Vielleicht liegt es daran, dass Ryanair eine einzigartige Geschichte und einen noch prägnanteren CEO hat: Michael­ O’Leary. Der fährt schon mal einen alten Panzer vor der Konzernzentrale der Konkurrenz vor. Auf einer Pressekonferenz kündigte er an, auch für Langstrecken ein Billigflugkonzept anzubieten: In der Businessklasse solle es "guten Service, Betten und Blowjobs" geben. Ähm, war nicht so ganz ernst gemeint. Eigentlich wollte er auch nie einen Marketingchef haben. Seit 2014 hat er mit Kenny Jacobs (vorher bei Metro, Tesco und Moneysupermarket tätig) einen richtig guten.

Mit W&V hat der 42-jährige CMO über die perfekte PR, Minibudgets und Flugzeugwerbung gesprochen. Hier lesen Sie einige der wichtigsten Aussagen:

W&V: Was ist wichtiger? Gutes Marketing oder eine möglichst laute PR-Show?

Jacobs: Marketing schließt PR immer mit ein. Das darf man nie trennen. Wir waren mal eine typisch PR-getriebene Marke. Gucken Sie, was wir vor vier Jahren hatten: eine schlechte Webseite, viel PR und so gut wie überhaupt kein Mar­keting. Heute ist das anders. Wir investieren ins Digitale, in die Kundenbindung, in Mobile. Klar spielt PR noch ­immer eine große Rolle, aber nicht mehr die exklusive wie früher.

Ihr Media-Budget ist gering. Sie schaffen mit PR, was andere mit millionenschweren Kampagnen nicht hinkriegen. Alle reden über Sie. Wie machen Sie das?

Wir sind clever. Wir nutzen PR maximal effektiv. So sparen wir Geld und machen trotzdem jedes Jahr Millionengewinne. Wir haben eine geile Geschichte zu erzählen: Wir waren mal die bösen Jungs und sind jetzt die gar nicht mal so schlechten. Wir halten die Story am Köcheln und spannend. Wir sind die größte Fluglinie Europas und trotzdem eine Art Startup. Wir sind kontrovers und unkonventionell. Menschen und Journalisten lieben das offensichtlich.

Das große PR-Getöse reicht Ihnen, als Markenmacher?

Die Rechnung geht auf. Sie reden doch auch mit mir. Viele Unternehmensgeschichten sind einfach nur langweilig, oder? Da geht es um austauschbare Männer in schwarzen Anzügen, die total erwartbare Dinge sagen. Das liebe ich so an Ryanair. Hier läuft es anders. Man macht einfach.

Haben Sie mal den Media-Gegenwert Ihrer PR-Aktionen ausgerechnet, die Ihres CEO eingeschlossen?

Oh ja. Wir zählen monatlich die gratis verdienten Media­inhalte in ganz Europa und rechnen den Wert um. Jeden Monat, wenn ich mir den ansehe, schreie ich: wow!

Was sagen die Zahlen?

Ich wäre bitter enttäuscht, wenn der Wert im Monat mal unter 10 Mio. Euro liegt. Das kommt Gott sei Dank so gut wie nie vor, und das wiederum führe ich auf die Wachstumsgeschichte zurück. Unsere Markenstory hat fast schon eine romantische Komponente in sich. Bad Cop versus good Cop. Seien wir mal ehrlich: Wenn Sie einen Lufthansa-Manager treffen, dann haben sie doch nur halb so viel Spaß.

Sind Sie gern der Bulldozer?

Früher waren wir ein Bulldozer. Heute nur noch, wenn es um günstige Tickets geht. Wir hinterlassen keinen Schaden mehr, wir hören den Leuten besser zu, investieren in den Service, ins Flugerlebnis. Früher haben wir uns die ­Europakarte geschnappt, sind in jeden Markt so schnell wie möglich rein. Ich will nicht nach Russland oder Osteuropa expandieren, ich will in den Kernmärkten, den großen wie Deutschland, wachsen.

Ein Imagewechsel von jetzt auf gleich? Kommen Sie, so einfach ist das nicht.

Mir sagen Leute dauernd, es müsse hart gewesen sein, die Änderungen durchzukriegen. War es aber nicht. Jeder hat Pläne. Wir haben es halt schneller hingekriegt als andere. Statt billig und böse sind wir jetzt günstig und wertvoll.
 
Nun ja, fraglich, ob Ihre Kunden das auch so sehen. Die müssen noch immer nach Frankfurt-Hahn oder "München West", sprich Memmingen, zu Ihnen reisen.

In Sachen Wahrnehmung passt noch nicht alles, das stimmt. Das hängt aber auch vom Markt ab. In Großbritannien haben wir die Denkweise verändert. In Deutschland dauert das noch, da sind wir aber auch noch viel kleiner. Hier haben wir fünf Prozent Marktanteil, bald dürften es zehn sein, legt uns zumindest die Marktforschung nahe. Wussten Sie, dass uns 30 Prozent der Deutschen überhaupt nicht kennen?

Da geht es Ihnen so ähnlich wie Zara.

Wir müssen einfach mehr Leute dazu kriegen, mit uns zu fliegen und zu kapieren, dass wir die günstigsten Flüge haben und nicht nur von zweitklassigen Flughäfen starten, sondern eben auch von Berlin, Köln und Hamburg. Wir müssen von unserem Wandel überzeugen.

Der Lufthansa -Chef sagte, auch mit Seitenhieb in Ihre Richtung: "Wir haben nicht die Illusion zu glauben, wir würden binnen fünf Jahren ein zweistelliges Wachstum erreichen." Sind Sie größenwahnsinnig?

Ich bitte Sie, so tickt eben die Lufthansa. Wir haben es die vergangenen zwei Jahre hinbekommen­ und schaffen das auch dieses Jahr. Unser Geschäftsmodell ist einfacher: Wir fliegen nur Kurzstrecke in Europa, mit einem einzigen Flugzeugtyp, während die Lufthansa mit den internen Pro­blemen eines Dickschiffs zu kämpfen hat. Wir wachsen zweistellig, Punkt. Die Billigairlines sind nun mal die, die man immer häufiger bucht.

Wem wünschen Sie mehr Schlechtes? Lufthansa, Air Berlin oder Easyjet?

Muss ich mich da für einen entscheiden? Okay, dann Easyjet.

Die Lufthansa hätte da noch ihre neue Billig­variante Eurowings im Angebot …

Wenn ich sagen würde "Lufthansa", dann würde die das zu Fall bringen (lacht). Easyjet hat einen guten Job gemacht, die waren clever, was die Positionierung anging: Sie sagten, wir sind eine Billigairline, aber nicht Ryanair. Wenn Sie die böse Ryanair buchen, hey, dann sind Sie selbst schuld. Was wir in den vergangenen drei Jahren getan haben, macht das Leben für Easyjet allerdings schwieriger. Ihre Positionierung ist nämlich dieselbe. Nur: Ryanair ist nicht mehr böse.

Mögen Sie die Eurowings-Kampagne?

Ja, die ist lustig und selbstbewusst. Tom Selleck im TV-Spot ist witzig. Die Kampagne besitzt einen sexy Stil, der funktioniert, weil die Menschen immer noch glauben, Flugzeuge und Crews seien eine heiße Angelegenheit. Die müssen nur noch die Balance hinkriegen zwischen dem, was die Kommunikation sagt, und wie die Realität aussieht. Deswegen werben wir auch anders, gerade im TV. Ich glaube nämlich: Wenn das, was Sie in der Werbung zeigen, zu weit weg von der Realität ist, dann ist es heute ein massives Problem. Die Kunden sind ja nicht blöd. Die checken das.

Sprich: Fliegen mit Ryanair ist weniger sexy?

Nette Retourkutsche. Mir reicht es schon, wenn die Leute sagen, es war ein guter Flug, es gab keine Probleme mit dem Sitz oder dem Gepäck. Ich kann unsere Flüge ja nur da verbessern, wo es möglich ist. Aber ich erwarte jetzt nicht, dass die Leute aus dem Flieger steigen und sagen, wow, das war der mit Abstand beste Flug meines Lebens. Der beste Flug wird vermutlich der zu ihren Flitterwochen nach Mexiko sein, aber garantiert nicht die Kurzstrecke Nürnberg–Malta.­

Haben Sie den Humor aus Ihrer Werbung deswegen absichtlich gestrichen?

Nein, in Teilen haben wir ihn behalten. Wir sind weniger kontrovers in der Kommunikation geworden, das stimmt. Manchmal bedauere ich das auch. In diesem Jahr steht auf meiner Liste, wieder etwas mehr Spaß zu addieren. Über soziale Netzwerke läuft das ideal. Dort kann man auch das "Nonstop You" der Lufthansa im Streikfall auf die Schippe nehmen.

Abgesehen davon zeigen Sie eine zwei Jahre alte Kampagne im TV. Kein Geld für neue Ideen?

Ach, diese Kohle für Neues wird es geben. In zwei Jahren haben wir drei Kreativrunden gedreht, befinden uns gerade in der vierten. Was die Kosten angeht: Ich werde nie Werbung nur für Deutschland oder nur für Italien machen. Das verschlingt Zeit und kostet Geld. Kein einziger TV-Spot wird alle Änderungen kommunizieren können, die Sie im Unternehmen machen. Statt also in einem Spot zu beschreiben, dass wir uns geändert haben, werbe ich lieber mit den Preisen und Zielen und lasse das die Gäste selber an Bord erfahren.

Michael O’Leary hat mal erklärt, er hasse Marketing. Was unterscheidet Sie von ihm?

Er hat jede Menge Sachen erklärt. Er sagte auch mal, er würde nie von bestimmten Flughäfen starten, die wir heute anfliegen. Er ist sehr gut in Andeutungen und Ankündigungen. Davon abgesehen denke ich, jeder CEO und auch jeder CMO sollte klassisches Marketing infrage stellen, weil es sich noch immer auf kostspielige Maßnahmen konzentriert, die manchmal wenig bringen. Was mich und ihn angeht: Ich wusste, dass es entweder der beste oder schlechteste Job werden würde, den ich antrete. Es ist bislang der beste. Ich denke digitaler als er, er beeinflusst die Entscheidungen wenig und lässt mich Gott sei Dank machen.

Das komplette Interview und die Hintergründe lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der W&V (11/2016).


Autor: Daniela Strasser

Redakteurin bei W&V. Interessiert sich für alles, was mit Marken, Agenturen, Kreation und deren Entwicklung zu tun hat. Außerdem schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung. Neuerdings sorgt sie auch für Audioformate: In ihrem W&V-Podcast "Markenmenschen" spricht sie mit Marketingchefs und Media-Verantwortlichen über deren Karrieren.