Digitale Furchen

Viel tiefere Furchen gräbt die Digitalisierung in die Strukturen des Handels. Da ist nichts, wie es war. Der Verbraucher kauft online: Reisen, Hotels, Lebensmittel und Waschmaschinen - nachdem er sich dank Google ausführlich über den Markt und die Preise informiert hat.

Und wer sich dennoch einmal im stationären Handel verirrt, zeigt bei Saturn den günstigsten Online-Preis - und bekommt ihn. Daran werden die Hersteller-Marken auf Dauer keine Freude haben. Mit Ausnahme von Miele, die an ihrer Marke und Festpreisen festhalten wie der Fels in der Brandung. Alle anderen kippen disruptiv um. Weil sie völlig vergessen haben, sich wie Marken zu benehmen. Dafür müssen sie nun einen hohen Preis zahlen. Womöglich den des Aussterbens.

Warum der "Wandel im Handel" Auswirkungen auf die FMCG-Marken hat, sehen wir am allabendlichen TV-Werbeblock. Spätestens ab der Prime Time übernehmen die digitalen Marken das Ruder. Da findet sich zwar noch ein vereinzelter Müller-, Bitburger-, Dallmayr-, Nutella- oder Nespresso-Spot, doch der Löwenanteil des Werbeblocks gehört längst Check24, Parship & Co. mitsamt den unzähligen anderen Portalen.

Verheerend daran ist, dass die Marken dadurch immer weniger Präsenz zeigen. Noch verheerender ist, dass die werbenden Online-Portale sich nicht einmal die Mühe geben, wie Marken aufzutreten. Ihre Namen sind völlig austauschbar und kaum merkfähig. Was nicht weiter stört, weil sie ohnehin bald von anderen mit noch skurrileren Namen abgelöst werden. Ihr wirklicher Name heißt nämlich "exit strategy".

Sie sind schon deshalb keine Marken, weil sie nicht die geringste Differenzierung aufweisen und auf jedes Markenversprechen verzichten. Ausnahme: "Alle elf Minuten verliebt sich ein Single auf Parship." Nur dieser arme Single (so witzelt das Netz) - der kann einem schon irgendwie leidtun…

Oder sie machen es wie Ashley Madison und Lovoo und hintergehen ihre Kunden nach Strich und Faden. Der Verbraucher gewöhnt sich derweil daran, dass auf die neuen "Marken" wenig Verlass ist. Sie kommen und sie gehen. Sie sind - anders als Persil und Nivea - nicht für die Ewigkeit gemacht. Die üblich gewordene, digitale Marken-Betrügerei dürfte allerdings auf das Vertrauen in die herkömmlichen Marken abfärben.

Jetzt wird’s scary

Das war aber nur Teil 1 des Marken-Dramas. In Teil 2 wird es erst richtig scary. Denn dort geht es um Werbung. Und um Media.

Gabriele Fischer hat in ihrem "Brandeins"-Editorial im März an die zwei wichtigsten Marketing-Fragen erinnert: "Wem nützt es? Und wie erfährt er davon?" Und es sind… Media-Fragen! Wer ist die Zielgruppe? Und wie kann man sie erreichen?

Marken im modernen Sinne gibt es erst, seitdem es Werbung gibt. Ihre Existenz ist unmittelbar mit der Werbung verbunden. Kommunikation verschafft ihnen, ihrer Positionierung und ihrer Differenzierung die Öffentlichkeit, die sie zum Überleben brauchen. Wenn niemand weiß, dass BMW und Mercedes tolle Autos bauen, mit denen man bei Kollegen krass angeben und in der Nachbarschaft satt punkten kann, können wir ebenso gut einen Kia oder Dacia kaufen. Oder demnächst einen Google.

Doch nichts schmiert gerade mehr ab als die Wirkung der Werbung. Das gilt zwar vornehmlich für die digitale Display-Reklame, aber seitdem wir das Geld für Online-Werbung ausschließlich aus Print abziehen, schwächen wir das letzte Medium, das noch für den Aufbau von Markenwerten gut war. Weil viele Mediaplaner heute nicht imstande sind, die Funktionen von Medien zu reflektieren - und einzusetzen.

Und passend zum relativ schwachen Auftritt der TV-Vermarkter beim diesjährigen Screenforce Day gehen die Reichweiten des anderen, markenbildenden Mediums Fernsehen zurück. Nur um 2 Prozent. Auf Kampagnen-Ebene aber auch gut und gerne mehr.

Zum Davonlaufen

Darauf haben die Agenturen eine womöglich völlig falsche Antwort. Sie investieren zusätzliche Gelder in Youtube und Facebook, weil sie dort ihre Bewegtbilder ausspielen können. Und weil sie dort die jungen Zuschauer identifiziert haben, die sich angeblich vom analogen TV verabschieden. Doch Dreiviertel der jungen Nutzer fühlen sich dort dermaßen von Werbung genervt, dass die Hälfte sagen, sie schränken ihre Facebook-Nutzung bereits ein: Wegen der Werbung. Bravo!

Die Werbung schafft es also erstmals in ihrer Geschichte, die Menschen aus Medien zu vertreiben. Weil sie es können. Weil sie online der Werbung via Adblocker entgehen können. Die Marken graben sich mit störender, nerviger, stalkender, Inhalte-überdeckender Werbung ihr eigenes Grab. Sie haben es wahrlich nicht anders verdient.

By the way: Von der Stunde, die wir täglich im Netz werblich erreichbar sind, entfallen höchstens zwei oder drei Minuten auf Werbung. Nicht mehr und nicht weniger. Aber es erklärt einiges…

Und was machen die Medien, auf deren Kraft die Werbungtreibenden bauen? Statt sich zu differenzieren, wie sich das für Marken gehört, statt ihre uniquen Vorteile zu vermarkten (z.B. Print), statt sich fit zu machen für die lt. ZAW immer weiter sinkenden Werbegelder - schlagen sie nur noch wild um sich und dreschen gegenseitig aufeinander ein. Nein, auf die Medien ist auch kein Verlass mehr.

Was also tun? Der Markenwert ist das größte Asset, das die Unternehmen besitzen. Das wissen alle - außer den Vorständen. Die Juristen, Controller und Procurement Manager in den Führungsetagen lassen ihre Marken im Stich. Von einer "Sinnstiftung" oder "Haltung" der Marken, wie es schlaue Leute fordern, keine Spur.

Die Apokalypse kann kommen

Man müsste Marketing aufrüsten und fit machen für die Herausforderungen der Zukunft. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Marketingabteilungen waren noch nie so schwach besetzt und mit so geringer Verantwortung ausgestattet wie heute.

Man müsste die Mediaagenturen mit kompetentem Personal ausstatten, um sie wettbewerbsfähig gegen Google, Facebook, McKinsey, SAP & Co. zu machen. Stattdessen arbeiten dort (so neulich ein Kunde) "minderbemittelte und unerfahrene Mädels die Excel-Charts ab".

So wird das nichts mit den Marken. In einem solch apokalyptischen Umfeld können sie nur verlieren. Das ist also (frei nach Sergio Zyman) "The End Of Marketing As We Know It". Ich sehe im Augenblick zwar kein unmittelbares Aussterben der Marken, von denen sich unsere ganze Branche ernährt, aber ich sehe ziemlich dunkle Wolken am Marken-Horizont.

Die Disruption hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Schade eigentlich. Ich fand Marken immer gut…


Thomas Koch  Foto: Clap Bruchhaus&Ingenweyen
Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.