
Social Media:
Musically hat ein Jugendschutzproblem
Kinder und Jugendliche lieben die App Musical.ly. Schwierig ist es mit freizügigeren Clips, nicht selten von jungen Nutzerinnen. Das Unternehmen spricht von einem "komplexen Problem".

Foto: Musically/Youtube
Teenager träumen davon, über Nacht zu Stars zu werden. Wer (laut Nutzungsbedingungen) mindestens 13 ist, der kann es ja mal mit Musical.ly versuchen - und so berühmt werden wie die schwäbischen Zwillinge Lisa und Lena. Mit mehr als 28,5 Millionen Fans sind die beiden die erfolgreichsten "Muser", so nennen sich die Nutzer der App, auf der kurze Playback-Clips gedreht und mit anderen geteilt werden können.
Doch längst nicht alle Videos sind so harmlos wie die Filmchen der Zwillinge. Unter den Milliarden Clips sind vereinzelt freizügigere Aufnahmen zu finden, berichtet die Nachrichtenagentur DPA, nicht selten von jungen Nutzerinnen. "Ein Weg zu großer Aufmerksamkeit und Anerkennung, da funktioniert Musical.ly nicht anders als das professionelle Showgeschäft, ist das Zeigen von sehr viel Haut. Bei Musical.ly handelt es sich erschreckend oft um die Haut sehr junger Mädchen", berichtete das von der Bundesregierung unterstützte Infoportal Mobilsicher.de am Wochenende.
Verbraucherschützer warnten vor Missbrauch und sexueller Nötigung
Sucht man mit einschlägigen Hashtags wie #bellydancing, #bottom oder #bikini, fanden sich bis Montagnachmittag Zehntausende Videos auf der Plattform. Zu sehen gab es Mädchen in knappen Hotpants auf ihrem Bett oder bauchfrei bei aufreizenden Tanzbewegungen. In den Kommentarleisten erhielten sie von Nutzern wie "daddys_girlz29" oder "loveyourbelly13" Komplimente wie "Du bist so heiß!".
Oder sie fordern die Mädchen auf, ihnen das Video gleich per Direktnachricht zuzuschicken, damit sie es auf ihrer Seite bewerben können. "Einige Nutzer erstellen Sammlungen, die sich nur auf aufreizende Selbstdarstellungen von Kindern konzentrieren", erklärt Inga Pöting von Mobilsicher.de. Andere würden versuchen, direkt zu den jungen Mädchen Kontakt aufzunehmen - etwa indem sie eine Telefonnummer schicken oder sie auffordern, per Messenger weiter zu kommunizieren. Einige Mädchen seien nicht älter als sieben oder acht Jahre.
Die Deutsche Presse-Agentur bat Musical.ly am Montag um eine Stellungnahme. Wenige Stunden später war ein Teil der zitierten Hashtags nicht mehr abrufbar. Am Dienstag sprach das Unternehmen, das im November von der chinesische Medienfirma Bytedance für rund eine Milliarde Euro gekauft worden war, von einem "komplexen Problem", das es als Branche zu lösen gelte.
Zu sexy für einen Influencer-Marktplatz?
Ein weiteres Problem kommt dazu: Bytedance will die Video-Plattform zum Influencer-Marktplatz ausbauen. Das Geld muss ja irgendwie reinkommen. Das Konzept sieht professionelle Content-Partnerschaften vor, Werbemodelle, Influencer-Management und einen Marktplatz, der Marken mit Influencern verbindet. Werbekunden werden es nicht gern sehen, wenn Musical.ly mit sexuellem Missbrauch von Kindern in einem Atemzug genannt wird.
Das Unternehmen sagte der DPA: "Musical.ly verfügt über eine Vielzahl an Schutzmaßnahmen und gewährleistet eine Moderation rund um die Uhr, um die Möglichkeiten einer missbräuchlichen Nutzung der App zu reduzieren." Leider seien diese Schutzmaßnahmen nicht immer tadellos. Solche Missbrauchsbeispiele spielgelten aber nicht die typischen Inhalte oder Nutzungsmuster der App wider.
Das Unternehmen versprach zudem, seine Schutzmaßnahmen weiter auszubauen. Tatsache ist dennoch, dass die Anmeldung kinderleicht ist und es keinerlei Kontrollen gibt. Zwar dürften unter 13-Jährige laut Nutzungsbedingungen nicht dabei sein, doch wird weder das angegebene Geburtsdatum noch die E-Mail-Adresse überprüft. Jeder neu angelegte Account ist standardmäßig auf öffentlich eingestellt.
Musical.ly wurde 2014 gegründet und zählt heute mehr als 200 Millionen Nutzer weltweit. Auch auf Youtube werden Clips und Zusammenschnitte millionenfach aufgerufen. Das Konzept, das hier digital aufgeht, ist eigentlich ein altes Phänomen. Iren Schulz, Expertin der Initiative Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht: "Was früher im Freundeskreis oder bei Familienfeiern stattfand, hat jetzt über die sozialen Medien eine größere Bühne bekommen - mit weiterreichenden Konsequenzen, wenn man nicht auf seine Daten und Profile aufpasst."
Schulz appelliert an die Eltern, ihre Kinder auf Social-Media-Plattformen zu begleiten. Medienpädagoge Martin Müsgens von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen rät, die Privateinstellungen von Profilen grundsätzlich genau zu überprüfen und auch die Standortdaten zu deaktivieren. Vor allem sensible Inhalte sollten nur mit engsten Freunden geteilt werden, sagt er. (dpa/sh)