Die Onlineausgaben der meisten Zeitungen waren so lange kostenlos zugänglich, dass sich daraus für Leserinnen und Leser beinahe ein Gewohnheitsrecht entwickelt hat. Zwar nehmen einige Bezahlmodelle mittlerweile an Fahrt auf. Auch neue Finanzierungsvarianten, wie das Abonnement-System der Krautreporter, könnten Bewegung in den Markt bringen. Und Verlage wie Springer und Holzbrinck verkünden stolz, sie schrieben im Netz mittlerweile schwarze Zahlen. Doch diese Meldungen sind größtenteils Nebelkerzen.

Die Verlage verdienen im digitalen Geschäft mit Hotelzimmervermittlungen oder Autovermietungen, Angebote die mit dem Presseerzeugnis kaum etwas zu tun haben. Die digitalen journalistischen Produkte der Verlage aber spielen wirtschaftlich weiterhin zumeist keine Rolle – oder sogar die des zusätzlichen Verlustbringers neben dem erodierenden Print-Geschäft. Und das dürfte ein Kernpunkt der sich anbahnenden Pressekrise hierzulande sein.

Deutsche Presseerzeugnisse drohen, ihre über Jahrzehnte erarbeite Seriosität im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklungen zu verlieren. Die Verlage manövrieren ihre Redaktionen entlang einer Linie, die ich als die drei Stufen der Ignoranz bezeichnen möchte.

Auf der ersten Stufe wird mangels Zeit und Personal nicht mehr mit den Quellen gesprochen. Recherche bleibt zunehmend aus, Übernahmen aus Agenturmeldungen dominieren mehr und mehr die Berichterstattung. Digital flankiert wird diese Tendenz durch das blöde Nacherzählen von Fundstücken anderer Publikationen, auf neudeutsch Kuratieren genannt.

Auf der zweiten Stufe der Ignoranz steht das "Kollegengespräch“, besonders verbreitet übrigens derzeit im Hörfunk- und TV-Journalismus. Statt selbst zu recherchieren, Angaben auf Wahrheitsgehalt zu prüfen oder mit den Protagonisten vor Ort zu sprechen, interviewt man im warmen Senderaum lieber den hauseigenen über den zu berichtenden Fall. Dumm nur, dass dieser Hausexperte seine Informationen auch nur aus der Zeitung oder den Agenturen hat. Selbst bei den großen öffentlich-rechtlichen Sendern wie dem WDR, der sich eigentlich Recherche locker leisten könnte, wird diese Form der simulierten Expertise immer beliebter.

Auf der dritten und höchsten Stufe der Ignoranz schließlich macht sich der Journalist selbst zur Nachricht. Statt über ein Ereignis weitere Neuigkeiten zusammenzutragen, schreibt uns der jeweilige Reporter beispielsweise, was „er fühlte“, als er von dem Ereignis aus den Agenturen erfahren hatte – so, wie etwa bei der Berichterstattung über das Ergebnis der Europawahl. Statt Analysen über die Stimmengewinne der rechtsextremen Front National in Frankreich, bekommen wir anderes vorgesetzt: Seitenweise "berichten" die Schreiber über ihre Emotionen, als sie von dem Wahlergebnis erfuhren. 
Die Journalisten stellen sich auf dieser Stufe der Ignoranz also selbst in den Mittelpunkt des Geschehens, äußere Anlässe werden zur Selbstbespiegelung herangezogen. Mit anderen Worten: Die Reporter wollen ab sofort keine Nachrichten mehr liefen, sie wollen – endlich! - selbst die Nachricht sein. Wenn Lutz Wöckener in einem viel diskutierten Stück über die Erfahrung spricht, während der Fußball-Weltmeisterschaft im brasilianischen Manaus ausgeraubt zu werden, ist das nur ein weiteres Beispiel für diesen verheerenden Treppenstufenlauf vom Journalismus zum Narzissmus.

Angesichts dieser Umstände wirkt die gerne geäußerte Unterstellung, die deutschen Medien seien gleichgeschaltet und hätten zu viel Macht, geradezu ironisch. Was als Macht erscheint, ist die Einförmigkeit der selbstverschuldeten Ohnmacht. Was wie ein unwillkürlicher Gleichklang wirkt, ist im schlimmsten Fall ein Abgesang.

Die drohende Zeitungskrise ist zudem ein exemplarischer Fall von Missmanagement der Verlagsbosse. Dem Rückgang ihrer Leserschaft setzen sie oft nur Sparmaßnahmen entgegen. Die aber gehen nicht selten mit Qualitätsverlusten einher. Und der schrittweise Niedergang der Qualität führt dazu, dass weitere Leser sich abwenden - fertig ist eine gefährliche Abwärtsspirale, aus der sich die Verlage dann wahrscheinlich kaum selbst befreien können.

Gewiss, Verlage könnten sich zusammenschließen, etwa gemeinsame Bezahlmodelle entwickeln, die für den Leser komfortabler sind als die derzeitigen Schranken der einzelnen Seiten. Ein freiwilliges, übergreifendes Krisenkonsortium könnte sich vielleicht über Qualitätsstandards und Selbstverpflichtungen einigen, die dem Absturz entgegenwirken. Stattdessen belauert man sich lieber und macht weiter wie bisher. Vielleicht müsste stattdessen nun die Politik den ordnungspolitischen Rahmen neu ausloten, der einen funktionierenden Wettbewerb in unserer Presselandschaft ermöglicht. Den Auftrag dazu hätte sie jedenfalls. Man kann den Nachlesen:


"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."


So ist die Bedeutung der Medien für die Demokratie im fünften Artikel unseres Grundgesetzes verankert. Das scheint unsere Politiker allerdings nicht zu scheren. Aus den Parteien hört man wenig bis gar nichts zur desolaten Lage der Medien. Die medienpolitischen Sprecher der Parteien, die pressepolitischen Sprecher der Fraktionen, die Bundesregierung - alle bleiben merkwürdig stumm. Warum eigentlich? Bei wirtschaftlichen Problemen anderer Branchen hierzulande ist das Geschrei der Politik doch gleich groß.

Scheitert hierzulande beispielsweise ein Einzelhändler, ein Baukonzern oder darbt ein Automobilunternehmen an der eigenen Misswirtschaft, ist das politische Krakeele nach Rettungspaketen und Subventionen sofort zu vernehmen – egal, ob dann andere Unternehmen dieser Branchen, die gut gewirtschaftet haben, darunter leiden würden. Aber im Fall der wirtschaftlichen Probleme unserer "vierten Gewalt", der Presse, ist hierzulande nur eines unüberhörbar zu vernehmen: das Schweigen.

Da liegt der Verdacht nahe, dass den politischen Akteuren der drohende, schleichende Niedergang der deutschen Presse ganz gelegen kommt. Passt es den Parteien vielleicht sogar gut in den Kram, wenn die eigenen Pressemeldungen in den Redaktionen nur noch nachgeplappert oder direkt Wort für Wort über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verkündet werden?

Der Verdacht bestätigt sich, schaut man darauf, wie Politiker mit Journalisten umgehen, die ihren Beruf ernst nehmen und recherchieren. Von "Schweinejournalismus", sprach einst Oskar Lafontaine, als Kuno Haberbusch dessen Nähe zum Saarbrücker Rotlichtmilieu offen legte. Die heutige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bezeichnete die Enthüllungen rund um Kurt Beck und die "Nürburgring Affäre" als "beispiellose Medienkampagne".Aber natürlich geht es immer noch ein wenig dreister. Den Vogel abgeschossen hat zuletzt die SPD-Bundestagsabgeordnete Birgit Kömpel, als sie, wie eine fehlgeleitete E-Mail offen legte, auf Wege sann, der "Fuldaer Zeitung" "einen Strich durch die Rechnung" zu machen – weil deren Redaktion einen reinen Selbst-Reklametext von ihr zurecht abgelehnt hatte.

Sicher, es gibt auch solche Presseexzesse, in denen Medien über jedes vernünftige Maß hinaus schießen. Man denke nur an die Bobby-Car Affäre im Vorfeld des Rücktritts von Bundespräsident Wulff. Doch auch solche Auswüchse erklären sich leicht aus den oben skizzierten Niedergangstendenzen: Wo eine Meldung abgeschrieben gehört, weil selbst keine Meldungen mehr recherchiert werden können, stürzen sich die unter Druck stehenden Medienmacher darauf. Aber kann angesichts solcher Negativbeispiele die Diffamierung engagierter Journalisten bei gleichzeitigem Schweigen über die Probleme unserer Presse die Aufgabe von Politikern sein?

Auf keinen Fall. Die Medien gelten nicht umsonst als vierte Gewalt im Staate. Ihre Bedeutung wird in allen politischen Theorien seit der französischen Revolution vehement und zu Recht betont. Leidet die freie Presse, leidet die Demokratie. Bei der Zeitungskrise handelt es sich daher auch um ein politisches Problem. Wenn es also eine Branche gibt, die es tatsächlich verdient "gerettet" zu werden, dann ist es die Medienbranche. Und wo sich am Markt weit und breit keine befriedigende Lösung abzeichnet ist eine politische Lösung gefordert.

Minimalinvasive Maßnahmen könnten hierbei schon einiges bewirken. Den Anfang müsste eine eingehende und öffentliche Auseinandersetzung mit der Medienkrise von (medien-)politischer Seite machen. Die vierte Gewalt dürfte nicht länger als unliebsamer Gegner begriffen werden, sondern muss als notwendiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft anerkannt und thematisiert werden. Politische Akteure haben ein positives, kein ablehnendes Verhältnis der Öffentlichkeit zur Presse zu kultivieren.

Des weiteren wäre etwa eine Mehrwertsteuerbefreiung für Presseerzeugnisse denkbar. Presseorgane sind Bildungsorgane, und warum sollte Bildung, der Motor einer freien Gesellschaft, besteuert werden? Vor allem aber müssten bestehende Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden.

Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten sich vom Quotendruck befreien und sich auf die Grund(!)versorgung der Bevölkerung mit Informationen  besinnen. Sie könnten sich auf ihre im Staatsvertrag festgeschriebenen Bildungsauftrag konzentrieren, statt mit leichten Unterhaltungssendungen den Privaten Konkurrenz zu machen.

Sicher, das sind nur einige Gedanken, die das Problem im Ganzen nicht lösen werden. Es darf weiter nachgedacht werden, und die Verlage sind gefordert langfristig tragbare Geschäftsmodelle zu entwickeln. Doch die freie Presse ist in einer freien Gesellschaft ein hohes Gut. Noch existiert in Deutschland eine relativ diverse Presselandschaft mit immer noch funktionierenden Redaktionen. Doch diese Presse zehrt seit langer Zeit von der Substanz. In der schwierigen Übergangszeit von Print zu Digital, in der wir uns befinden, muss die freie Presse nicht nur vor staatlichen Eingriffen, sondern womöglich auch vor einem instabilen Märkten geschuldeten Selbstauflösungsprozess geschützt werden. Marktradikaler Libertarismus, der darauf wartet, dass sich die Sache irgendwann von selbst wieder regelt, hat keine Antworten auf wichtige Fragen: Wie lange wird das dauern? Auf welchem Niveau stellt sich ein neues Gleichgewicht ein?

Es sollte in einer Demokratie ein vitales Interesse bestehen, die Meinungspluralität im Land zu erhalten. Ein wesentliches Merkmal der Demokratie ist der Diskurs. Ihre Attitüde ist der öffentlich ausgetragene Streit. Und die Demokratie braucht Transparenz. Das ist nur durch eine freie und unabhängige Medienlandschaft zu gewährleisten. Daher verbieten sich Dogmen bei der Beantwortung der Frage, wie auf Monopolstellungen und weitere für die Demokratie nicht wünschenswerte Entwicklungen reagiert werden soll.