Interview zum Sportmarketing :
Jung von Matt/ Sports: Das Ergebnis der Sponsoringlüge
Jung von Matt/Sports hat die Branche mit einem Thesenpapier heftig kritisiert. Ein Jahr nach der "Watschn" habe sich manches bewegt, sagt Geschäftsführer Robert Zitzmann.
Vorweg, die Kritik an der Sponsoring-Branche sei nach wie vor angebracht, sagt Robert Zitzmann. Der Geschäftsführer von Jung von Matt/Sports hält am Inhalt des Thesenpapiers "Die Sponsoring-Lüge" also fest, die die Hamburger Sportmarketing-Agentur vor einem Jahr im Vorfeld des Spobis-Kongresses veröffentlichte. Die Reaktionen fielen zum Teil heftig aus.
Was sich jetzt, ein Jahr später, verändert hat, erklärt Zitzmann im Gespräch mit W&V.
Vor einem Jahr haben Sie ein sehr kritisches Thesenpapier zum Sponsoring vorgelegt. Allein schon wegen des Titels "Die Sponsoring-Lüge" haben Sie sich nicht viele Freunde gemacht. Wir waren jetzt die Reaktionen auf dem Spobis?
Robert Zitzmann: Unser Thesenpapier war keine Freundschaftsanfrage, sondern ein Anstoß für kollektiven Fortschritt. Nur wenn wir den Status Quo miteinander kritisch diskutieren, können wir ihn verbessern. Jetzt auf dem Spobis habe ich eine zunehmende Bereitschaft zu diskutieren, transparenter zu präsentieren und voneinander zu lernen, gespürt.
Der Branchenkongress leistet einen relevanten Beitrag zur Professionalisierung der Branche, weil er eine öffentlichkeitswirksame Chance zur Profilierung und Positionierung bietet. Das funktioniert heute mehr denn je über thematische Substanz anstatt alte Seilschaften.
Mehr Buzz, weniger Buzzwords
Ein Jahr ist vergangen – hat sich irgendetwas im Sportsponsoring merklich geändert oder treffen ihre kritischen Thesen immer noch ausnahmslos zu?
Die trending topics im Sport sind auch weiterhin Digitalisierung, Content, Publishing und Technologie. Alles wichtige Bereiche, über die man sprechen muss. Was bei all den zeitgemäßen Buzzwords aber weiterhin zu kurz kommt: Aufmerksamkeit und Verständnis dafür, wie man für eine Marke wirklich konstant Buzz generiert.
Speziell im Sponsoring wird die Relevanz von stringenter Markenführung gerne außer Acht gelassen, während permanent neue Aktivierungsmöglichkeiten, etwa mit AR und VR, getestet werden. Dabei macht eine robuste Marke und ihre konsistente kreative Aktivierung auf Dauer immer noch den Unterschied.
Aber Ihre deutlichen Vorwürfe gingen in Richtung Nestbeschmutzung…
Die intensivsten Reaktionen kamen primär von Agenturvertretern und Sponsoringanbietern, die wohl wegen des plakativen Namings nicht ganz begeistert waren. Sicherlich war unser Thesenpapier auch deshalb medial so erfolgreich, weil es kommunikativ gut verpackt war und eine kritische Haltung gegenüber etablierten Marktkräften eingenommen hat.
Die zahlreichen positiven Rückmeldungen und Gesprächsanfragen von Unternehmen, Vereinen und Verbänden bestätigen uns jedoch: Wir haben die sieben Thesen fundiert und differenziert vermittelt. Und bei dem Begriff "Nestbeschmutzung" stimmt leider alles nicht: weder der Vorwurf noch das Selbstverständnis. Unsere Branche sollte kein behütetes Nest sein, sondern wie ich es mir wünsche, ein kollaborativer Hub für Exzellenz.
Die Sponsoringlüge propagiert auch ein Raus aus dem Fußball. Angesichts von beispielsweise übervollen Logowänden stellen Sie Fußball-Sponsoring in Frage. Verscherzen Sie es sich mit König Fußball?
Egal ob Fußball, eSports, Olympics oder X-Games: Es entstehen jeden Tag neue Plattformen, die Sponsoren auf dem Radar haben sollten. Das ist Fluch und Segen zugleich. Marken müssen heute viel mehr Zeit in die Reflexion und Definition ihrer eigenen Ziel- und KPI-Systeme investieren. Nur so kommen sie zu klugen Entscheidungen.
Andererseits hat die Explosion der digitalen Plattformen und der Inhalte auch dafür gesorgt, dass Sponsoring noch viel mehr Potenziale bietet, als im alten, analogen TV- und TKP-Zeitalter. Über 70 Prozent aller Entscheider nennen laut Nielsen „Imagetransfer“ als oberstes Ziel.
Also sollte die Selektion der richtigen Sportart nicht von Mediazahlen, sondern von einem Marken- und Zielgruppenfit geleitet werden. Der USP von Sponsoring ist doch der Zugang zu Werten und ihrer Glaubensgemeinden – deshalb ist Fußball auch zurecht immer noch ein Sponsoringkönig.
Aber in der Realität kaufen Sponsoren meist vorkonfektionierte Rechte im Paket. Und diese werden oft mit pauschalen KPIs wie einer Bruttoreichte in Medien angepriesen und so entstehen die Logofriedhöfe, Content-Gräber und Social-Media-Leichen.
Nun, aus Sicht des Anbieters ist es nur konsequent, die eigene Vermarktung über Teil-Standardisierung von Angeboten effizient zu skalieren. Ein guter Sponsoringvertrag sollte keine austauschbare Lizenzvereinbarung sein, sondern eine strategische Allianz abbilden.
Wenn sich beide Seiten verpflichten, einzigartige Erlebnisse und Services zu kreieren, dann profitiert auch die jeweilige Community. Zum Beispiel: Statt einer fixen Anzahl an Social-Media-Postings benötigen Sponsoren einen flexibleren Zugang zu Content und Kanälen.
Ansonsten entsteht schnell Werbung ohne Mehrwert – das hilft weder Fans noch Vereinen oder Verbänden. Auch wenn vertragliche Leistungen weiterhin messbar, vergleichbar und quantifizierbar sein müssen, sollten wir Sponsoring viel mehr in Gestaltungs- anstatt in Nutzungsrechten denken und leben.
So droht der Totalschaden für unsere Branche
Sie empfehlen also die Klassiker, Trikot, Bande und Hospitality, in Frage zu stellen und die Blicke wo anders hinzurichten?
Es geht nicht um pauschale Ablehnung von traditionellem Sponsoring-Inventar, sondern um mehr Unabhängigkeit bei der Konfiguration von Rechtepaketen. Als Antwort auf die Sponsoringlüge hat ein Branchenkollege den Sponsoringeinkauf mit einem Autokauf verglichen: Auch dort muss der Käufer die Grundausstattung mit Extras an seine Bedürfnisse anpassen.
Aber wenn wir solche Leitplanken etablieren, entsteht ein Totalschaden für die kommunikative und ökonomische Entwicklung in unserer Branche. Denn wir müssen, um beim Bild zu bleiben, das Sponsoring nicht auf den Erwerb eines Automobils begrenzen, sondern Sponsoring durch die Brille des gesamten Mobilitätssektors betrachten. Denken Sie an disruptive Carsharing- und Transport-Angebote, oder an City Bike-Lösungen. Sie machen den Bedarf nach eigenen Fahrzeugen für gewisse Personengruppen irrelevant.
Wir brauchen also neue kreative Freiräume und mit diesem Verständnis sollten wir alte Denkmuster im Sponsoring-Inventar aufbrechen. Egal ob es um den Sitzplatz, die Bande oder um Social-Media geht: Jeder Einkäufer sollte sein Rechtepaket individuell gestalten.
Unter dem Strich geht es um die Wirkung. Aber bezüglich der Erinnerungswerte scheiden die meisten Sportsponsoren nicht sonderlich gut ab. Liegt es am eingesetzten Geld?
Die Ursache ist oftmals weniger das Budget, sondern die Budgetverteilung. Es kursieren immer noch diverse Faustregeln für das Verhältnis zwischen Rechte- und Aktivierungskosten. Aber diese sollten Sponsoren mit Vorsicht genießen. Wenn 60 Millionen Euro pro Jahr in die UEFA Champions League investiert wird, um Stadionbranding, TV-Presenting, CI-Integration und Ticketing einzukaufen, dann muss der Sponsor nicht zwangsläufig weitere 60 oder 90 Millionen in klassische Aktivierung stecken.
Gute Ideen sind nicht besser weil sie viel Geld kosten, sondern weil sie zielgerichtet sind. Nachhaltige assoziative Erinnerungswerte im Sponsoring erfordern vor allem Kontinuität, keine budgetären Stroh- oder Sonnwendfeuer.
Wie sieht ein positives Beispiel aus?
Wir glauben an Markenfit und einzigartige Stories. Eine der faszinierendsten Arbeiten der letzten zehn Jahre ist die Kampagnenplattform "Thank you Moms". P&G aktiviert damit seit 2012 das Sponsoring der Olympischen Ringe: Von Insights und Kreation bis integrierter Kommunikation.
Aus Sponsoring wird hier Markenführung und ein ganzheitliches Marketing mit einer kontextuellen Liebeserklärung zur Kernzielgruppe, und das vom TV-Spot bis zum POS. Auch wenn "Thank you Moms" keine Benchmark für Jedermann sein kann, jeder Sponsoringentscheider sollte sich von diesem Case inspirieren lassen.
Aber es geht auch im Kleinen: Nike hat mit dem Kaepernick-Motiv sicher das größte Momentum im letzten Jahr erzielt. Es zeigt, wie kraftvoll eine glaubwürdige gesellschaftliche Haltung speziell im Sportsponsoring sein kann - unabhängig vom Budget.
Das gleiche gilt für Rechtehalter. Nehmen Sie die beiden Hero-Marken im deutschen Fußball: den FC Bayern und den FC St. Pauli. Der eine Club steht für die Dax-Familie des deutschen Sponsorings, der andere für die ultimative Heimat für sozial-urbanen Lifestyle, die unabhängig vom sportlichen Erfolg ist. Für beide gilt: Sponsoring muss über Marke kapitalisieren, nicht über endliches Mediainventar.
Mit Content-Plattformen landen Anfänger schnell auf dem Abstiegsplatz
Um Geschichten zu erzählen, bauen Marken inzwischen auch eigene Content-Plattformen auf. Rechnet sich so etwas?
Das hängt ganz von der jeweiligen Rechenformel ab. Es geht beim Aufbau einer eigenen Plattform als Sponsor vorrangig nicht um eingekaufte oder selbst produzierte Inhalte, sondern um eine nachvollziehbare Beziehung zu einem Thema und ihrer Community. Wenn Marken Publisher werden wollen, sollten sie über ausreichend finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen verfügen.
Sie müssen sicherstellen, dass ein weiterer Kanal sowohl für den Absender wie auch die Zuielgruppe dauerhaft Sinn stiftet. Zumal der Wettbewerb unter Publishern wie auch unter Plattformen heute mehr als sportlich ist. Da landen Sponsoring-Rookies schnell auf einem Abstiegsplatz.
Wobei, bei der Handball WM vor zwei Jahren hat das geklappt. Die DKB hatte die WM im Web gezeigt, weil die Sender sich mit dem Rechteinhaber beIN Sports nicht einigen konnten.
So etwas ist natürlich nicht jederzeit zu wiederholen. Aber rechnerisch war es ein extrem erfolgreicher Content-, Streaming- und PR-Case, auch für uns als Agentur. Nur die DKB war schon vor dem Coup jahrelang der größte Sponsor des deutschen Handballs und somit als Content-Anbieter sehr glaubwürdig.
Stichwort Handball: Die aktuelle WM war wieder im Free-TV zu sehen, mit Rekord-Reichweiten. Aber es klebten auch wieder viele kaum erkennbare Floorgraphics auf dem Hallenboden. Hier hat Ihre deutliche Kritik am Sponsoring offenbar nichts bewirkt.
Es gibt in vielen Sportarten reichweitenstarke Werbeflächen. Nur beweisen sie sich deshalb noch lange nicht als gute Werbung. Im Vorfeld der WM hatten wir einige Anfragen Media-Sponsorings für die Heim-WM zu bewerten. Fakt ist: Aufgrund der Einschaltquoten ergab sich für alle Banden- und Bodenbucher für die Bruttoreichweiten ein exzellentes Preis-Leistungsverhältnis.
Fakt ist aber auch, dass ein Branding auf Bodenstickern auf kein Markenkonto dieser Welt entscheidend einzahlt. Reichweitenkommunikation ist ab einem gewissen Punkt eine Frage der Qualität. Ein Positiv-Beispiel der Handball-WM ist sicherlich Lidl. Der Discounter hat neben Trikot und Hallenböden auch in TV, am POS und über Social Media hierzu geworben. Das Ergebnis: Immerhin 16 Prozent der Bevölkerung können Lidl ungestützt als Sponsor nennen (Impact & Emotions, 2019).
Weniger Schulterklopfen, mehr kritische Auseinandersetzung
Also bleibt unter dem Strich ihre Kritik am Einkauf und an der Aktivierung von Sponsorships hängen, für die sie in der Sponsoring-Lüge primär die Rechtehalter und deren Vermarkter verantwortlich machen?
Wer den Anspruch hat objektiv und unabhängig zu beraten muss sich auch für seine Beratungsmethodik verantworten. Die Verantwortung für den Sponsoringeinkauf tragen letztlich immer die werbesuchenden Sponsoren, nicht die Anbieter und Vermittler. Wenn Rechteinhaber beabsichtigen, ihre Verkaufsziele in blumige Beratungsangebote zu verpacken, sollten potenzielle Sponsoren auf der Hut sein.
Was muss passieren, damit es mit Sponsoring generell aufwärts geht?
Es wird weiterhin Trends und Newcomer geben, die den Markt bereichern oder vielleicht auch disrupieren. Sicher ist, das Sponsoringvolumen wird sowohl in der Spitze als auch in Nischen weiterhin wachsen. Trotzdem sollten wir uns alle manchmal etwas weniger auf die Schulter klopfen und offener für Kritik und Veränderungen werden. Nur so kommen wir alle zu besseren Ergebnissen.
Dazu gehört auch, dass wir uns im Sport viel intensiver mit neuen Gütekriterien für effektive und effiziente Marketingkommunikation auseinandersetzen müssen. Wir brauchen ein besseres Bewusstsein für qualitative KPI’s. Daneben wünsche ich mir mehr echte und anschauliche Fallstudien, die der Branche helfen objektiver zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden.
Nicht verpassen: W&V Sportmarketing Summit 2019 - das Workout für die Marketingbranche. Infos und Tickets gibt es hier.