Klaus Dittko über die Wulff-Affäre: "Salamitaktik unbedingt vermeiden"
Über 20 Minuten lang musste Christian Wulff sein Verhalten in der sogenannten Kreditaffäre rechtfertigen. W&V Online sprach mit Scholz&Friends-Vorstand Klaus Dittko über Wulffs Gesprächstaktik und den möglichen Fortgang der Affäre.
Über 20 Minuten lang musste Bundespräsident Christian Wulff am Mittwochabend in einem Exklusiv-Interview mit ARD und ZDF sein Verhalten in der sogenannten Kreditaffäre rechtfertigen – dass sich ein Staatsoberhaupt in dieser Weise der Öffentlichkeit stellen muss, ist ein bislang in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang. W&V Online sprach mit dem Kommunikationsexperten Klaus Dittko, Vorstand der Scholz & Friends Group und Geschäftsführer von Scholz & Friends Agenda, über Wulffs Gesprächstaktik und den möglichen Fortgang der Affäre.
Herr Dittko, wie hat sich der Bundespräsident gestern in dem lang erwarteten und von einer breiten Öffentlichkeit geforderten Doppelinterview mit ARD und ZDF geschlagen?
Klaus Dittko: Der Bundespräsident hat sich öffentlich entschuldigt und Transparenz zugesagt. Das war überfällig. Er hat aber zu häufig den Gestus der Rechtfertigung eingenommen und dadurch den Eindruck der Reue verwässert. Denn in dem Augenblick, in dem er zahlreiche Einzelsachverhalte neu rechtfertigt oder in einem anderen Licht darstellt, wurde er auch wieder angreifbar. Was besonders im zweiten Teil des Interviews auffiel, war seine häufige Verwendung von Man-Formulierungen, obwohl es doch um sein Verhalten ging. Zu Anfang hat Wulff einmal von Ich gesprochen, dann aber die Rechtfertigungen und auch die Fehler, die gemacht wurden, nicht mehr auf sich bezogen, sondern Formulieren benutzt wie "Hat man dem Amt nicht gedient". Das ist natürlich wieder eine Distanzierung, die man als Zuhörer spürt. Sie stellt die Position der Reue in Frage und legt nahe, dass sich Wulff bis heute in Teilen als Opfer sieht. Ob diese Haltung und Tonalität jetzt passend ist, darf man wohl bezweifeln.
Wulff hat in dem Gespräch sehr stark die menschliche Karte gespielt und gesagt: Auch ein Bundespräsident darf Freunde haben und Fehler machen. War das die richtige Taktik?
Es ist legitim, Menschlichkeit zur Erklärung von Fehlern anzuführen. Es ist aber nicht legitim, sie zum Maßstab der Beurteilung zu machen. Natürlich ist der Maßstab für den Bundespräsidenten nicht allein, ob sein Verhalten menschlich verständlich ist, sondern vor allem, ob er den Ansprüchen des Amtes gerecht wird.
Es wird Christian Wulff ja immer wieder vorgeworfen, auch als Bundespräsident wie ein niedersächsischer Ministerpräsident zu agieren. Hat sich dieser Eindruck durch das Interview verfestigt?
Er hat ja selber im Interview gesagt, dass es ihm nicht leicht gefallen sei, in kurzer Zeit vom Amt des Ministerpräsidenten in das anspruchsvollere Amt des Bundespräsidenten hinein zu wachsen. Dies ist sicherlich auch ein Teil des Problems, das sich in der Beurteilung von einzelnen Sachverhalten und jetzt auch in seinem konkreten Verhalten in der Krise ausdrückt.
Die Glaubwürdigkeit des Bundespräsidenten ist durch die Kreditaffäre beschädigt. Was kann Wulff jetzt noch tun, um sie vollständig wieder herzustellen?
Wenn man sich die Geschichte anschaut, gibt es eine Reihe anderer Bundespräsidenten, die durch schwere Krisen gegangen sind oder Schatten auf ihrer Vita hatten. In diesem Zusammenhang ist oft Johannes Rau und seine West-LB-Affäre zitiert worden. Aber auch schon dem ersten Bundespräsidenten Heuss ist seine Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz vorgeworfen worden. Ihm ist es aber durch seine weitere Amtsführung gelungen, in der historischen Betrachtung ein weitgehend positives Bild zu hinterlassen. Insofern könnte Wulff, sofern er im Amt bleibt, positive Akzente dagegen setzen, die dann ein sehr viel differenzierteres Bild erzeugen. Aber derzeit ist er sicherlich ein Symbol dafür geworden, wie schwer die Gratwanderung im machtlosen, aber moralisch anspruchsvollen Amt des Bundespräsidenten geworden ist.
Kurz zurück zum Beginn der Kreditaffäre. Wulff und seine Berater wussten lange vor den ersten Veröffentlichungen, dass Redaktionen die Finanzierung seines Privathauses untersuchen. Was hätten sie tun müssen, um die "Affäre" im Stillen zu bereinigen?
Es wäre sinnvoll gewesen, sehr viel früher initiativ an die Öffentlichkeit zu gehen und auf die verschiedenen kritischen Punkte selbst einzugehen. Jetzt hat sich genau der Effekt eingestellt, den Wulff selbst beklagt, dass er nämlich nur noch mit einer Salamitaktik auf die gestellten Fragen reagieren kann. Für ihn wäre es sehr viel günstiger und auch glaubwürdiger gewesen, wenn er zu einem frühen Zeitpunkt zusammenhängend Auskunft gegeben und dies mit seinem Amtsverständnis begründet hätte, das notwendigerweise Transparenz erfordert. Damit hätte er auf ganz andere Weise die Initiative in dieser Diskussion behalten. Eine der einfachsten Grundlehren der Krisenkommunikation ist, unbedingt die Salamitaktik zu vermeiden. Sie hat schlicht den Effekt, die Berichterstattung mit immer neuen Details ins Endlose zu verlängern und die Krise medial zu befeuern. Wenn man frühzeitig alle kritischen Punkte abräumt, hat man eine sehr viel größere Chance, damit auch das klassische Agenda-Cutting, das Herunternehmen des Themas von der Agenda, zu erreichen.
Nachdem die telefonischen Interventionen des Bundespräsidenten beim Springer Verlag ruchbar wurde, bekam die Affäre eine neue Dynamik. Ist in einer solchen Lage die Situation durch Krisenkommunikation überhaupt noch beherrschbar?
Eine Krise zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht mehr vollkommen beherrschbar ist. Da spielen die externen Faktoren immer eine immense Rolle. Trotzdem hat der Betroffene natürlich weiter die Möglichkeit, auf den Verlauf der Krise Einfluss zu nehmen. Diese Chance hatte auch Bundespräsident Wulff. Durch das gestrige Interview hat er der Krise aber neue Nahrung gegeben, indem er Sachverhalte anders dargestellt hat, als bisher bekannt war. So hat er darauf hingewiesen, dass er bei der "Bild"-Zeitung bloß auf eine Verschiebung des Berichts um einen Tag gebeten habe. Dem hat die "Bild"-Redaktion bereits gestern Abend widersprochen. Damit ist jetzt wieder ein neuer Diskussionspunkt aufgekommen, der die Medien beschäftigen wird.
Aber ist die Vorstellung, mit solch einem Interview die Initiative zurückzugewinnen und die Diskussion auf einen Schlag zu beenden, nicht von vornherein illusionär?
Ob man sie beenden kann, hängt sicherlich vom Grad der Krise ab. Das war zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten. Auf der anderen Seite war es der richtige Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Besser wäre es gewesen, dies in einer noch breiteren Form zu tun, als mit einem Exklusiv-Interview. In jedem Fall hat es dazu beigetragen, dass den täglichen Aufforderungen aus allen Richtungen, sich zu erklären, erst einmal entsprochen wurde. Das nimmt ein bisschen Druck raus.
Kann sich der Bundespräsident bei einer weiteren Verschärfung der Situation noch im Amt halten?
Es spielt ihm ein bisschen in die Karten, dass es ein Interesse bei zahlreichen Akteuren der Koalition, aber auch bei Teilen der Opposition gibt, ihn im Amt zu halten. Deshalb hat Wulff durchaus die Chance, seine Position nach diesem Interview wieder zu festigen und im Amt zu bleiben. Entscheidend wird aber sein, ob die Aussagen, die er in dem Interview getroffen hat, Bestand haben. Sonst nimmt der Druck noch einmal immens zu. Sollten sich einzelne Aussagen als falsch erweisen, ist es mit Sicherheit nicht mehr möglich, eine weitere Entschuldigung anzuhängen. Dann ist der Rücktritt unvermeidlich.