Kolumne:
Rezos Zerstörung als guter Kick-off
Jetzt immer am Montag: Nico Lumma und Christoph Hüning vom Next Media Accelerator beschäftigen sich bei W&V mit Leuten und Themen, über die man im Laufe der Woche sprechen sollte.
Es ist wieder mal soweit, Rezo hat sich ein neues Thema gesucht, an dem er sich abarbeitet. Interessanterweise hat er sich dafür unsere Medienbranche ausgesucht. In einem knapp einstündigen Video erläutert er seine Sicht auf die Industrie und zeigt hierbei ein wichtiges Dilemma auf: Zum einen sind funktionierende Medien ein elementarer Baustein von demokratischen Gesellschaften. Zum anderen sind es aber auch gelernte Prozesse einzelner Anbieter, die es heute Fake News und Verschwörungstheorien ermöglichen, ihr Publikum zu finden.
Nach der “Zerstörung der CDU” bietet Rezo mit “Die Zerstörung der Presse” einen vergleichbar reißerischen Titel, was direkt zu (zu) schneller Kritik führte. Allerdings macht es wirklich Sinn, sich die Stunde Zeit zu nehmen und zu verstehen, welchen Beitrag er leisten will, um Medienunternehmen in die digitale Zukunft zu begleiten (Spoiler: Die Aufklärung “ich zerstöre in diesem Video gar nichts” erfolgt bereits bei Minute 02:48, mindestens so lange sollte schon jede*r durchhalten, bevor sie sich aufregt).
Wir selber sind altersmäßig sicher nicht (mehr) die klassische Rezo-Zielgruppe, aber wir beschäftigen uns tagtäglich mit Innovation in der Medienbranche und arbeiten dafür eng mit Startups aus ganz Europa und Israel zusammen. Daher verstehen wir den ungewöhnlichen Produktionsstil des Videos durchaus. Aber gerade die Generation der Medienschaffenden im Alter 40 bis 60 muss sich mit den Konsumgewohnheiten und den resultierenden neuen Inhalten aktiv befassen. Es ist zu einfach, sich über blau gefärbte Haare und schnelle Schnitte aufzuregen, wenn es nur darum geht, die unangenehmen Botschaften nicht hören zu wollen. Lieber einfach mal ein paar Formulierungen überhören und dafür interessantere Insights gewinnen als es manch externe Studie oder Beratungsprojekt vermitteln kann. Hier in Hamburg startet gerade unter dem Motto #UsetheNews eine groß angelegte Studie zum Nachrichtenkonsum von Menschen unter 30. Das neueste Video von Rezo eignet sich als guter Kick-off für dieses wichtige Projekt und bietet viele Insights.
Hohes Maß an Transparenz
Ist an dem Video alles richtig und alles neu? Wahrscheinlich nicht. Aber: schon die Herleitung, dass Fake News und absurde Verschwörungstheorien auch deshalb überhaupt ihr Publikum finden, weil die deutsche Yellow Press mit erfundenen Nachrichten zu Adeligen und Prominenten dafür gesorgt hat, dass Unwahrheiten ohne Konsequenzen bleiben, ist ein lohnenswerter Gedankengang. Und ein 25-seitiges Google Doc mit Quellen zu einem einstündigen Video ist ein Maß an Transparenz, das wir von keinem Leitartikel einer klassischen Medienmarke kennen. Als hätte es die Diskussion zu Herrn Relotius nie gegeben.
Was können wir lernen? Formate verändern sich ständig, Distributionskanäle auch. Das kann jede Userin verwerflich finden oder einfach akzeptieren. Für gute journalistische Arbeit ist Recherche und Factchecking eine wesentliche Grundlage. Medienhäuser und Startups beschäftigen sich daher immer stärker mit der Nutzung von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen, um Journalistinnen die Arbeit zu erleichtern. Das Startup Faktual, in das wir Anfang des Jahres investiert haben, arbeitet explizit daran, die Recherche zu optimieren. Organisationen wie das International Fact Checking Network haben sich ganz dem Factchecking verschrieben und es ist wohl kaum unbemerkt geblieben, dass Twitter mittlerweile auch Tweets von Präsident Trump einem Factcheck unterzieht.
Kritik zulassen und ernst nehmen
Unser Wunsch ist es, dass etablierte Medienhäuser Stimmen wie Rezo zulassen und ernst nehmen. Seine Kolumne auf Zeit Online ist allein deswegen schon lesenswert, weil sie anders ist, als es klassische Zeit Leserinnen erwarten. Denn er adressiert die Zielgruppen, deren Nutzungsverhalten dafür verantwortlich ist, dass die Printauflagen aller Titel seit Jahren nur eine Richtung kennen. Exemplarisch für unsere Branche ist es aber leider, lang und ausgiebig darzulegen, welche der im Video genannten Fehler eventuell doch keiner war oder eigentlich ganz anders gemeint - eingebettet in die übliche “der junge Mann mit dem blauen Haarschopf” Wertung des Gesehenen. Es geht allerdings den Leserinnen nicht um das Aussehen, sondern um Inhalte in einer zeitgemäßen Darreichungsform.