Krawalle in Chemnitz:
Nomos-Markenchefin Judith Borowski: "Mit Nazi-Parolen in Verbindung gebracht zu werden, ist schrecklich"
Unternehmen in Chemnitz und Sachsen wehren sich gegen Pauschalverurteilungen und stellen sich gegen rechte Gewalt. Wie ein richtiger Umgang mit rechter Polemik aussehen kann, macht derweil die Uhrenmarke Nomos Glashütte vor.
Chemnitz kommt nicht zur Ruhe. Die örtliche Wirtschaft will Flagge zeigen und sich mit einer gemeinsamen Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von der Stimmungsmache der Rechten und deren Aufmärschen in der Stadt distanzieren - und Chemnitz wieder ins richtige Licht rücken. Die Unternehmen spenden dafür Geld, die zweite Hälfte soll der Familie des ermordeten 35-Jährigen zugute kommen. Initiatoren sind die Verbände Kreatives Chemnitz und der Industrieverein Sachsen 1828.
Die Ereignisse in Chemnitz strahlen mittlerweile auf den gesamten Freistaat Sachsen ab. Auch einige große Marken stellen sich nun gegen das Chemnitz- und Sachsen-Bashing - und rechte Hetze. Wie die Uhrenmarke Nomos aus Glashütte. Deren Markenchefin Judith Borowski äußert sich im W&V-Interview zur Lage und macht vor, wie ein Unternehmen vorbildlich intern mit dem Thema umgehen kann. Sie wünscht sich eine Kampagne der sächsischen Regierung - und sichert Unterstützung zu.
W&V: Ihr Unternehmen wirbt mit seiner Herkunft. Ihr Unternehmenssitz Glashütte liegt gerade einmal eineinhalb Autostunden entfernt von Chemnitz. Wie bewerten Sie die Ereignisse in Chemnitz?
Borowski: Wir verurteilen die Geschehnisse in Chemnitz natürlich und sind bestürzt – so viel Fremdenfeindlichkeit und Hass! Dass dieser auf breiten Konsens stößt, ist besonders traurig. Rechtsaußen-Positionen scheinen in Sachsen Standard geworden zu sein, eine gefährliche Normalität. Menschlich ist dies eine Katastrophe, insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund. Aber auch für uns als eine weltoffene Marke, die Uhren rund um den Erdball verkauft: Nomos Glashütte steht für ein anderes Sachsen, das aber kommunizieren Sie mal auf die Schnelle ... Mit Nazi-Parolen in Verbindung gebracht zu werden, ist schrecklich. Ein Standortnachteil, ein Risiko, eine Aufgabe für Krisenkommunikation – und eine Aufgabe, die ich lieber nicht hätte.
Glauben Sie an negative Auswirkungen auf das Image der Unternehmen in der Region?
Klar. Solche Ereignisse schaden dem Ansehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland und insbesondere schaden sie Sachsen: weltweit diese Bilder hasserfüllter Menschen, die brüllend durch Chemnitz laufen, weltweit diese dummen Zitate. Wir können nur versuchen, ein Zeichen zu setzen, Haltung zu zeigen: Wir stehen für ein anderes Sachsen, für Weltoffenheit. Wir haben ausländische Mitarbeiter, unsere Kunden leben in aller Welt, wir blicken über den Tellerrand – und wir sind in höchstem Maße abhängig von der Welt außerhalb dieses Freistaates. Unser Markenname kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Recht, Gesetz, gerechte Verteilung“. Dem haben wir uns verschrieben. Und wir erinnern uns auch daran, dass auch wir selbst es waren, die vom Mauerfall und von Hilfen aus dem Westen profitierten – ohne diese gäbe es uns nicht.
Leiten Sie konkrete Schritte ein?
Wir schulen gemeinsam mit dem Verein Open Saxony seit Frühjahr unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es geht um Faktenchecks der AfD-Polemik, um Argumentationshilfen gegen rechts, aber auch darum, die Codes der Szene zu erkennen oder Antworten zu finden etwa auf die Frage: Wie gehe ich etwa mit rassistischen Äußerungen in meinem Team um? Wir wollen unseren Kolleginnen und Kollegen das Rückgrat stärken. Das wird von unserer Belegschaft gut angenommen. Und wir versuchen, ins Gespräch zu kommen: unter Kollegen, mit Handelspartnern, Politikern, Endkunden, mit Ihnen, der Presse ...
Sind die Unternehmen und Marken in Sachsen in Summe zu zurückhaltend, was Haltung zeigen und Initiative ergreifen angeht?
Es ist auch nicht einfach, mit einem solchen Thema an die Öffentlichkeit zu gehen – es taugt nicht für PR. Und wir sind keine politische Institution, sondern nur ein Unternehmen. Aber es ist eine Art Bürgerpflicht, dass wir uns diese Entwicklung nicht bieten lassen, dass wir sagen: Stopp! Die Grenze ist überschritten.
Gleichzeitig halte ich es auch für wichtig, dass wir im übertragenen Sinne die Arme öffnen und Menschen integrieren, die sich ganz offensichtlich bedroht und benachteiligt fühlen – dass wir zuhören, Fragen stellen, versuchen, mit dem Unmut anders umzugehen. In Großstädten lebende Akademiker mit Eigentumswohnung haben es vielleicht leichter, mit den Zumutungen des Alltags und mit Ängsten umzugehen; hier braucht es wieder mehr Zuhören, Hinsehen... Zurück zu Nomos Glashütte: Wir verkaufen unsere Uhren nicht vorrangig an Sachsen in Sachsen, sondern an Menschen in und aus aller Welt. Also müssen – und wollen wir – schon deshalb Stellung beziehen.
Sind übergreifende Kampagnen angesichts der momentanen Lage aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Klar. Es braucht eine Gegenbewegung nicht einzelner, sondern ein Bündnis aller, die hier ein Zeichen setzen wollen und die sich ihre Gesellschaft anders wünschen. Dieser Tage sehen wir, dass Politik in unser Leben stark eingreift; niemand kann mehr ernsthaft sagen: Das geht mich nichts an. Es gibt eine kollektive Verantwortung, es ist Bürgerpflicht – wir alle müssen den Anfängen wehren. Ich würde mir wünschen, dass die sächsische Regierung nun vorangeht und eine solche Kampagne ins Leben ruft. Wir wären dabei, wir würden helfen.
Nomos beschäftigt in Sachsen rund 300 Mitarbeiter und ist nach eigenen Angaben deutscher Marktführer bei der Herstellung mechanischer Uhren. Bereits zur Bundestagswahl hatte sich der Mittelständler offen gegen die AfD gestellt. Der Unternehmenssitz Glashütte liegt mitten im Wahlkreis der früheren AfD-Chefin Frauke Petry in der Sächsischen Schweiz-Ostererzgebirge.
Mehr zum Thema lesen Sie in der kommenden Ausgabe von W&V, die am 3. September erscheint (Heft 36/2018). Am 3. September findet in Chemnitz auch das Konzert zu #WIRSINDMEHR statt, bei dem unter anderem die Toten Hosen und Kraftklub auftreten.