
Flipboard: das neue Twitter-Gefühl
Das Magazin "Flipboard“ hat alles, worauf die Medienwelt offenbar gewartet hat: Es ist dank sozialer Netze personalisiert – und läuft auf dem iPad. Ein Essay von Daniel Kreuscher.
So viel Wirbel um eine Applikation für das – zugegeben noch junge – iPad gab es nie. Breite Medienberichterstattung, Begeisterung bei Web-Influencern und unter der Nachfrage zusammenbrechende Server: Mit "Flipboard" hat das iPad seinen ersten Superstar. Zu Recht. Versuche, aus sozialen Netzwerken personalisierte Medienangebote zusammenzustellen, gab es zwar bereits. Sowohl Usability als auch Design von "Flipboard" lassen den Nutzer seine Netzwerke aber auf eine ganz neue Weise erleben.
Das fängt bei der intuitiven und schnellen Einrichtung an. Die App besteht im Wesentlichen aus einem Inhaltsverzeichnis mit neun übersichtlich angeordneten Icons, hinter denen sich jeweils ein Channel verbirgt. Neben dem eigenen Facebook- und Twitter-Kanal bietet "Flipboard" sieben weitere thematisch differenzierte Twitter-Listen, die unkompliziert individualisiert werden können. Die Einrichtung ist kinderleicht: Channel antippen, Zugangsdaten eingeben, loslegen. Öffnet man dann beispielsweise den Facebook-Account, zeigt sich das soziale Netzwerk in neuem Glanz: abwechslungsreich layoutete Postings, mehrspaltig dargestellt, als angeteaserte Artikel inklusive Bilder, direkt abspielbare Videos oder großformatige Fotoserien neben schlichten Statusmeldungen. Das alles hat wenig mit dem bekannten Look & Feel von Facebook und Twitter zu tun. Man hält – da verspricht "Flipboard" nicht zu viel – tatsächlich sein ganz persönliches Magazin in den Händen, gestaltet von Freunden und klassischer Offline-Navigation folgend: Es lässt sich bequem und schnell in den "Flipboard"-Seiten hin und her blättern. Ein Touch auf ein Posting öffnet dieses ganzseitig – inklusive Kommentarfeld, der Möglichkeit, die Inhalte zu teilen, und einem Link zur Originalquelle. Das alles kommt sehr elegant daher, lässt sich wunderbar einfach bedienen und lädt ein zum Stöbern, zum Lesen, zum Schauen und Berühren. Freundesklatsch im Stile eines Hochglanzmagazins: Das gab es so bisher noch nicht. Wundervoll für den User.
Aber kann die Kommunikationsbranche von dem Hype profitieren? Ich denke schon. "Flipboard" verändert die Art, in der wir die durch Facebook und Twitter verbreiteten Inhalte wahrnehmen und konsumieren. Natürlich macht es die Inhalte nicht besser oder interessanter, es stellt sie nur ansprechender dar. Voraussetzung für gelungene Kommunikation bleiben weiterhin Inhalte, die von Interesse sind. Und: It’s mainly about Twitter. Bislang lassen sich neben eigenem Facebook- und Twitter-Account lediglich weitere Twitter-User oder -Listen in "Flipboard" einbinden. Aber: An die Stelle durchrauschender Tweets treten sinnlich ansprechende multimediale Inhalte. Das Auflösen getwitterter Links in ein magazinartiges Angebot vermittelt einen unmittelbaren Eindruck von den kommunizierten Inhalten. Der Anreiz für den Nutzer, sich diesen tatsächlich zu widmen, steigt dadurch deutlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikatoren mit ihren Botschaften zum Empfänger durchdringen, wächst somit.
Für die PR ist das gleichermaßen Chance wie Herausforderung. Denn die optimale Nutzung von "Flipboard" erfordert einen anderen Umgang mit Twitter als bisher. Hashtags und kurze Statements verlieren an Bedeutung. Gefragt sind zunehmend multimediale Inhalte. Die Nutzung von Twitter allein greift zu kurz, vielmehr müssen nachgelagerte Web-Angebote stärker integriert werden. Vor allem Corporate Blogging unter Einbindung hochauflösender Fotos und Videos kann via Twitter auf "Flipboard" beeindruckende Ergebnisse liefern. Der Corporate-Twitter-Account kann so zum umfassenden CP-Tool werden, zum Unternehmensmagazin, das abonniert wird und keine Produktionskosten verursacht. Denn: Für "Flipboard" müssen im Prinzip keine neuen Inhalte erschaffen, sondern vorhandene lediglich in Twitter eingebunden werden. Den Rest erledigt "Flipboard".
Da sich die Applikation über Anzeigen finanzieren will, wird "Flipboard" in Zukunft auch für Werbetreibende interessant. Wie die Werbung dann integriert wird und wie zielgruppengenau dies gelöst werden kann, ist noch unklar. Noch mehr als bei anderen iPad-Publikationen wird es bei "Flipboard" darauf ankommen, die Werbeformen den technischen Möglichkeiten von Apples Tablet-PC anzupassen, um eine optimale Intergation in das Angebot zu erzielen. Erste Bedenken zur Werbefinanzierung von "Flipboard" kamen hierzulande zwar bereits vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der hinsichtlich der kostenfreien Integration anzeigenfinanzierter Online-Angebote in ein fremdes Werbeumfeld Fragen des Urheberrechts und des Leistungsrechtsschutzes aufwarf. Anja Pasquay, Pressereferentin des BDZV, relativierte diese Sorge gegenüber der dpa aber und wies auf die positive Wirkung von "Flipboard" auf die Zugriffszahlen der Online-Angebote hin. Da die angeteaserten (Text-)Inhalte auf die Oringinalquellen und damit in das originäre Werbeumfeld weitergeleitet werden, könnte sich "Flipboard" auch für die Anbieter werbefinanzierter redaktioneller Inhalte als nützlich erweisen.
"Flipboard" hat also durchaus das Potenzial, der Kommunikation von Unternehmen mit ihren Zielgruppen dienlich zu sein – sofern sich jene auf die Möglichkeiten, die ihnen die Applikation bietet, einstellen. Der Wert von "Flipboard" für PR und Werbung wird nicht zuletzt davon abhängen, wie viele Menschen die Applikation nutzen. Noch befindet sich "Flipboard" in einer Art Beta-Phase. In welche Richtung die App weiterentwickelt wird, steht noch in den Sternen. Momentan hat nur der kleine Kreis der iPad-Besitzer Zugriff auf "Flipboard". Eine iPhone-Version ist geplant und auch andere Smartphones oder Tablet PCs könnten folgen. Auch eine Erweiterung der Abonnenemtmöglichkeiten ist bereits in der Diskussion. Hier wurde von Nutzerseiten vor allem der Ruf nach der Integration einer größeren Zahl an Channels sowie die Implementierung von RSS-Feeds laut.
Autor: Daniel Kreuscher, Zucker Kommunikation, Berlin