Gastbeitrag:
Karsten Lohmeyer über Content Marketing: Ich bastele mir meinen eigenen Gral
Mit ihrer Agentur The Digitale mischt auch die Deutsche Telekom im Content-Marketing-Geschäft mit. Ihr Chefredakteur Karsten Lohmeyer erklärt, was Content Marketing für ihn und ist, warum es harte Arbeit bedeutet und weshalb man bezahlte Reichweite nicht verteufeln sollte.
Mit ihrer Agentur The Digitale mischt auch die Deutsche Telekom im Content-Marketing-Geschäft mit. Ihr Chefredakteur Karsten Lohmeyer erklärt, was Content Marketing für ihn und ist, warum es harte Arbeit bedeutet und weshalb man bezahlte Reichweite nicht verteufeln sollte.
Als Indiana Jones endlich vor dem Heiligen Gral steht, hat er die Wahl. Welcher Kelch ist der richtige? Er weiß, wenn er jetzt den falschen wählt, ist das sein Untergang. In genau dieser Situation wie aus "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" scheint sich gerade die gesamte Werber- und Kommunikationsszene zu befinden. Denn alle sind sie auf der Suche nach dem Heiligen Gral, der den Ausweg aus diversen Dilemmata verspricht, in denen sich die Branche so befindet.
Natürlich wurde in diesem Zusammenhang bereits mehrfach der "Heilige Gral" bemüht. Gleichzeitig scheint aber jeder der Diskutanten seine eigene Vorstellung vom Heiligen Gral zu haben und genau zu wissen, welchen er wählen muss. Wie der Gral genau auszusehen hat und der Glaube daran, ob es ihn überhaupt gibt, hängen dabei sehr stark davon ab, aus welcher Ecke des Marketing- und Werber-Zirkus der jeweilige Autor kommt und was er selbst gerade so an Dienstleistung anbietet.
Content Marketing definiert jeder so, wie es ihm gerade gefällt
Um das Bild noch einmal klar zu übersetzen: Was die noch junge Disziplin des Content Marketing eigentlich meint, wird von jedem Beteiligten anders definiert - und jeder findet natürlich seine eigene Herangehensweise besonders toll. So geht es natürlich auch mir.
Ich definiere Content Marketing sehr journalistisch, denn das ist nunmal die Ecke, aus der ich komme. Das führt automatisch dazu, dass für mich einiges, was in der Diskussion bereits als Erfolgsmodell für Content Marketing gepriesen wurde, nichts anderes ist, als Werbung mit ein paar Storytelling-Elementen. Die "Heimkommen"-Kampagne? Toll gemachte Werbung. Der "Epic Split" mit Jean-Claude van Damme? Toll gemachte Werbung.
Warum das so ist? Ganz einfach: Alle genannten Beispiele beinhalten zwar deutlich mehr Content als herkömmliche Werbung, doch sie sind fiktional. Hier wird ein Drehbuch geschrieben, eine Geschichte erzählt (Storytelling!) und ein Theaterstück aufgeführt. Bitte nicht falsch verstehen: Auch Theater kann Spaß machen, aber mit Content Marketing wie ich es lebe, haben diese Filmchen wenig zu tun.
Content Marketing ist Journalismus. Fast.
Für mich - und da bin ich Kind meiner Sozialisation als Journalist - ist Content Marketing nichts anderes als Nutzwert- oder Unterhaltungsjournalismus, wie wir ihn seit Jahren anzeigenfinanziert betreiben. Im Umkehrschluss: Gefühlt 95 Prozent des so genannten Journalismus, wie wir ihn heute in Zeitschriften von "Fit for Fun" über "Das neue Blatt" bis hin zu diversen Autozeitschriften und Ratgebermagazinen erleben, könnte problemlos auch in (guten) Content-Marketing-Portalen stehen. Warum? Ganz einfach: Weil Content Marketing für mich Publishing Business ist und in erster Linie dem Nutzer etwas bieten soll, was ein Problem löst oder sein Leben auf andere Weise bereichert.
Ich will es auf keinen Fall Journalismus nennen, aber es ist nah dran. Beim Content Marketing, wie ich es verstehe, recherchieren journalistisch ausgebildete Kollegen nutzwertige oder unterhaltende Inhalte und fassen sie in Formen, die Veröffentlichungen in klassischen Nutzwert-orientierten Medienprodukten in nichts nachstehen.
Das ist auch der Grund, warum so viele Agenturen von Fischer-Appelt über Serviceplan bis hin zu meiner eigenen auf erfahrene Journalisten setzen. Dass wir bei "The Digitale" gerade den Ex-Sportchef der "Abendzeitung", Gunnar Jans, von der "Süddeutschen Zeitung" als Chefredakteur Sport für die neue ispo.com abgeworben haben, ist sicherlich kein Zufall.
Journalismus ist nur ein Teil der Strategie
Doch Journalismus ist nur ein Teil der Strategie beim Content Marketing: Während beim klassischen Journalismus meist nur ein mehr oder weniger diffuses Gefühl, passende Anzeigenumfelder schaffen zu müssen, die redaktionelle Unabhängigkeit beeinflusst, ist beim Content Marketing klar, wer zahlt und damit zumindest in groben Zügen die redaktionelle Linie vorgibt.
Und wer zahlt, möchte in aller Regel auch etwas für sein Geld sehen. Also sollte, ja muss jedes Content-Marketing-Angebot einen Return in Investment bringen, also klare Ziele und neudeutsch KPIs verfolgen. Vieles, wenn nicht alles davon, muss messbar und berechenbar sein. Content Marketing ohne klare Performance-Messung und ohne zu erfüllende KPIs ist in meinen Augen sinnlos.
Dass heute anscheinend immer noch viele Auftraggeber von Content-Marketing-Dienstleistern keine Ahnung haben, welche und wieviele Menschen sie erreichen und ob und wie ihre Angebote konvertieren, lässt mich fassungslos zurück. So wie ich manchmal den Eindruck habe, dass bei vielen journalistischen Projekten das Geschäftsmodell vergessen wurde, erscheint es mir oft so, dass gerade große Unternehmen bereits zufrieden sind, wenn sie eine tolle Webseite haben, die der Frau des Chefs gefällt – und dann glauben, dass die Reichweite in diesem komischen Internet schon von alleine kommt.
Content Marketing ist harte redaktionelle Arbeit
Wenn man zumindest die von mir persönlich favorisierte Form des (digitalen) Content Marketing also als Publishing Business begreift, dann wird man schnell bei Inhalten oder ganzen Portalen landen, die den Gesetzmäßigkeiten des Verlagswesens folgen. Aber eben nicht von Anzeigen oder Vertriebserlösen abhängig sind.
Stattdessen gilt es, dauerhaft relevante Reichweite aufzubauen und klare Conversion-Ziele zu verfolgen. Was das bedeutet? Harte Arbeit. Harte REDAKTIONELLE Arbeit. Denn wer im von Google und Facebook dominierten Web dauerhaft native Reichweite, Fans und Follower für seine Marke aufbauen möchte, muss Inhalte bieten, die sich mit jedem Verlagsangebot und jedem Fachblog messen können müssen.
Google ist es nämlich erstmal komplett schnuppe, wer den Inhalt geschrieben hat, Hauptsache es ist der beste Inhalt für die per Sucheingabe formulierte Frage des Nutzers. Google bewertet dies anhand von mehreren Hunderten Kriterien, ein guter Content Marketer sollte deshalb seine SEO-Hausaufgaben gemacht haben. Klassische Werbung ist für Google nur "Thin Content", aufgrund mangelnder Tiefe der Inhalte nicht wert, angezeigt zu werden - es sei denn, man zahlt dafür.
Ähnlich sieht es Facebook: Woher der Inhalt kommt, ist im ersten Schritt egal. Wenn er dauerhaft für Interaktionen in Form von Likes, Shares und Kommentaren sorgt, ist er würdig, möglichst vielen Nutzer gezeigt zu werden.
Content Marketing kann auch auf bezahlte Reichweite zurückgreifen
Gleichzeitig warne ich davor, bezahlte Reichweite zu verteufeln. Denn wer von Null an versucht, eine native Millionenreichweite zu erzielen, wird dabei heute entweder scheitern oder sehr lange brauchen. Es macht also Sinn, gerade in der Anfangsphase eines Content-Marketing-Projekts Reichweite durch Paid Media zu generieren – sofern man einen genauen Plan hat, wie man die so generierten Besucher in wiederkehrende Leser verwandelt.
Glücklicherweise haben wir heute die Werkzeuge dazu, guten Content mit bezahlter Reichweite zu unterfüttern. Sowohl Facebook mit seinem recht exakten Targeting als auch Dienstleister wie Plista, Outbrain und Taboola haben das Native Advertising heute auf eine neue Stufe gehoben. Sie ermöglichen es Inhalteerstellern, direkt dort die Aufmerksamkeit und Klicks der User zu erhalten, wo sie sich sowieso gerade aufhalten – also in den sozialen Medien, auf großen Verlagsseiten oder reichweitenstarken Blogs.
Was es dazu braucht, damit eine bezahlte Reichweitenstrategie dauerhaft funktioniert, ist guter Content, der nicht nur dafür sorgt, dass die Cost-per-Clicks (CPC) gering bleiben, sondern eben auch, dass aus bezahlter Reichweite bald native Reichweite wird.
Guter Content ist der Schlüssel
Wo wir wieder bei den Inhalten und dem Kern des Content Marketings wären, wie ich es verstehe. Guter Content muss begeistern. Guter Content muss Lösungen bieten für Fragen, die eine klar definierte Zielgruppe im Netz sucht. Guter Content muss überraschen. Guter Content darf nicht werblich sein und auch durch typische Markenführungsmechanismen (Haben Sie schon einmal versucht, einem Markenexperten zu erklären, dass es keinen Sinn macht, alle markenrelevanten Termini VERSAL und am besten noch mit einem kleinen "R" im Kringel zu schreiben?) nicht den Eindruck erwecken, Werbung zu sein.
Und idealerweise täuscht gutes Content Marketing den Kunden nicht durch irgendwelche Fantasie-Medienmarken, sondern steht dazu, was es ist: nämlich gute Kommunikation von Unternehmensseite. Dann gibt es keinen Content Shock, sondern nur bessere Inhalte, die die viel zu vielen schlechten Inhalte, die es leider immer noch gibt, aus den vorderen Suchergebnisseiten von Google verdrängen.
All das ist kein Glamourjob, sondern tägliche, redaktionelle, harte Arbeit. Und das bringt mich wieder zurück zum Heiligen Gral. Wer "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" gesehen hat, der weiß, was den Heiligen Gral auszeichnet. Er ist nichts für Blender. Er schimmert nicht golden, hat keine opulenten Verzierungen. Er ist der Kelch eines Zimmermanns, eines Handwerkers, der einen Knochenjob erledigt hat. Und gut ausgebildete Handwerker, nennen wir sie mal Journalisten, sind der Kern des Erfolgs von Content Marketing.
Der Autor: Karsten Lohmeyer ist Editorial Director bei The Digitale, dem Content-Marketing-Dienstleister der Deutschen Telekom. Der Absolvent der Deutschen Journalistenschule hat in den vergangenen Jahren für viele deutsche Medienhäuser gearbeitet (darunter auch für W&V) und wurde durch sein Blog lousypennies.de bekannt. Er unterrichtet unter anderem an der Fachhochschule Wien, der Universität Passau und der Deutschen Journalistenschule.