Kommentar:
Satire darf alles? - Über ein großes Missverständnis
Das berühmte Tucholsky-Zitat hat mit der juristischen Realität nichts zu tun: Über ein Bonmot, das stark übertreibt, aber von den Menschen trotzdem für voll genommen wird.
"Was darf die Satire? - Alles." Das berühmte Tucholsky-Zitat ist ein treffendes Bonmot. Allerdings eines, das stark übertreibt. Der Satz ist irgendwie zu schön, um nicht wahr zu sein. Genau so ist es auch zu erklären, dass viele in ihm einen verbindlichen Rechtssatz zu erkennen glauben. Das ist aber ein großes Missverständnis. Mit der Realität unserer Verfassung, in der viele Grundrechte im gegenseitigen Spannungsverhältnis zueinander stehen, hat der Satz nichts zu tun. Er bringt lediglich auf den Punkt, dass die Grenzen der Kunstfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat sehr weit zu ziehen sind.
Natürlich haben sowohl die Kunstfreiheit als auch die Meinungsfreiheit im demokratischen Rechtsstaat ihre Grenzen. Etwa in den Tatbeständen der Volksverhetzung und der Beleidigung. Jan Böhmermann weist zwar völlig zu Recht darauf hin, dass sein "Schmähgedicht" nicht aus dem Zusammenhang der Satirenummer gerissen werden darf. Dass dies aber schnell zur reinen Wunschvorstellung wird, überrascht kaum, wenn die Wellen hochschlagen bis zur anatolischen Mittelmeerküste.
Das Landgericht Hamburg hat lediglich eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen. Wie das Verfahren am Ende ausgehen wird, ist offen. Aber es ist kaum damit zu rechnen, dass Böhmermann für seine Satire bestraft wird: Zum Glück genießen Künstler hierzulande mehr Freiheiten als im Erdoğan-Staat.
Dennoch ist klar: Das geflügelte Wort "Satire darf alles" hat zu einem Missverständnis geführt. Jemanden als Vollpfosten zu bezeichnen, wird nicht unverfänglicher durch die Tatsache, dass es sich tatsächlich um einen Vollpfosten hoch drei handelt. Würde der Tucholsky-Satz in dieser Absolutheit stimmen, dann wäre überhaupt nichts einzuwenden gewesen gegen die judenfeindlichen Karikaturen im antisemitischen "Stürmer". Doch mit dieser Form der Hetze nahm das Unheil des Dritten Reichs erst seinen Lauf.
Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit unterliegen genauso bestimmten Einschränkungen wie auch andere Grundrechte, etwa die Religionsfreiheit, Berufsfreiheit oder das Recht auf Eigentum.
Nur Artikel 1 des Grundgesetzes gilt immer völlig absolut und lässt deshalb keinerlei Ausnahmen zu. Und da steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar.