nicht. Alles wirkt wie eine koordinierte Kampagne, in der NGO, Politik und Medien an einem Strang ziehen. Wer da nicht misstrauisch wird, hat ein ungesundes Verhältnis zur medialen Öffentlichkeit.
Und drittens: Die Aktion ist zynisch und menschenverachtend. Es handelt sich um eine billige Solidaritätssimulation. Als könnte eine Schlauchboottour auf der Spree auch nur ansatzweise vermitteln, was Menschen durchmachen, die tagelang in überfüllten unsicheren Booten auf dem Mittelmeer ausharren.
Fähigkeit zur Selbstkritik?
Sea Watch und alle an der Erstellung des Videos Beteiligten haben ein Eigentor geschossen. Vom Standpunkt einer verantwortungsvollen Öffentlichkeitsarbeit gilt es jetzt, Schadensbegrenzung zu betreiben. Dazu würde vor allem gehören, sich von der unter NGO-Aktivisten und auch in der Politik verbreiteten Vorstellung zu verabschieden, man sei im Besitz der absoluten Wahrheit und jeder Kritiker bestätige nur die eigene Position. Man darf gespannt sein, ob sich Sea Watch in den nächsten Tagen zu ein wenig Selbstkritik durchringen kann.
Ich prophezeie: Nein.
Der Autor:
Hasso Mansfeld ist Kommunikations- und Strategieberater. Er gehörte zum Autorenkreis von The European und schreibt heute für das Meinungsportal Die Kolumnisten. Mansfeld kandidierte 2014 als FDP-Mitglied für das Europäische Parlament. Er lebt und arbeitet in Bingen am Rhein.