Täter und Opfer in den Medien:
Offener Brief des Bundesverbandes Amokschützen und Terroristen
Gäbe es eine Vereinigung der Amokschützen und Terroristen, sie würde Medien und Social-Media-Plattformen folgenden Dankesbrief schreiben. Eine Polemik von Jochen Kalka.
Gäbe es eine Vereinigung der Amokschützen und Terroristen, sie würde Medien und Social-Media-Plattformen folgenden Dankesbrief schreiben. Ein Denkanstoß von Jochen Kalka*.
Vorsicht, Ironie.
Liebe Medien, liebes Social Web, oder besser: liebe Erfüllungsgehilfen,
es ist höchste Zeit, dass wir uns bei Euch für Euer Engagement und Eure Unterstützung bedanken. Ohne Euch würden unsere Angriffe, Morde und Anschläge lange nicht so gut wirken und funktionieren. Ihr seid unsere zuverlässigsten Partner, damit wir unsere Ziele effektvoll umsetzen können.
Wir, das sind die Mörder von München, Winnenden und Erfurt, wir sprechen aber auch für die Mörder von Nizza, Paris, Brüssel. Denn wie jemand stirbt, ist letztlich völlig egal, wenn es nur durch uns passiert, mit freundlicher Unterstützung der Medien. Leider nicht aller Medien. Es gibt doch schon einige, die wir nicht mehr als Erfüllungsgehilfen nutzen können. Daher gilt dieser Dank nur unseren Unterstützern.
Zunächst einmal Danke dafür, dass Ihr uns immer zu großen Helden macht. Dass Ihr uns stets schön abbildet und respektvoll beschreibt, oft auf Seite 1 Eurer Zeitung oder Zeitschrift, mindestens aber auf Seite 3.
Danke dafür, dass Ihr uns auch in allen Nachrichtensendungen zeigt, oft so, wie wir es am liebsten haben, mit Waffen in der Hand oder mit brutalem Gesichtsausdruck. Denn wenn Ihr uns klein zeigen würdet, als das, was wir sind, kleine Würstchen, Verlierer oder "Arschlöcher und Wichser", um den Münchner Nachbarn zu zitieren, fänden wir das nicht gut. Doch unser Vertrauen in Euch Medien ist ungebrochen, wie Ihr seit Jahren beweist.
So habt Ihr von unserem Rechtsradikalen aus Norwegen das Lieblingsfoto unserer vereinigten Amokschützen und Terroristen gezeigt, in fast allen Medien, wo er arrogant auf die restliche Menschheit herunterlächelt. Ihr habt über dessen Manifest ernsthaft berichtet. Danke auch dafür!
Besonders eindrucksvoll inszeniert habt Ihr schon vor 14 Jahren unseren Erfurter Mörder, damals sogar mit einer aktuellen Live-Talkshow aus Erfurt. Das hat uns echt stark fühlen lassen, obwohl unser Erfurter doch so ein Knilch war. Noch brutaler und professioneller wart Ihr Medien in Winnenden, da habt Ihr unseren Buben so was zum Hero gemacht, obwohl er sogar uns peinlich war, wegen seines erbärmlichen Massenmords, den er vor allem an kleinen Mädchen in Klassenzimmern durchgeführt hatte, von hinten schoss, was nicht einmal Level 1 von Counter-Strike entspricht.
Danke, liebe Medien, dass es Euch gelungen ist, diesen absoluten Versager auf Eure Titelseiten zu hieven, seinen vollen!!! Namen bis heute zu nennen, seine Visage zu heroisieren.
Schön ist es auch immer, wenn sich Medien die Mühe machen, unsere Amokschützen und Terroristen selbst zu Opfern zu machen. Wenn Ihr schreibt, wie die armen Täter bislang gemobbt wurden, wie sie psychische Probleme hatten und Opfer der Gesellschaft wurden. Danke, liebe Medien, dass Euch dann nicht mehr auffällt, wir Ihr die Mörder entschuldigt, schlimmer noch, wie Ihr den wahren Opfern die Botschaft vermittelt: Sie sind am Ende doch selbst schuld!
Natürlich wurde dieses Winnender Milchgesicht nach seiner medialen Inszenierung und Verherrlichung Vorbild für den Münchner Psychopathen, der sich die Medienberichte von Winnenden zusammengestellt hat, der vor Ort in Winnenden recherchierte, auf den Spuren der Reporter, der es so geil fand, wie sich die Medien an ihm aufgegeilt haben, dass er auch so werden wollte, auch ein feiger Massenmörder, der Kinder und Jugendliche tötet, in einem McDonald´s.
Weil München wie Winnenden sein wollte.
Was ist das denn für ein Schwachsinn? Möchte man meinen, doch Dank der Medien wird so ein Gedanke zum Ziel von Schwachmaten, in dem Wissen, dass Medien alles zur Schlagzeile machen können. Vor allem unsere vereinigten Amokschützen und Terroristen.
Danke auch dafür, dass Ihr in München all die Panik gezeigt habt. Dass Ihr den Mörder mit seiner Waffe rumballern gezeigt habt, dass Ihr recherchiert habt, dass das rote Mädchen angeschossen überlebt hat, ihr Bruder, links von ihr im Bild, erschossen wurde. Danke, das macht mich noch brutaler, noch mehr zur Faszination des Grauens, zum Helden.
Danke, Danke, Danke!
Danke auch, dass Ihr, fast alle Sender des Landes, all die flüchtenden Menschen gezeigt habt, so, dass man sie gut erkennen konnte. Danke, dass Ihr das Zuhause des Mörders belagert habt, seine Nachbarn befragt habt, um festzustellen, dass der Arme ein ganz normaler, lieber Mensch war. So wie alle Amokschützen und Terroristen.
Danke, dass Ihr unsere Waffen so beschreibt, als wäre es Propagandamaterial aus einem Prospekt eines Waffenproduzenten. Selbst seriöse Nachrichtenportale sind begeistert davon, wie beliebt die Münchner Mordpistole bei Amokschützen ist. Danke dafür, denn es wird weitere Nachfolger geben, die genau diese Tipps brauchen, so wie es unser Münchner Amokschütze so wunderbar aus Norwegen und Winnenden gelernt hat.
Danke, dass Ihr unsere Interessen der vereinigten Amokschützen und Terroristen so ernst nehmt, dass Ihr nicht die Wahrheit darüber schreibt, dass wir durch solche Taten zu Verlierern werden und nicht zu Gewinnern. Dass wir so viel Aufmerksamkeit kriegen. Dass Ihr uns als Monster bezeichnet und damit sogar entmenschlicht. Dass Ihr uns auch gerne mal in schwarzer Montur abbildet, auch wenn wir gar nicht so aussahen.
Danke natürlich auch an Facebook, Twitter & Co. Ihr helft uns in Echtzeit Panik zu schüren, Gerüchte zu streuen, Lügen zu verbreiten. Ohne Euch wären unsere Taten in der Größe gar nicht machbar.
Ohne Euch Medien wären wir nur arme Würmer. Es tut so gut, Euch an unserer Seite der Amokschützen und Terroristen zu haben. Macht weiter so, macht uns zu Helden, nennt unsere Namen, zeigt unsere Gesichter möglichst oft und möglichst groß, zeigt eingeschüchterte, fliehende Menschen, zeigt weinende Väter und Mütter, die gerade ihr Kind verloren haben und macht Euch zum Deppen – nicht uns. Danke!
* Der Autor: W&V-Chefredakteur Jochen Kalka ist wider Willen zum Experten in Sachen Amoklauf und Medien geworden. Er arbeitet in München, wohnt aber mit seiner Familie in Winnenden und sorgte sich um seine Frau und seine beiden Töchter, die sich bei den Morden im März 2009 in der Schule nebenan aufhielten. Kalka schrieb das Buch "Winnenden – ein Amoklauf und seine Folgen" und wird immer wieder von Presse und Sendern zu Medienethik befragt.