In den USA gibt es bereits eine eigene "YouTube Kids"-App, die ausschließlich kinderfreundliche Videos zeigen soll und besonders leicht zu bedienen ist. Eine Veröffentlichung der Anwendung für Deutschland ist zwar geplant, sagt Dorstewitz, schränkt aber ein, dass "der Start noch nicht unmittelbar bevorsteht."

Opas Herzinfarkt mit Playmobil-Figuren

Doch auch ohne eigene App: Kinderinhalte boomen. Zu den Top-Creatorn in Deutschland gehört etwa Familie Hauser. Mit Playmobil-Figuren erzählen sie in kurzen Filmen ihre "Family Stories", so der Name des Kanals. Vom Spielplatzbesuch über den Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff bis hin zu Opas Herzinfarkt können Kinder hier den Alltag einer vierköpfigen Familie mitverfolgen. Familie Hauser gibt es tatsächlich, sie heißt in Wirklichkeit aber anders. "Wir spielen uns im Grunde selbst", sagt Mutter Nicole Hauser.

Die Geschichten denken sich die Eltern mit den zwei Töchtern gemeinsam aus, sie sprechen alle Rollen selbst. Bis zu 14 Millionen Abrufe generiert der Kanal und ist so populär, dass Playmobil auf Grund der großen Nachfrage "Familie Hauser" inzwischen als eigene Figurenserie anbietet.

Am liebsten sehen Kinder andere Kinder, meint Ninette Müllensiefen, Senior Managerin TV & Licensing, beim Berliner Unternehmen Kiddinx, das unter anderem die Kinderklassiker "Bibi Blocksberg", "Bibi & Tina" und "Benjamin Blümchen" produziert. Darum arbeitet Kiddinx seit einiger Zeit auch mit Deutschlands erfolgreichstem Kinderstar auf Youtube zusammen.

"Eine tolle Identifikationsfigur für junge Mädchen"

Die siebenjährige Miley (spricht sich: Mi-lei) erreicht mit ihrem Kanal "CuteBabyMiley" bis zu 20 Millionen Videoabrufe im Monat. Die Videos zeigen Miley und ihre Familie beim Spielen, Basteln und im Alltag. Oder am Set vom vierten Kinofilm von "Bibi & Tina", der am 23. Februar 2017 unter dem Titel "Tohuwabohu Total" in Deutschland startet. Der Besuch am Drehort ist eine von mehreren Kooperationen, die Kiddinx mit den Eltern von Miley durchgeführt hat.

Wie den Hausers ist auch Miley der Sprung von Youtube in das physische Produkt gelungen: In der 120. Hörspielfolge von "Bibi Blocksberg" mit dem Titel "Der Affe ist los" ist die Siebenjährige mit einem eigenen Lied zu hören.

"Miley ist eine tolle Identifikationsfigur für junge Mädchen. Und weil sie selber Fan unserer Mädchenmarken ist, passt sie genau zu unserer Zielgruppe", erklärt Müllensiefen die Zusammenarbeit, die Teil der Youtube-Strategie von Kiddinx ist: "Kinder schauen heutzutage immer mehr Youtube und wir möchten da sein, wo unsere Fans sind."

Inzwischen hat Kiddinx 15 Kanäle auf der Plattform, darunter auch verschiedene Sprachversionen: So gibt es die TV Folgen von "Benjamin Blümchen" zum Beispiel auf Arabisch. Insgesamt kommen die Kanäle auf zusammen 15 Millionen Abrufe im Monat. Für das Kanal- und Rights-Management arbeitet Kiddinx mit dem vor allem für Musik bekannten Multichannel-Netzwerk "Kontor New Media" zusammen.

Wenn Youtube-Kinderstars ihre Eltern finanzieren

Der Erfolg der Kinderstars ruft allerdings auch Bedenken hervor. In den USA ist bereits eine Debatte darüber im Gange, wie weit man Kinder der Aufmerksamkeitsmaschinerie von YouTube aussetzen darf. Ninette Müllensiefen kann die Bedenken nachvollziehen, verweist aber darauf, dass es Kinderstars auch in anderen Medien gibt.

Auch Mileys Eltern bemühen sich nach eigener Aussage, den Aufwand für die Tochter im Rahmen zu halten: Zwei Stunden pro Woche werde in Mileys Elternhaus gedreht, sagt Vater Robert Henle, "und wenn Miley keine Lust auf etwas hat, geht sowieso nichts. Sie hat einen starken eigenen Willen. Und genau das lieben die Kinder an ihr." Um die Familienkanäle managen zu können, hat sich Robert Henle inzwischen einen längeren unbezahlten Urlaub bei seinem Arbeitgeber genommen.

Dass ein erfolgreicher Youtube-Kanal ausreicht, eine Familie zu ernähren, ist sicherlich noch die Ausnahme, aber es geht. Der Großteil der Einnahmen kommt über die ganz normale Youtube-Werbung rein. Auch Produktplatzierungen hat es bei "CuteBabyMiley" schon gegeben, sagt Henle. Die seien kenntlich gemacht worden. Ansonsten würde man die im Kanal vorgestellten Produkte für Kinder prinzipiell selber kaufen.

Werbung für Kinder ist allerdings ein heikles Thema: Laut Rundfunkstaatsvertrag sind Produktplatzierungen in Kindersendungen grundsätzlich verboten. Die Landesanstalt für Medien in NRW (LfM) teilt aber auf Anfrage mit: "Ob das auch für Youtube-Videos gilt, ist fraglich. Die gesamte Youtube-Plattform ist mit FSK 18 gelabelt, so dass es dort eigentlich keine 'Kindersendungen' geben kann, und Erwachsene Youtube mit entsprechenden Jugendschutzprogrammen für Kinder sperren können."

Den Regelungen des Jugendmedienschutzstaatsvertrags ist damit genüge getan. Mit der Wirklichkeit der Nutzer hat das freilich nicht viel zu tun.

Wie so oft bei Youtube: Es ist eine Grauzone. In der momentanen Situation heißt das: Verantwortlich für das, was Kinder auf Youtube sehen, sind zuallererst die Erziehungsberechtigten. Bei der LfM ist man sich der schwierigen Situation bewusst. Als erste Maßnahme soll demnächst eine Broschüre für Eltern erscheinen, die Werbung im Internet erklärt.

Fakt ist: Wer sein Kind Youtube-Formate gucken lässt, muss davon ausgehen, dass es dabei mit Produkten und werblichen Darstellungen in Berührung kommt. Die Kanalbetreiber zeigen und testen Spielzeuge, sie machen "Challenges" mit Junk Food oder kaufen neue Klamotten. Was davon bezahlte Werbung oder einfach unbedarfter Umgang mit selbst gekauften Produkten ist, lässt sich kaum einschätzen.

Die Richtung, in die es geht, ist aber eindeutig: Auch das Kinderfernsehen auf Youtube wird sich dahin entwickeln, wo das Geschäft mit den ganz großen Stars der Plattform schon ist. Es wird tolle und liebevoll gemachte Inhalte genauso wie erfolgreichen Trash geben. Und es wird Familien geben, denen es so geht, wie der des bissigen Charlie: Die konnte mit den Werbeeinnahmen aus ihrem Viralhit ein Haus finanzieren.


Autor: Moritz Meyer

Moritz Meyer (Jg. 1981) schreibt hauptsächlich über Online-Video und den digitalen Wandel. Er war schon so häufig im Internet, dass er aus Versehen mal in einem Video von Y-Titty gelandet ist. Wenn er nicht auf Burgen lebt, trifft man ihn meist in Köln. Fun Fact: Liest immer noch Comics von den Teenage Mutant Ninja Turtles.