
Nicht sexy, aber reich: Warum der Amazon Kindle das mobile Internet revolutioniert
Ein Marken-Tablet für 99 Euro? Klingt gut, stimmt aber nicht. Denn der mausgraue Amazon Kindle ist kein iPad-Konkurrent. Trotzdem steckt eine unschlagbare Strategie dahinter. Ein Selbstversuch von W&V-Redakteur Frank Zimmer.
Ein Marken-Tablet für 99 Euro? Klingt gut, stimmt aber nicht. Der kleine, graue Amazon Kindle ist kein iPad-Konkurrent. Trotzdem steckt eine unschlagbare Strategie dahinter. Ein Selbstversuch von W&V-Redakteur Frank Zimmer.
Mein erstes E-Reader-Erlebnis hatte ich im Jahr 2000. Damals brachte die Telekom ein telefonbuch-großes Lesegerät auf den Markt, dessen Namen mir entfallen ist und an das sich noch nicht einmal Google erinnert. Es war häßlich, es war unhandlich und es war ein Flop. Kleiner, grauer und mindestens genauso unattraktiv ist der erste deutsche Kindle von Amazon, das seit wenigen Wochen verfügbar ist - natürlich nur im Internet. Dass man sich den Kindle vorher nicht anschauen und ihn nicht anfassen kann, dürfte unter Absatz-Gesichtspunkten ein Segen sein. Denn bis man das Amazon-Paket öffnet, glaubt man nicht, dass ein solches Gerät im Jahre 2011 noch möglich ist. Natürlich wusste man schon vorher, dass es weder ein Farbdisplay noch Touchscreen-Funktionen gibt, aber die Inbetriebnahme eines Kindle zeigt dann doch wieder einmal: Wissen ist nicht dasselbe wie erleben.
Jetzt wäre es einfach, sich über die Cursor-Steuerung und andere Usability-Spezialitäten des Kindle lustig zu machen, und ja: Unter Lifestyle-Gesichtspunkten ist der Kindle eine einzige Katastrophe. Aber das ginge am Kern vorbei. Denn der Kindle funktioniert. Er ist leicht und er lässt sich benutzen wie ein Taschenbuch. Wer einfach nur ein Buch lesen und vorher weder in eine Buchhandlung gehen noch auf eine Amazon-Lieferung warten möchte, der ist mit dem Basis-Kindle gar nicht mal schlecht bedient. Eine Gemeinsamkeit mit dem klassischen Buch gibt es auch: Wer auf dem Kindle liest, braucht Licht. Das Diplay ist bekanntlich nicht hintergrundbeleuchtet, die gute alte Leselampe muss also schon sein. Außer, man liest seine Kindle-Bibliothek ganz woanders. Auf dem iPad oder dem iPhone zum Beispiel. Oder auf einem Android-Tablet.
Und hier wird es wirklich spannend: Amazon verbreitet seine Kindle-Inhalte nämlich nicht nur über die eigenen mausgrauen Geräte, sondern auch über kostenlose Apps. Damit ist die eigene Kindle-Bibliothek praktisch überall und auf den besten und komfortablen Ausgabegeräten verfügbar. Die Synchronisierung funktioniert automatisch über die Amazon Cloud. Spätestens hier sieht der Book-Shop von Apple ziemlich alt aus, denn das riesige Content-Angebot von Amazon ist weltweit einfach unschlagbar.
Meine Prognose ist: Wenn Amazon die angekündigte Multimedia-Version des Kindle auf den Markt bringt, geht der Kampf um mobile Inhalte erst richtig los. Der Amazon Kindle Fire mit Farbdisplay und Touchscreen ist ab November für weniger als 200 Dollar in den USA zu haben. Klar, er ist kleiner als das iPad und die Webbrowser-Funktion wird nicht an Apple herankommen. Aber er ist weitaus günstiger und er passt in jede Manteltasche. Und er ermöglicht den Zugriff auf den größten Content-Shop der Welt. Er wird übrigens auch das Thema Paid Content neu aufrollen. Schon jetzt kann bei Amazon jeder sein eigener E-Book-Verleger mit Margen von bis zu 70 Prozent werden.
Und wer sagt eigentlich, dass ein E-Book mindestens 100 Seiten haben muss? Warum sollen Medienhäuser dort nicht einzelne Artikel verkaufen, warum nicht Journalisten und Fachautoren ihre Analysen, Studien, Charts und Rankings? Schon jetzt sind die ersten deutschen Medienmarken im Kindle-Shop vertreten. Auf dem 99-Euro-Kindle selbst ist es eine Qual, "Zeit" oder "Welt" zu lesen, aber schon die Kindle-App bietet für denselben Content ein konkurrenzfähiges Mobile-Produkt.
Also: Das Potenzial ist riesig. Das muss zwar noch lange nicht heißen, dass man die Chance mit dem nötigen Glück und Geschick nutzt. Aber Amazon hat es in der Hand, im digitalen Content-Markt das zu werden, was Apple in Musikgeschäft geworden ist. Und auch das wäre dann nur ein Anfang, denn Amazon steht schon längst für weitaus mehr als nur für Bücher. Amazon ist E-Commerce. Und besetzt damit im Rennen um den mobilen Internethandel die Pole Position.