Pro & Contra:
Mercedes-Effekt bei Apple?
Apple entwickelt sich wie Mercedes: vom Maß aller Dinge zur teuren, aber uncoolen Marke ohne innovative Idee, findet W&V-Redakteur Frank Zimmer. Wen schert's, was die Kritiker wieder alle Jahre bemängeln?, kontert W&V-Autorin Susanne Herrmann. Unsere Kommentare zum neuen iPhone.
Apple entwickelt sich wie Mercedes: vom Maß aller Dinge zur teuren, aber uncoolen Marke ohne innovative Idee, findet W&V-Redakteur Frank Zimmer. Wen schert's, was die Kritiker wieder alle Jahre bemängeln?, kontert W&V-Autorin Susanne Herrmann. Unsere Kommentare zum neuen iPhone.
Den Anfang macht Frank Zimmer:
"Gab es in den 70er Jahren eigentlich schon den Begriff 'automobile Premium-Marke'? Wahrscheinlich nicht, weil es ja ein anderes Wort viel besser ausdrückte: Mercedes. Alle anderen Automarken waren in meiner Kindheit irgendwie respektabel (VW) oder sportlich (BMW) oder originell (Citroen) oder schlimm (Fiat) oder blass (Japaner). Aber die automobile Oberklasse hieß Mercedes. Nach meiner Erinnerung war es auch der einzige deutsche Autohersteller diesseits der Zonengrenze, bei dem man sein Wunschfahrzeug lange im Voraus bestellen musste (und geduldig wartete). Manche Kunden fuhren selbst nach Stuttgart, um sich ihren Neuwagen abzuholen - was damals nur bei Mercedes üblich war.
Mercedes, das bedeutete damals: exzellente Qualität und einzigartiges Markenerlebnis für einen ziemlich hohen Preis. Mit anderen Worten, Mercedes war das Apple der 70er Jahre. Und heute? Mercedes ist immer noch da, verdient immer noch Geld und baut immer noch recht ordentliche Autos. Aber eine Klasse für sich? Schon lange nicht mehr. BMW und Audi fahren mindestens gleichauf, wenn nicht voraus.
Genauso ergeht es Apple. Noch vor zwei Jahren war die Marke so stark, dass Produktpräsentationen an die Verkündigungen von Papstwahlen erinnerten. Das ist vorbei. Spätestens mit den quietschbunten (und überteuerten) Plastik-iPhones, der digitalen A-Klasse sozusagen, ist Apple wieder in die weltliche Realität zurückgekehrt. Apple hat an Android die Marktführerschaft verloren, an Samsung, Nokia und LG die Innovationsführerschaft und an so ziemlich jeden Wettbewerber einschließlich Microsoft (!) auch noch den Design-Vorsprung. Nur in einer Disziplin bleibt Apple die Nummer eins: bei den hohen Preisen. Tut mir leid, Apple, aber genau dieser Punkt beeindruckt mich überhaupt nicht."
Wen schert's, was die Kritiker wieder alle Jahre bemängeln?, kontert W&V-Autorin Susanne Herrmann.
"So zuverlässig, wie Temperaturen und Blätter fallen, stellt Apple im Herbst ein neues Smartphone vor. Und ebenso vorhersehbar: der Sturm der Entrüstung, totaler Medien-Rambazamba. Ich langweile mich. Jedes Jahr aufs Neue schreiben Medien und Blogger Apple und das neue iPhone runter, wittern unschöne Druckstellen auf dem nicht mehr taufrischen Apfel: "Nicht innovativ genug." "Die große Neuerung fehlt." "Langweilig." "Kein großer Wurf." - Bei der 2012er Enttäuschung standen anschließend Tausende Schlange vor den Apple-Stores.
"Apple enttäuscht." Das schrieben alle 2010 und 2011. Das schrieben sie 2012 anlässlich der Vorstellung des iPhone 5. Das schreiben sie heute, wo Apple den Nachfolger 5S und die kunterbunte Plastikserie iPhone 5C präsentierte. So schlimm, dass gar der Aktienkurs um knapp drei Prozent einbrach. Gähn. Willkommen zur jährlich sich wiederholenden Apple-Schelte. Der Aktienkurs liegt übrigens über dem Wert von vor einer Woche, einem Monat, sechs Monaten. Apple hatte nach der Präsentation des iPhone fünf vor genau einem Jahr monatelang deutlich verloren, seit ein paar Monaten geht es leicht aufwärts. (Im Herbst 2012 hatte die Aktie ihren besten Wert mit gut 540 Euro, im Frühjahr nur noch knappe 300. Heute liegt er bei gut 360 Euro. Und?)
Das, worüber sich alljährlich die vermeintlichen Experten echauffieren und wofür sich anschließend die komplett verblendeten über Nacht in die Schlange stellen, ist ein Telefon, Leute! Das ein Konzern verkauft, der wirtschaftlich – Kritik hin, Fans her – recht gut dasteht und um den mir nicht bang ist. Ein Konzern, der wie so gut wie jeder in einem schnelllebigen Trendsegment zum Erfolg verdammt ist und seine Rendite mit moralisch sicher nicht immer tadellosen Maßnahmen schützt.
Ja, ich hab auch ein iPhone. Noch wichtiger, auch einen iMac. Denn was mir viel mehr bedeutet als dieser mega-öde Presserummel jedes Jahr: Die Sachen, die Apple herstellt, funktionieren hervorragend, orientieren sich am Bedürfnis des Nutzers, gefallen mir gut und halten ewig, weshalb sich für mich die Kosten relativieren. Ob Apple in ist oder der Aktienmarkt hysterisch wird, ist mir verdammt egal. Ich freu mich, dass bald ein tolles neues Betriebssystem für den iMac kommt, dass die Asiaten und Jugendlichen lustig bunte Plastikhandys bekommen und die 5S-Kunden eine längere Akkulaufzeit, einen schnelleren Chip, einen Fingerabdrucksensor und eine bessere Kamera.
Wem das zu wenig Innovationen sind, der muss sich ja kein iPhone kaufen. Apple wird’s überleben. Wie auch den Pressewirbel."