Recruiting in der Krise: Bertelsmanns neue Personal-Strategie
Ausgedünnte Redaktionen, Personalabbau und Mittelmaß beim Image: Ist die Medienbranche überhaupt noch attraktiv? Bertelsmann-Personaler Gero Hesse über Recruiting in der Krise, die Konzern-Agenda 2010 und seine Facebook-Pläne.
Ausgedünnte Redaktionen, Personalabbau und Mittelmaß beim Arbeitgeber-Image: Ist die Medienbranche für Top-Talente überhaupt noch attraktiv? Gero Hesse, Senior Vice President Human Resources bei Bertelsmann, über Recruiting in der Krise, die Konzern-Agenda 2010 und seine Facebook-Pläne.
W&V: Herr Hesse, schmale Hefte, ausgedünnte Redaktionen, Personalabbau aller Orten: Ist die Medienbranche für Top-Talente überhaupt noch attraktiv?
Hesse: Ich denke schon. Bertelsmann vereint unter einem Dach sowohl Medien als auch Dienstleistungen – und ist mit diesem Portfolio definitiv ein interessanter Arbeitgeber. Dass die Zahl der Bewerbungen leicht zurückgeht, hängt damit zusammen, dass wir weniger offene Stellen anbieten. Wir bewegen uns auf einem Niveau von 300 000 Bewerbungen pro Jahr, die Zahl der Initiativ-Bewerbungen ist 2009 sogar gestiegen. Im Personalmarketing achten wir allerdings weniger auf die Zahl der Bewerbungen als vielmehr auf die Absagequote jener Kandidaten, die wir gerne für uns gewinnen würden – und die liegt unter einem Prozent.
W&V: Ein Blick auf das Absolventen-Barometer zeigt, dass Medien offenbar Nachholbedarf haben: Bertelsmann steht auf Rang 59, 2008 waren Sie noch auf Platz 39 zu finden. Google hat sich im gleichen Zeitraum von 20 auf 17 verbessert. Hat Ihr Unternehmen ein Image-Problem?
Hesse: Nein. Wir machen unseren Erfolg nicht an einzelnen Rankings fest. Überhaupt sind diese Aufstellungen mit Vorsicht zu genießen. Trendence zielt auf den Massenmarkt ab. Das ist gar nicht unsere Zielgruppe. Wir suchen Menschen mit unternehmerischem Denken, „Unternehmer im Unternehmen“. Unser größter Wettbewerber um die besten Köpfe ist nicht unbedingt ein anderes Unternehmen, sondern der Schritt in die Selbstständigkeit mit einer Business-Idee.
W&V: Das Berufsbild Medien ist einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Welche Berufsfelder werden in der Arbeitgeberkommunikation künftig das Image von Bertelsmann prägen? Die bunte Welt der Zeitschriften taugt da wohl kaum noch.
Hesse: In der Kommunikation fächern wir das gesamte Ber-
telsmann-Spektrum auf, und das wird auch so bleiben. Schließlich leitet sich die Personal- aus der Unternehmensstrategie ab. Wir decken alles ab, von der Redaktion bis hin zu jenen Jobs, die man vielleicht auf den ersten Blick gar nicht mit Bertelsmann verbindet.
W&V: Bertelsmann betont in seiner Kampagne „create your own career“ sehr stark kreative Aspekte, Eigenverantwortung sowie das Umsetzen eigener Ideen. In Zeiten der Krise verschieben sich die Prioritäten: Es werden weniger Talente gebraucht, Kreatives scheitert am Controlling, und für Ideen fehlt Budget. Behalten Sie dennoch Ihren Kommunikationsauftritt bei?
Hesse: Natürlich, denn er speist sich aus der Unternehmenskultur. „Kreativität“ lässt sich verschieden interpretieren: Sie bezieht sich nicht nur auf Medien, sondern genauso auf Geschäftskonzepte – Lufthansa Miles & More war zum Beispiel eine große kreative Leistung bei Arvato. „Kreativität“ ist der Kern dessen, was unser Unternehmen ausmacht.
W&V: Gab es denn 2010 im Personalmarketing Kürzungen?
Hesse: Wir bewegen uns auf dem Niveau des Vorjahres.
W&V: 2009 haben Sie kleinere Brötchen gebacken als 2008.
Hesse: Stimmt. Was daran liegt, dass wir 2008 mit einem Big Bang unsere Recruiting-Initiative mit dem Event „Talent Meets Media“ (TMM) aus der Taufe gehoben haben. Wir verzichten auch 2010 nicht auf TMM, es findet im Juli unter dem Motto „175 Jahre Bertelsmann – Eine Zukunftsgeschichte“ statt. 50 Studenten werden da sein. Außerdem setzen wir unser erstes Nachtreffen aus dem Vorjahr fort: Wir knüpfen so ein Netzwerk aus Top-Leuten, mit denen wir mittel- und längerfristig Kontakt halten. Aus dem TMM-Pool 2008 haben wir 30 Kandidaten eingestellt.
W&V: Welche Maßnahmen stehen 2010 im Fokus?
Hesse: Neben TMM gehört der Studentenfonds OWL zu unseren Schwerpunkten. Wir vergeben Stipendien an Hochschulen in Ostwestfalen – ein Bekenntnis zur Region. Außerdem möchten wir Social Media, etwa auf Facebook, ausweiten. Facebook transportiert ideal den TMM-Gedanken. Dazu passt, dass wir unsere Stellenbörse erweitern und auch dort die Vernetzung vorantreiben. In diese Stellenbörse platzieren wir echte Career Stories.
W&V: Was tun Sie, um Talente zu binden und ein Abwandern zu vermeiden? Stichwort Talent Relationship Management.
Hesse: Die Unternehmenskultur ist sehr wichtig, auch wenn das vielleicht banal klingt. Daneben ist das „Entrepreneurs Program“, bei dem High Potentials in 18 Monaten weltweit Projekte in verschiedenen Divisionen durchlaufen, ein wertvolles Tool. Wer bei uns Freiräume nutzt, kann sehr stark seine Karriere mitsteuern. Wir erwarten das übrigens auch. Bertelsmann setzt traditionell viele Instrumente ein, um Talente und Führungskräfte zu entwickeln: von „Januar-Gesprächen“, bei denen das Team die Führungskraft beurteilt, bis hin zu einer Potenzialmatrix von Top-Talenten.
W&V: Sie stellen in Web-Videos anhand von Menschen mögliche Berufswege dar, Talente kommen in Blogs zu Wort. Welche Bedeutung haben neue Medien in der Außendarstellung?
Hesse: Eine große. Die Kandidaten möchten authentisch informiert werden, von realen Personen. Einem Medienkonzern gegenüber ist die Erwartungshaltung besonders hoch.
W&V: Web-2.0-Medien zu bedienen, wirft für ein Unternehmen organisatorische Fragen auf – schließlich kann man nicht jede 140-Zeilen-Äußerung durch drei Instanzen intern prüfen.
Hesse: Deshalb verzichten wir zum Beispiel darauf, Tweets mit der Unternehmenskommunikation abzustimmen. Voraussetzung ist ein gegenseitiges Vertrauen – und das herrscht bei uns.
W&V: Werden Sie stärker in sozialen Netzen präsent sein?
Hesse: Bei YouTube finden User an die 150 Videos – das zeigt die Bandbreite, mit der wir uns darstellen. In diese Richtung werden wir stärker gehen, was auch damit zu tun hat, dass Peer-to-peer-Empfehlungen besonders glaubwürdig sind.