
Martin Willich: Ein Fernsehkönig tritt ab
Studio Hamburg verliert seinen langjährigen Lenker Martin Willich. Am kommenden Freitag übergibt der Manager an Nachfolger Carl Bergengruen. Autor Gregory Lipinski zieht Bilanz.
Der Mann hatte Glück im Leben – privat wie beruflich. Privat war es Ende Mai 2002. Damals steht der Medienmanager an der Schwelle zum Tod. Zwei Monate lang liegt Martin Willich wegen einer schweren inneren Organvergiftung im Koma. Doch er schafft es. Er wird ganz gesund. Seine Frau Angela und seine beiden Töchter haben ihr Familienoberhaupt zurück.
Beruflich hat er hingegen schon zwei Jahrzehnte zuvor großes Glück. 1980 wird er Mitglied der Geschäftsführung von Studio Hamburg, der Produktionstochter des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Bereits vier Jahre später steigt er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung auf und bleibt dort fast 31 Jahre. Viele TV-Manager dürften ihn deswegen beneiden. Während in der Fernsehbranche die Führungsspitzen häufig ausgetauscht werden, bleibt er von kräftezehrenden Jobwechseln verschont.
Nun wechselt der Brillenträger mit den tiefen, leicht ergrauten Geheimratsecken in den Ruhestand. Nächste Woche, am Freitag, wird der gebürtige Erfurter offiziell verabschiedet. Seinen Posten übernimmt Carl Bergengruen. Er ist Fernsehfilmchef des SWR in Stuttgart und leitet die Hauptabteilung Film und Familienprogramm des Senders.
Willich hat Studio Hamburg geprägt wie kaum ein anderer Manager. Er hat aus der kleinen mittelständisch geprägten Produktionstochter des NDR einen führenden TV- und Filmdienstleister für öffentlich-rechtliche wie auch alle großen Privatsender gemacht. Zu den Kunden zählen Branchengrößen wie die RTL-Gruppe ebenso wie ProSiebenSat.1. Mit dem Ausbau des Unternehmens kletterte auch die Gesamtleistung kräftig: Als Willich 1984 den Chefsessel übernimmt, erzielt Studio Hamburg mit rund 520 fest angestellten Mitarbeitern einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro. Inzwischen setzt die Gesellschaft ein Vielfaches um. 2009 erzielte der nach Grundy Ufa zweitgrößte Film- und Fernsehproduzent Deutschlands mit 850 fest angestellten und 850 freien Mitarbeitern eine Gesamtleistung von rund 280 Millionen Euro. Der Vorsteuergewinn bewegte sich unverändert bei 6,2 Millionen Euro.
Zu den Produktionen gehören die ARD-Reihe "Tatort" oder Kult-Serien wie die „Sesamstraße“, „Großstadtrevier“, „Die Schwarzwaldklinik“, „Notruf Hafenkante“ oder das „Traumschiff“. Auch Telenovelas wie „Rote Rosen“ zählen dazu. In den Werkstätten von Studio Hamburg werden zudem Studiodekorationen für internationale Musicals und Shows wie „Tarzan“ oder „Sister Act“ hergestellt. Mit der britischen Pinewood-Gruppe hat Studio Hamburg 2010 in Berlin eine gemeinsame Gesellschaft gegründet, um internationale Kinofilme zu fertigen. Studio Hamburg ist an den Standorten in Hamburg, Berlin-Adlershof sowie Babelsberg in Brandenburg vertreten. Firmensitz ist der Hamburger Stadtteil Wandsbek, wo einst Heinz Rühmann mit „Der Hauptmann von Köpenick“ Filmgeschichte schrieb.
Willichs Job war nicht immer leicht. 1987 herrscht bei Studio Hamburg Krisenstimmung. Damals bricht der Umsatz ein, weil die öffentlich-rechtlichen Kunden weniger Aufträge erteilen. Als Ausrede nennen die Sender, dass die Fernsehgebühren nicht ausreichend erhöht worden seien. Doch Willich meistert die Krise. Dies liegt auch daran, dass das Studio Hamburg zunehmend Aufträge von privaten Sendern wie RTL und Sat.1 erhält. 1990 macht Willich zudem den Pay-TV-Sender Premiere auf dem Ateliergelände Platz.
Rund zehn Jahre später steht Studio Hamburg erneut vor schweren Zeiten. Denn der norddeutsche Medienmarkt steht vor einem radikalen Umbruch. Überraschend zieht 1999 der Bezahlsender Premiere nach München. Sat.1 entscheidet sich, den Sport künftig aus Berlin zu senden, RTL II will die Nachrichten in Köln produzieren. Willich spricht von einem „schweren Schlag“. Geschäftlich lässt dies Studio Hamburg aber kalt. Der Umsatz bewegt sich im Jahr 2000 bei fast unverändert gegenüber dem Vorjahr 204 Mill. Euro.
Geboren wird Willich am 24. April 1945 in Erfurt. Zunächst sieht es nicht danach aus, dass er fast sein gesamtes berufliches Leben in der Medienwirtschaft verbringt. Denn nach einer kaufmännischen Lehre studiert er an der Hamburger Universität Rechtswissenschaften. Anschließend geht er 1976 zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen & Co. Zwei Jahre später wechselt er als Justitiar und Syndikus-Anwalt zum Hamburger Zigarettenhersteller Reemtsma. Erst dann lockt ihn der Job beim Studio Hamburg. Die glitzernde Show-Welt lässt ihn bis heute nicht mehr los.
Doch der gebürtige Ostdeutsche ist auch politisch aktiv. 1965 tritt er in die CDU ein. Er rückt in Hamburg in den Fraktionsvorstand der CDU auf. Von Januar 1981 bis Juni 1982 ist er in der Bürgerschaft stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender. Anfang 1995 zieht er sich aus der Bürgerschaft zurück, um sich mehr um die geschäftlichen Aktivitäten von Studio Hamburg zu kümmern. Doch die Politik lässt ihn nicht los – bis heute. Befragt man Willich über die aktuelle politische Lage in Hamburg oder in Berlin, hält er mit seinen Einschätzungen nicht hinter den Berg.
Mit Willichs Abgang könnten bei Studio Hamburg neue Zeiten anbrechen. Denn bereits im vergangenen Jahr hat sich der Norddeutsche Rundfunk offen für strategische Partner bei Studio Hamburg gezeigt. Allerdings will sich der Sender nicht die Mehrheit aus den Händen nehmen lassen. Derzeit hält er alle Anteile an Studio Hamburg. Ob ein in- oder ausländisches Unternehmen irgendwann Gesellschafter bei Studio Hamburg wird, dürfte Willich dann wohl nur noch aus der Ferne erleben.