Jo Groebel forscht für Sky:
Rocking Recipient: Das ist der Fernsehzuschauer von heute
Nutzer, die unter verschiedenen Angeboten wählen und zwischen aktivem und passivem TV-Konsum schwanken: Sie diktieren laut Jo Groebel die Zukunft im TV.
Mehr Sender, mehr Interaktion, zahlreiche Offerten für den Second Screen – und was machen all diese Veränderungen im TV-Business mit dem Publikum vor den Bildschirmen? Gibt es einen neuen Typus Zuschauer? "Ja", betont Medienforscher Jo Groebel. Der Direktor des Deutschen Digital Instituts Berlin hat im Auftrag des Pay-TV-Anbieters Sky das moderne Medienverhalten der Nutzer durchleuchtet und die Ergebnisse jetzt in München präsentiert. Seine Studie mit dem Titel "Das neue Fernsehen" kommt zu dem Schluss: "Der ‚Rocking Recipient‘ verkörpert die neue Generation des TV-Konsumenten." Gemeint ist jener Nutzer, "der frei unter den verschiedenen Angeboten wählt und sich zwischen aktivem und passivem TV-Konsum, also ‚lean forward‘- und ‚lean back‘-Nutzung, wie in einem Schaukelstuhl (‚Rocking Chair‘) hin und her bewegt", wie es heißt.
Insgesamt macht Jo Grobel fünf Zuschauertypen aus:
- Den Vielseher. Den Typus gibt es schon lange und er ist laut Groebel bei 18 Millionen Bürgern vorzufinden. Er ist im Schnitt 60,7 Jahre alt, glotzt mehr als dreieinhalb Stunden – und ist eigentlich nie richtig zufrieden mit dem Programm.
- Den kritisch Sehenden. Er ist mit 50,3 Jahren im Schnitt schon deutlich jünger. Der Typus umschreibt den "individualistischen TV-Skeptiker", der auch auf das Design des TV-Geräts Wert legt und sich nur auf wenige ausgewählte Formate festlegen kann.
- Den TV-Fernen. Der Intellektuelle unter den TV-Typen ist im Schnitt 46,5 Jahre alt, lehnt das Fernsehen als Unterhaltungsmedium ab. Er sieht nur dann fern, wenn er sich informieren will.
- Den Selektivseher. Dieser ist – anders als die drei vorhergehenden Typen – eine eher neue Erscheinung. Im Schnitt 43,3 Jahre alt, entdeckt er für sich Perlen wie "Breaking Bad", nutzt dafür dann aber auch ein Smart-TV-Gerät mit Webzugang. Rund zehn Millionen Selektivseher macht Jo Groebel hierzulande aus – sie nutzen TV bewusst und stimmungsabhängig.
- Den Techniknahen. Er ist an sich schon der Jüngste – mit durchschnittlich 31,6 Jahren. Aber auch der Typus ist recht neu. Rund elf Millionen sind es in Deutschland, die TV häufig und oft nebenbei konsumieren, egal ob über den TV-Bildschirm oder über das Tablet. Sie sind die typischen Nutzer des Second Screen - und viele von ihnen haben gar kein herkömmliches Fernsehgerät mehr.
Dem "Techniknahen", der ebenso wie der Selektivseher ein Typus neuer Zeit ist, widmet sich Jo Groebel in der Studie intensiv, für die 1000 Teilnehmer von TNS Infratest repräsentativ befragt wurden. Groebels Beobachtung: "Das Fernsehverhalten der Deutschen hat sich massiv verändert. Besonders die jüngere Generation ist von der traditionellen Nutzung reiner TV-Geräte zu mobilen Plattformen gewandert." Mit weit reichenden Folgen, denen aus Sicht des Professors Anbieter, Medienpolitik und Regulierung Rechnung tragen müssten: "Durch diese substanzielle Nutzungsänderung wird aus dem Dualen Rundfunksystem zugleich ein Four-Player-System: Neben die Öffentlich-Rechtlichen und freien Privaten treten zunehmend gleichgewichtig Abonnentenfernsehen und professionelle Webanbieter." Also, Daumen hoch für Sky und Anbieter wie die VoD-Plattform Netflix.
Sorgen macht sich Groebel trotz der Prognose aber weniger um das TV an sich ("Es bleibt das Leitmedium") und um dessen Funktion ("TV wird dank des Austausches auf Facebook nach Jahren der Individualisierung wieder ein Gemeinschaftsmedium") als vielmehr um ARD und ZDF: Den techniknahen Jungen gehöre die Zukunft, meint er. Sie interessierten sich aber nicht für das Programm der Öffentlich-Rechtlichen. Die jungen Seher orientieren sich mehr an dem, was Groebel "Catch Up"-TV nennt und das den künftigen TV-Markt prägen dürfte: Lieblingsformate auf Abruf. "Synchron TV", wie es ARD und ZDF überwiegend mit Nachrichten, Sport, Shows und Events biete, würden gerade die Jungen immer mehr links liegen lassen.
Auf den Medientagen München hat Jo Groebel zusammen mit TV-Machern, älteren Semestern und "Techniknahen" über das Fernsehen der Zukunft diskutiert.