100-Tage-Bilanz:
Mündige Leser erwünscht: So tickt die neue "Bild"-Chefin Tanit Koch
Seit Januar steht die 38 Jahre alte Juristin Tanit Koch an der Spitze der "Bild". Erstmals erläutert sie ihre Pläne für Deutschlands größte Zeitung.
Deutschlands lautestes Blatt hat jetzt eine Chefin, die ganz leise spricht. Der sanfte Tonfall ist ein Markenzeichen von Tanit Koch, die seit Anfang Januar Chefredakteurin von Springers "Bild"-Zeitung ist. Die Berufung der vormaligen Unterhaltungschefin zur Nachfolgerin des 15 Jahre lang amtierenden Kai Diekmann, 51, sorgte in der Medienbranche für Verblüffung.
Nach 100 Tagen im Amt – am Samstag ist es soweit - lässt sich sagen: Tanit Koch führt auch an der Spitze des Boulevardblattes die Regie eher im Hintergrund und steht nicht permanent im Scheinwerferlicht. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur "dpa" macht die 38-Jährige deutlich, wohin sie "Bild" steuern will.
Einen kompletten Kurswechsel soll es demnach nicht geben. Das wäre auch schwierig, denn immerhin ist Diekmann als Herausgeber des Blattes immer noch omnipräsent. Koch setzt auf ein entschiedenes "Weiter so", denn sie betont: "Guter Boulevard ist guter Journalismus, anders präsentiert, wir sind angstfrei - und wir haben kein Problem, uns bei Recherchen die Hände schmutzig zu machen, um hinter die Fassade zu schauen." Guter Boulevard sei nun einmal "wild und manchmal einfach irre".
Dennoch muss Koch "Bild" zumindest teilweise neu erfinden. Zwar ist das Blatt noch immer hochprofitabel. Doch die goldenen Zeiten sind auch hier vorbei. Die Auflage liegt bei rund 1,9 Millionen verkauften Exemplaren, vor 15 Jahren waren es noch 4,3 Millionen. Koch tröstet sich mit dem Hinweis auf rund 318.000 neue Digitalabonnenten und die immer noch immense Reichweite der Marke mit rund 10,35 Millionen Lesern und sogar 18,56 Millionen Menschen, die mindestens einmal monatlich auf Bild.de kommen sowie rund 8,3 Millionen solcher Nutzer auf Smartphones und Tablets per App.
Koch betont, dass Strukturen und Abläufe bei "Bild" gemeinsam mit Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt erst aufgebrochen, und dann neu zusammengesetzt wurden. Resultat sei eine "vereinte Redaktion", die sich im Gegensatz zu früheren Zeiten nun gemeinsam überlege, wo welcher Inhalt am besten ausgespielt werde.
Die in Konstanz geborene und in Bonn aufgewachsene Juristin und Politikwissenschaftlerin setzt dabei zwar auf die Kampagnenfähigkeit ihrer Zeitung, wünscht sich aber den mündigen "Bild"-Leser: "Wir haben als Journalisten keinen Erziehungsauftrag. Wir machen unsere Leser nicht zu besseren Menschen ... wir machen sie zu besser informierten Menschen."
Sie verteidigt die noch unter Diekmann gestartete Pro-Flüchtlings-Kampagne "Refugees Welcome" als ”klares Bekenntnis zur Hilfsbereitschaft“ der Deutschen, lehnt aber eine anders gerichtete Kampagne gegen die rechtspopulistische Alternative für Deutschland ab: "Eine Kampagne gegen die AfD würde sie wichtiger machen, als sie ist."
Der Macht des Blattes ist sich Tanit Koch bewusst, wenn sie sagt: "'Bild' ist kein flüchtiges Medium, unsere Schlagzeile bleibt und hat die Kraft von Europas größter Tageszeitung. Und wir sind kampagnenfähig." Zumal Debatten, die das Springer-Blatt anstoße, die Menschen beschäftigen würden. Sie "sind Gesprächsthema, entfalten Wirkung - auch Druck".
Entschieden ist Koch bei der Rückschau auf ihre bislang wohl umstrittenste "Bild"-Schlagzeile: "Grüner mit Hitler-Droge erwischt!" titelte die Zeitung, als beim Grünen-Bundespolitiker Volker Beck laut Polizei Crystal Meth gefunden wurde. Da habe ihre Zeitung "zur Allgemeinbildung beigetragen", in dem sie die Gefahren der Droge Crystal Meth thematisiert habe - und nicht zur Diffamierung des Grünen-Politikers, sagt Koch mit feinem Lächeln. Im Übrigen solle sich die Öffentlichkeit statt über die Schlagzeile lieber über Beck empören, da dieser sich bis heute noch nicht öffentlich zu seinem Verhalten erklärt habe.
Selbst im Rampenlicht zu stehen, ist für die eifrige Twitter-Nutzerin Koch eher nicht erstrebenswert: "Mein Name muss nicht über einer Geschichte stehen, um ihr meine Handschrift zu geben." Und auch ihr Privatleben hält die Chefin von Deutschlands größtem Boulevard-Blatt lieber aus den Schlagzeilen: "Für einen 'Bild'-Aufmacher reicht es nicht.“
Patrick T. Neumann, dpa