Gregor Ade:
In fünf Schritten zum Cannes-Löwen 2016
Deutsche Kreative meckern gerne über Ranglisten, aber haben zuvor ihre Hausaufgaben nicht gemacht. - das ist die Cannes-Bilanz von Gregor Ade. Doch für W&V Online gibt das Mitglied der diesjährigen Design-Jury den Agenturen jetzt Nachhilfe. In fünf Schritten zum Löwen.
Mit 74 Löwen kann sich die Cannes-Bilanz der Deutschen eigentlich sehen lassen. Doch Gregor Ade findet: Deutsche Kreative meckern gerne über Ranglisten, aber haben zuvor ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ade, aktuell noch Managing Partner der Peter Schmidt Group, saß in der Design-Jury der diesjährigen Cannes Lions. Für W&V Online gibt er den deutschen Agenturen jetzt Nachhilfe.
Man kennt es von den Olympischen Spielen: Nicht nur die Entscheidungen im Kampf um Gold, Silber oder Bronze elektrisieren, sondern auch das Abschneiden der deutschen Mannschaft im Medaillenspiegel: Ist hier Deutschland nicht sofort vorne dabei, wird analysiert, was schief gelaufen ist! Warum sollte es also bei den Werbern und Gestaltern in Cannes anders sein? Auch hier bilden wir kurioserweise "Nationen-Rankings" und fragen uns, ob Platz fünf nun gut oder schlecht ist. Ich finde: Statt Ranglisten zu deuten, sollten wir lieber unsere Hausaufgaben machen – und verinnerlichen, wie der Festivalbetrieb funktioniert.
In der Berichterstattung rund um Cannes habe ich zwei Vorurteile besonders häufig gelesen. Erstens: "Die Deutschen werden durch andere Länder abgedrängt!" Das habe ich weder in meiner Jury so erlebt, noch aus anderen Jurys gehört. Die Beiträge aus anderen Ländern sind einfach verdammt gut! Zweites Vorurteil: „Die Networks gewinnen und schieben sich gegenseitig die Preise zu!“ Auch das ist Quatsch. Dass viele Arbeiten aus Netzwerk-Agenturen vorne liegen, liegt vor allem daran, dass diese die Award-Aufbereitung in hohem Maße professionalisiert haben. Hier werden schon lange im Voraus die besten Arbeiten aus den eigenen Reihen gesammelt und gezielt für die Einreichung bei den Cannes Lions geschliffen. Das zahlt sich dann eben auch aus.
Wenn die Cannes Lions zudem eines nicht sind, dann eine Kungelrunde. Vielmehr sind sie schlicht und ergreifend das größte Kreativfestival der Welt. Und "groß" bedeutet: Wer in der Masse auffallen will, muss sich gehörig anstrengen. Um den Jury-Alltag etwas anschaulicher zu machen: Morgens um neun geht die Tür zum Konferenzraum auf, drinnen warten Hunderte Arbeiten und die Ansage: "Die müssen wir heute alle schaffen – denn morgen früh kommt der nächste Schwung." Abends um acht hat man immerhin schon den Großteil der Masse bewältigt und hangelt sich zäh in die Nacht, während draußen die Branche Rosé trinkt. Kurzum: Man hat wenig Zeit. Und noch weniger Lust darauf, diese Zeit mit Geschacher und politischem Klein-Klein zu füllen. Auch den Mythos, dass die Jury hinter verschlossenen Türen mauschelt, darf man getrost begraben: Neben den Juroren sitzen immer auch zwei Beobachter des Veranstalters im Raum und achten mit Argusaugen auf faire Diskussionen. Ich habe es erlebt, dass man zu fortgeschrittener Stunde versucht ist, offenkundig schlechte Arbeiten allzu schnell beiseite zu legen – in diesem Moment sind die Veranstalter eingeschritten. Motto: "Jede Arbeit hat es verdient, diskutiert zu werden!" Man ist somit fokussiert darauf, möglichst effektiv die Spreu vom Weizen zu trennen. Da freut einen jede Arbeit, die so gut aufbereitet ist, dass ihre Aussage sofort erfassbar ist.
Was folgt daraus? Fünf Schritte die Agentur beachten sollte, wenn sie bei den Cannes Lions erfolgreich sein will.
1. Keep it simple!
Viele Arbeiten erzählen zu viel. Ich habe Case-Beschreibungen gesehen, die sich in Fachtermini verlieren und schlichtweg versäumen, den Punkt zu machen. Oder Case-Filme, bei denen Kollegen gesagt haben: "Den kenn' ich, da tut sich in der ersten Minute nichts." Die ganze Problematik multipliziert sich zudem dadurch, dass die Einreichungen in Englisch erfolgen - nicht die Muttersprache vieler Juroren. Bei "Designsprech in Oxford English" steigen daher viele Jury-Mitglieder aus. Agenturen sollten bei den Beschreibungstexten daher darauf achten, allgemein verständliche Begriffe und kurze Sätze zu verwenden.
Neben der Sprache gibt es zudem auch inhaltliche Hürden: Arbeiten wie "Hacking Richter" oder ganz besonders die "Lichtgrenze" in Berlin berühren uns Deutsche emotional. Juroren, die keinen emotionalen Bezug zu deutscher Kultur und Geschichte haben, lässt das vergleichsweise kalt. Dieser Herausforderung muss man sich bewusst sein.
2. Verbessert die Welt!
Auch in den Design-Kategorien punkten Arbeiten, die scheinbar die Welt verbessern. Dieser Entwicklung kann man kritisch gegenüberstehen. Man muss aber dennoch akzeptieren, dass sich mit diesem wesentlichen Kriterium ist in einer Vielzahl sehr guter Arbeiten differenzieren lässt. Es gibt in Cannes einfach eine enorme Masse an fantastischem Design – daher reicht "gut aussehen" alleine nicht aus: Wenn eine Jury die Wahl hat zwischen einem gut gemachten Design-Stück und einem ebenso guten Design-Stück mit sozialer Aussage, dann wird letzteres wesentlich eher einen Preis gewinnen. Ein klassischer Corporate-Design-Case oder ein reales Packaging für den Massenmarkt, so wie wir es im Alltag entwickeln, hat in Cannes hingegen nur geringe Chancen. So läuft das Business und man muss sich als Agentur darauf einstellen – aber das heißt nicht, dass man als Juror nicht auch versuchen sollte, das zu ändern. Ich habe zum Beispiel für den globalen Font "Intel Clear" gekämpft. Eine tolle typografische Arbeit, die natürlich auf der Pappe nüchterner wirkt als ein kambodschanischer Eisenfisch.
Verbessert etwa die Welt - der "Proud Whopper" von Burger King, für den die Kreativagentur David einen Grand Prix gewann:
3. Lernt von Japan!
Im Design gilt: Wer einen Löwen haben will, muss erst einmal an den japanischen Arbeiten vorbeikommen. Und das wird schwer, denn in Sachen Ausarbeitung setzen sie einen Maßstab, der schwer zu toppen ist: Unfassbar detaillierte Cases, liebevoll gestaltete Plakate und der unfaire Vorteil, dass die Typografie jeden Nicht-Asiaten alleine schon wegen ihrer Schriftzeichen in irrationale Begeisterung versetzt. "Volvo Life Paint" hat jedoch gezeigt, wie man dennoch den Grand Prix gewinnen kann: Zur Arbeit gehört schließlich nicht nur das Produkt an sich. Sondern auch dessen konzeptionelle und grafische Inszenierung mit Plakaten, dem Shop, sämtlichen Materialien und natürlich auch einem perfekt umgesetzten Case-Film sowie Präsentations-Pappen, die sofort auf den Punkt kommen. Bestes Beispiel ist etwa "Get back, Tohoku" von Dentsu.
4. Engagiert professionelle Sprecher!
In den Design-Kategorien wird in der Regel das reale Objekt bewertet – trotzdem sind Präsentationspappe und Case-Film ungemein wichtig, um die Juroren emotional abzuholen und gezielt auf das eine wesentliche Alleinstellungsmerkmal der Arbeit zu stoßen. Man könnte meinen, dies seien Basics bei Award-Einreichungen, aber weit gefehlt: Viele Arbeiten sind lieblos aufbereitet und schaffen es nicht, ihre Story zu erzählen. Was Juroren erwarten? Die Präsentations-Pappen brauchen ein, zwei gute, helle Fotos und einen kurzen englischen Text. Fertig. Der Case-Film wiederum muss die Relevanz des Projektes transportieren, statt nur Aufgabe und Lösung zu erläutern. Er darf dramatisieren, Emotionen wecken und sogar die unvermeidlichen Erfolgszahlen am Ende erwartet man irgendwie. Nur bitte: Das endlose Durchblättern von Tweets und Statusmeldungen will wirklich keiner mehr sehen! Was mir außerdem auffiel: Case-Filme aus dem englischsprachigen Raum hatten in der Regel die deutlich besseren Sprecher. Sicherlich ein klarer Fall von "Heimvorteil" – aber umso mehr lohnt es sich für deutsche Agenturen, Geld für einen professionellen "Native Speaker" in die Hand zu nehmen. Ich bin ziemlich sicher: Die Lichtgrenze hätte noch besser abschneiden können, hätte man nicht einen Case-Film ohne Sprecher eingereicht. Als Deutscher mag man sich an der stillen Poesie des Moments erfreuen, alle anderen bleiben in Ratlosigkeit zurück.
Ein Case-Film, der es auf den Punkt bringt - "Shoemoji" von BBDO New York.
Foot Locker: Shoemoji from CB-H on Vimeo.
5. Ab ins Trainingslager!
Um noch einmal die Analogie zu den Olympischen Spielen zu bemühen: Niemand kommt auf die Idee, dass es erfolgversprechend sein könnte, zwei Wochen vor Anmeldeschluss die Athleten auszuwählen, die das Land repräsentieren sollen. Stattdessen gibt es ein mehrjähriges, intensives Förder- und Auswahlverfahren mit dem Ziel, zum entscheidenden Zeitpunkt topfit zu sein. In Cannes läuft es nicht anders: Erfolg haben diejenigen Agenturen, die schon zu Beginn des jeweiligen Cases alle Kriterien abprüfen, die für den späteren Wettbewerb relevant sind. Die großen Networks sind hier einfach unfassbar gut aufgestellt. Sie machen eigene interne Auswahlprozesse und sammeln über ihre Agenturen die besten Ideen, die dann ein Jahr lang auf den Wettbewerb hin optimiert werden.
Das beste Beispiel ist auch hier "Volvo Life Paint": Eigentlich ist es eine kleine silberne Spraydose, die nur in einem einzigen Pop-up Store in London verteilt wurde. Aber daraus wurde ein Top-Case, der die Welt "ein bisschen besser macht".
Mein Fazit:
Zweifelsohne kommt aus Deutschland viel gutes Design, aber das heißt noch lange nicht, dass dieses auch zwingend in Cannes erfolgreich ist. Agenturen müssen sich entscheiden, wie wichtig ihnen das Award Business und die damit verbundene Aufmerksamkeit ist – wenn sie mitspielen wollen, müssen sie ihre internen Prozesse professionalisieren und schon während des Projektes die Einreichungschancen im Blick behalten. Und das Wichtigste: Sie müssen jetzt sofort damit beginnen, um im kommenden Jahr einen aussichtsreichen Case einreichen zu können. Dann klappt es für Deutschland vielleicht auch mit einem Platz unter den Top 3.