Katastrophen-Journalismus:
Germanwings-Crash und der Co-Pilot: Medien fleddern Unglücksflug
Nach Bekanntgabe der Hintergründe zum Absturz der Germanwings-Maschine fallen Medien über das Leben und Angehörige des Co-Piloten her - allen voran Springers "Bild".
Viele haben wohl damit gerechnet: Wenige Stunden nach Bekanntgabe der möglichen Hintergründe zum Absturz der Germanwings-Maschine fallen Medien über das Leben und Angehörige des Co-Piloten her, der den Sinkflug und den Crash in den französischen Alpen mit 150 Opfern herbeigeführt haben soll. Und: Es dauerte nicht lange, bis sein voller Name und erste Bilder des jungen Flugkapitäns auftauchten – allen voran bei Springers "Bild".
Am Freitagmorgen macht das Boulevardblatt sogar mit einem ganzseitigen Foto des Germanwings-Mitarbeiters auf der Titelseite auf – bei voller Namensnennung und mit Angabe vieler privater Details. Paid Content makaber: Wer bei Bild.de in die "geheime Krankenakte" des jungen Mannes blicken möchte, muss die kostenpflichtige Bild-Plus-Hürde überwinden. W&V Online verzichtet an dieser Stelle auf eine Abbildung der "Bild"-Titelseite.
Die Empörung im Netz ist groß, auch weil in einer Art Domino-Effekt andere Titel bereits mitziehen - darunter auch Qualitätsmedien:
Kollektive verachtung der @BILD gegenüber bitte in 3, 2, 1 Go. Danke #copilot #Germanwings #U49525
— Leon (@l_for_leon) March 27, 2015
@BILD ist Heute wieder sehr pietätlos. Zeigt Name und unzensiertes Foto von Copilot,... #Germanwings
— David Niederer (@DavidNiederer) March 27, 2015
DerWesten hetzt erst gegen die Bild, macht es selbst aber keinen Hauch besser, sondern veröffentlicht den selben Mist. #CoPilot
— Janekrich (@Janekrich) March 27, 2015
die @Bild bezeichnet den Copilot als Amok-Pilot, mit Bild! Weiß das Blatt eigentlich, was sie damit den Angehörigen antun? #A320 #U49525
— MaxMeyer Fußballgott (@Hordark04) March 26, 2015
Andere, wie etwa "Stern" oder "Spiegel", halten sich eher zurück. Sie ergehen sich zwar in vielen Details über den Co-Piloten, lassen aber die volle Namensnennung und/oder die Abbildung sein. Aber dennoch wollen auch sie Kapital schlagen aus den Ereignissen - so bringt der "Stern" nach dem Absturz der Germanwings-Maschine eine aktualisierte Ausgabe an die Kioske. Das Heft, das am Samstag ausgeliefert werde, berichte unter dem Titel "Der Todesflug: Rekonstruktion einer Tragödie" auf 45 Seiten über den Absturz in Frankreich, heißt es.
Wenn sich Medien beim Kampf um die reißerischste Headline und das erste Foto überschlagen, passieren besonders viele Fehler - wie etwa das Abbilden des falschen Betroffenen, der den gleichen Namen trägt. Welche Folgen das Fleddern von Opfern und Tätern in den Medien bei Angehörigen, Freunden und den betroffenen Gemeinden haben kann, hat W&V-Chefredakteur Jochen Kalka vor einigen Jahren am eigenen Leib erfahren. Sein Heimatort Winnenden wurde nach dem Amoklauf eines Schülers von RTL, "Bild" und Konsorten belagert.
Alle Medien über einen Kamm zu scheren – das würde hier zu weit führen. Das ZDF etwa nimmt die Satiresendung "heute-show" wegen der Entwicklung rund um den Absturz der Germanwings-Maschine aus dem Freitagabendprogramm. Darauf hätten sich Moderator Oliver Welke und der Sender verständigt, heißt es. "Die heute-show ist ein Wochenrückblick. Und auf diese Woche satirisch zurückzublicken, ist unserer Meinung nach nicht angebracht", so Welke. Auch auf die Wiederholung der "heute-show" von vergangener Woche im Sender ZDFneo am Donnerstagabend wird verzichtet. Aus den gleichen Gründen werde auch Jan Böhmermanns "Neo Magazin Royale" am Freitagabend im ZDF und am Donnerstagabend in ZDFneo nicht ausgestrahlt. Einige Sender üben inzwischen Selbstkritik.
Der Deutsche Presserat hat bereits vor Bekanntgabe weiterer Details über die Absturzursache die Medien aufgerufen, bei ihren Berichten Respekt vor den Opfern und ihrer Angehörigen zu wahren. Der Schutz der Persönlichkeit habe dabei Vorrang. Schon am Mittwoch - einen Tag nach der Katastrophe - hätten den Presserat dazu Beschwerden erreicht. "Die Medien müssen selbstverständlich darüber informieren. Der Opferschutz hat jedoch Vorrang", erklärte die Vorsitzende des Beschwerdeausschusses zwei des Presserats, Katrin Saft. Immer wieder habe der Presserat die von Betroffenen oder Hinterbliebenen ungenehmigte Veröffentlichung von Opferfotos beanstandet, so das Gremium weiter. Aus Anlass des Germanwings-Absturzes hat der Presserat die Richtlinien des Pressekodexes für eine identifizierende Berichterstattung erläutert. Gemäß Ziffer 8 müsse bei einer identifizierenden Berichterstattung das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen. Bloßes Sensationinteresse rechtfertige dies nicht. Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte, das Leid der Angehörigen zu achten. Journalisten dürften Trauernde nicht bedrängen, so der DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Viele Mediennutzer wünschen sich das auch.