Award-Diskussion:
Jean-Remy von Matt: "Glaube fest ans Prinzip Wettbewerb“
Ein Ausstieg aus dem "Rattenrennen um Kreativpunkte" bei den Awards? Jean-Remy von Matt erklärt im Interview mit W&V-Redakteurin Daniela Strasser, was wirklich hinter der"JvM Kreativ-Reform 2012" steckt.
Flucht nach vorn leicht gemacht? Oder doch eine sinnvolle Brancheninitiative? Jean Remy von Matt spricht im Interview mit Daniela Strasser über das, was wirklich hinter der "JvM Kreativ-Reform 2012" steckt.
W&V: War die "JvM Kreativ-Reform 2012" eigentlich Ihre Idee, Herr von Matt?
Matt: Es gab zu dieser Idee keinen eigentlichen Urknall, keinen, der mit dem Gesamtkonzept zu mir kam. Vor einem Jahr hat mich eine Ex-Mitarbeiterin besucht – heute Dozentin - die sagte, ihr müsstet eigentlich eine eigene Akademie machen und so die Nachwuchsproblematik angehen. Wer, wenn nicht ihr? Peter Figge wiederum liegt mir im Ohr, dass wir das digitale Knowhow weiter forcieren müssen, da die Innovationsfrequenz so hoch ist, dass man ohne permanentes Training kaum auf Ballhöhe bleibt. Ich habe selbst einen Lehrgang an der "Good School" belegt und war begeistert von den Lerninhalten. Aber: Die Dosis hält maximal vier bis sechs Monate an und schon hat einen die virtuelle Realität wieder überholt. Heutzutage nichts für Weiterbildung tun bedeutet: Akzeptieren, dass man automatisch schlechter wird. Und das war keine Option für uns.
W&V: Der Millionen-Betrag, den Sie sich alle zwei Jahre dank Verzicht auf Kreativ-Awards sparen, reicht niemals für die Finanzierung einer Akademie in der Größenordnung, wie sie Ihnen vorschwebt. Was also hat das eine mit dem anderen zu tun?
Matt: Als feststand, dass wir die Herausforderungen Weiterbildung und Nachwuchs mit einer eigenen Akademie anpacken wollen, haben wir uns überlegt: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und hier kommt man relativ rasch auf den Kostenblock, den das Rattenrennen um Kreativpunkte auslöst und der auch bei anderen Agenturen einen zunehmenden Leidensdruck darstellt. Und der auch sehr schwer zu ermitteln ist, da die Einsendegebühren ja nur ein Teil des Aufwands darstellen. Natürlich reicht das immer noch nicht, um unseren ehrgeizigen Plan voll zu finanzieren. Aber hier hilft uns natürlich, dass wir als unabhängige Agenturgruppe keinerlei Investorenzielen genügen müssen.
W&V: Das, was Sie jetzt Rattenrennen nennen, haben gerade Sie doch selbst über Jahre forciert?
Matt: Nein, den haben Sie forciert, die Fachpresse mit den Kreativ-Rankings, die nach dem Wegfall der Umsatz-Rankings der einzige Bewertungsschlüssel für den Erfolg einer Agentur sind. Dieses Ranking zwingt uns Agenturen zu einem immer höheren Investment, das inzwischen überall einen Leidensdruck darstellt. Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass ein kompletter Ausstieg aus den Kreativ-Wettbewerben das falsche Mittel und das falsche Signal wäre. Ich glaube fest an das Prinzip Wettbewerb: leistungsfördernde und motivierende Wirkung. Gäbe es keine Olympiade, würde kein Mensch die 100 Meter unter zehn Sekunden laufen. Warum auch? Brötchen holen geht auch langsamer.
W&V: Und eine Zweijahresregelung hilft Ihnen da jetzt weiter?
Matt: Nun, ein Olympionike tritt alle vier Jahre an, Jogi Löw alle zwei Jahre - was zwingt uns zum Jahresrhythmus? Eine Alternative war: Wir belegen nur die wichtigsten Festivals, zum Beispiel Cannes und den ADC. Das hätte einen noch höheren Spareffekt, aber in Ihrem Ranking landen wir dann auf Platz sieben oder elf. Ich bin aber lieber unter den ersten drei. Außerdem hilft der Zweijahresrhythmus, um die komplexeren, innovativen Projekte wirklich mit Ruhe und Sorgfalt zu entwickeln. Ideen wie das WWF Dateiformat oder "Invisible Car" für Mercedes kosten schnell ein Jahr Entwicklungszeit. Das heißt: Wenn uns heute eine solche große Idee einfällt, können wir sie sowieso frühestens 2014 einsenden.
W&V: Vielleicht haben Sie auch einfach nur überlegt, wie Sie ein Malheur umgehen können: 2013 nicht mehr auf Platz eins des Kreativ-Rankings zu stehen. Die Marke Jung von Matt habe an Glanz eingebüßt, heißt es in der Branche. Führende Kreative wie Armin Jochum und viele andere sind gegangen. Vielleicht haben Sie auch einfach zu wenig relevante Arbeiten für das kommende Jahr in petto.
Matt: Nennen Sie gerne weitere: Wolf Heumann, Fabian Frese usw. Als bei den Bayern Kahn aufhörte und Ballack ging, dachten alle: Jetzt haben die ein Problem. Wie groß das Problem ist, steht in der aktuellen Bundesligatabelle. Ein gut geführtes Unternehmen hat wie ein gesunder Organismus die Kraft, sich von sich aus immer wieder zu erneuern und wenn durch Abgänge Gelder frei werden, diese am Transfermarkt wieder gut einzusetzen. Für einen Tom Hauser, Till Eckel oder Hans Albers, wenn ich auch ein paar Namen beisteuern darf.
W&V: Um noch mal auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Trotzdem finanziert sich davon keine Akademie. Den Löwenanteil dürfte die Stiftung tragen.
Matt: Welche Kosten im Detail entstehen, ermitteln wir gerade. Wichtig ist, dass wir mindestens alle Ersparnisse investieren, um talentierten Nachwuchs anzuziehen, der sonst zu anderen Kreativ-Berufen abwandern würde. Die Akademie soll 2013 starten und in Hamburg beheimatet sein, wir möchten sie aber so öffnen, dass auch andere Agenturen da lernen und ihre Kreativen weiterbilden lassen können. Von den Lerninhalten wird es am ehesten mit der "Good School" vergleichbar sein - mit dem Unterschied, dass wir eine zweijährige Ausbildung für Kreative gratis anbieten wollen. Wir suchen gerade ein Gebäude. Klar hat das etwas von Ankündigungsjournalismus, aber jetzt haben wir auch den Druck.
W&V: Den internen Wettbewerb halten Sie in ungeraden - und damit wettbewerbsfreien - Jahren per Inhouse-Kreativaward aufrecht. Warum?
Matt: Axel Springer hat einen vielbeachteten Journalistenpreis. So ähnlich wird das bei uns laufen. Wir werden eine internationale Top-Jury hierher einladen, Leute, die wir bei internationalen Award-Shows kennengelernt haben. Möglicherweise wird das der einzige Preis sein, bei dem das Siegerteam nicht nur einen Pokal, sondern auch einen Geldpreis oder eine Fortbildungsreise gewinnt. Werden wir frühestens nächsten Herbst sehen.