
Online-Marktplatz für Selbstgemachtes schließt:
Schade Dawanda, du wirst mir fehlen
Die Nachricht, dass der Online-Marktplatz Dawanda so überraschend vom Markt verschwindet, macht Kunden und Verkäufer traurig und fassungslos. Ich bin eine davon.

Foto: Dawanda / Screenshot dawanda.de
An diesem ereignisreichen Wochenende sorgten viele Meldungen für Überraschung und "WTF"-Momente: Waas? Russland schmeißt Spanien aus der WM? Waas? Seehofer will zurücktreten? Und Waaaaas? Dawanda macht dicht. Für alle Nicht-Dawanda-Fans vermutlich nicht nachvollziehbar, diese Reaktion. Aber wer schon viele Jahre den Online-Marktplatz für Selbstgemachtes nutzt und schätzt, den macht die Nachricht vom Ende sehr, sehr traurig.
Was ist passiert? Dawanda-Gründerin Claudia Helming hat sich zu einem brachialen Schritt entschlossen: Dawanda, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz führende Online-Marktplatz für Selbstgemachtes, Gebasteltes und Unikate, stellt schon Ende August den Betrieb ein. Helming empfiehlt den Dawanda-Nutzern, auf den Marktplatz des US-Konkurrenten Etsy zu wechseln. Geld soll offenbar nicht fließen, wie die Süddeutsche berichtet, stattdessen ist von einer Vereinbarung die Rede, von "Gegenleistungen" für Helming. Auch Anteile übernimmt Etsy nicht. Dawanda verschwindet vom Markt und geht offline. Eine Marke wird abgewickelt.
Im Herbst 2017 erstmals profitabel
Der Schritt kommt für Kunden wie mich und die rund registrierten 380.000 Verkäufer aus ganz Europa völlig überraschend. Denn für Dawanda schien es endlich finanziell aufwärts zu gehen, die Neustrukturierung, der Stellenabbau und das neue Gebührenmodell begannen zu greifen. Im Herbst 2017 war der Marktplatz erstmals profitabel. Der Umsatz stieg 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 21,4 Prozent auf 16,4 Millionen Euro. Doch die Führung des Startups glaubte nicht daran, dass dies ausreicht, um Dawanda dauerhaft profitabel zu machen, wie "Gründerszene" und die "Süddeutsche" in einer Analyse schreiben. Gegen die Marktmacht und die technische Überlegenheit des börsennotierten Unternehmens Etsy, das 2017 einen Gewinn von knapp 13 Millionen Euro meldete, wäre Dawanda auf Dauer nicht angekommen und einen langsamen Tod gestorben, so die Befürchtung.
An die Community gerichtet, erklärt sich Claudia Helming in einem Blogbeitrag: "Die E-Commerce-Landschaft hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, unser Geschäftsmodell stößt zunehmend an seine Grenzen. Und wir haben es nicht geschafft, ausreichend neue innovative Ideen umzusetzen. Dawanda ist nicht insolvent. Aber wir haben erkannt, dass das Risiko, nicht mehr mithalten zu können, zu groß ist. Wir tragen eine große Verantwortung gegenüber unseren Verkäufern, Käufern, Partnern und Mitarbeitern. Wir mussten handeln, bevor es keine Handlungsmöglichkeiten mehr gibt."
Kundin seit 2008
Dabei galt gerade Dawanda lange als das Vorzeige-Startup. Claudia Helming hatte den Online-Marktplatz 2006 zusammen mit Michael Pütz gestartet. Vorbild war damals die US-Plattform Etsy, die ein Jahr zuvor gegründet worden war.
Mir hat das Konzept gefallen. Seit Mai 2008 bin ich Kundin bei Dawanda, habe so manches schöne Stück dort erstanden: Ein heißgeliebtes Shirt aus Berlin, eine wunderbare Uhr aus Polen, Schmuck aus Sachsen, Selbstgenähtes aus der Eifel, Weihnachtsgeschenke für die ganze Familie. Was ich gut finde: Das Herumstöbern im großen Angebot, die oft liebevolle Präsentation der selbstgemachten Produkte, der übersichtliche und schön gestaltete Webauftritt, das Markendesign, die Empfehlungen, die Kaufabwicklung, eine Gummibärchen-Tüte oder Aufkleber im Paket, ein paar Zeilen vom Verkäufer. Die Gewissheit, lokale Kleinunternehmer zu unterstützen. Und das Community-Gefühl. Denn Dawanda ist nicht nur ein Marktplatz, es war auch immer eine starke Community. Und die ist nun geschockt und traurig, äußert ihren Unmut in vielen Beiträgen oder bedankt sich bei Dawanda für die Starthilfe in das Kleinunternehmertum.
So geht es mit Etsy weiter
Wie geht es nun weiter? Nach eigenen Angaben hat Dawanda zusammen mit Etsy ein Tool entwickelt, mit dem die Verkäufer seit dieser Woche ihre Angebote und Shopinhalte zum bisherigen Wettbewerber übertragen können. Für Etsy ist die Vereinbarung ein Geschenk, um global weiter zu wachsen. "Deutschland ist seit langem einer von Etsys geografischen Hauptmärkten. Investitionen in Marketing, Technologie, Community-Events und die Talentförderung in unserem Berliner Büro sehen wir als substantielle Schritte unsere deutsche Community zu stärken. Mit dieser Vereinbarung können wir Etsys Reichweite in Deutschland und Mitteleuropa weiter ausbauen", sagt Josh Silverman, CEO von Etsy.
"Wir freuen uns, Dawanda-Verkäufer und -Käufer bei uns zu begrüßen", so Silverman weiter. Die Dawanda-Verkäufer erhielten Zugang zu 35 Millionen aktiven Etsy-Käufern und Dawanda-Käufer Zugang zu mehr als 50 Millionen Artikeln. Und Etsy will investieren, mit mehr regionalem Marketing, einem ausgeweiteten Kundenservice für Deutschland und Polen, die Übersetzung der Webseite ins Polnische und zusätzliche Zahlungsoptionen durch eine neue Partnerschaft mit Klarna.
Dawanda-Gründerin Claudia Helming sagt: "Etsy teilt viele Werte und Ideale mit Dawanda. Die Plattform legt ihren Fokus darauf, Unternehmer/innen zu fördern, lebt Kreativität und stellt menschliche Beziehungen in den Vordergrund. Hinzu kommen Aspekte wie Internationalität und Reichweite. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Community als Teil von Etsy weiter gedeihen wird." Für das Dawanda-Team gilt das jedoch nicht. Die 150 verbliebenen Mitarbeiter verlieren ihren Job, 50 helfen noch bei der Abwicklung mit.
Ein Lieblingsladen verschwindet
Im vergangenen Jahr fanden auf Dawanda rund 2 Millionen Käufer und mehr als 70.000 aktive Verkäufer zusammen. Ich war eine davon und hatte demnach Zugang zu rund 4 Millionen Artikeln. Mir hat das vollkommen gereicht. Natürlich werde ich nun zu Etsy wandern, dem globalen Marktplatz mit so vielen lokalen Verkäufern. Denn ich bleibe Fan des DIY-Konzeptes. Trotzdem wird mir Dawanda fehlen. Denn es fühlt sich an, als würde der Lieblingsladen um die Ecke einfach zumachen. Und Platz machen für eine weitere globale Kette.