
Miethge/Marsch:
Fesseln mit personalisiertem Web-TV: Do Not Track
Welche Daten per Tracking über die Nutzer gesammelt werden, stellen Christiane Miethge und Sandra Marsch in einer interaktiven Web-Doku dar. Was hinter dem Konzept steckt, erzählen sie bei W&V.

Foto: BR
Streaming statt linear Fernsehen ist nur ein erster Schritt. Einen weiteren gehen Sandra Marsch und Christiane Miethge* vom Bayerischen Rundfunk (BR). Sie fesseln den Nutzer mit einer interaktiven Dokumentation. "Do Not Track" ist eine personalisierte Web-Doku-Reihe über das weltweite Geschäft mit unseren Daten: Sieben interaktive Folgen, die vom 14. April bis 9. Juni jeweils im Abstand von zwei Wochen Online veröffentlicht werden. Was hinter dem Konzept steckt, wie es zu Stande kam und wieso die Personaliserung so wichtig ist, verraten Marsch und Miethge hier.
Do Not Track** – meine Daten gehören mir
Geschichten erzählen, ohne den Nutzer bei seinen persönlichen Bedürfnissen zu packen, kann man heute vergessen. Zu groß ist die Verführung, einfach woanders weiterzuklicken. Deshalb setzt "Do Not Track" auf das, was auch Google so erfolgreich gemacht hat: Personalisierung. Der Nutzer soll anhand seiner eigenen Daten verstehen, wer ihn im Internet überwacht und was das für Folgen haben kann. Die Überwachungsindustrie mit den eigenen Methoden sichtbar machen – gemeinsam mit dem Nutzer die Tracker tracken, darum geht es bei "Do Not Track".
Schon Ende 2012 hatte Regisseur Brett Gaylor die Idee zu einer personalisierten Web-Doku über Online-Tracking. Sie wurde mit der Unterstützung der interaktiven Produktionsfirma Upian weiterentwickelt. Dann ging es schnell. Fernsehsender kamen dazu – Arte, das Nationale Filmboard (NFB), der Bayerische Rundfunk (BR). Sie holten Journalisten aus ihren jeweiligen Ländern zum Projekt. Innerhalb eines halben Jahres erschuf das internationale Team in drei Sprachen über drei Zeitzonen hinweg sieben interaktive Episoden. Keine leichte Aufgabe. Chaos war vorprogrammiert – gleichzeitig aber auch eine Explosion der Kreativität.
Die Zielgruppe? Prinzipiell alle, die online sind – denn alle Internet-Nutzer geht Tracking etwas an. Wichtig war uns, eben nicht nur die Nerds zu erreichen, sondern auch die ganz gewöhnlichen Surfer. Sie sollen verstehen können, wie im Verborgenen mit intimen Details aus ihrem Leben Milliarden verdient werden. Sie sollen die Kontrolle zurückbekommen, selbst mitentscheiden können, was mit ihren Daten geschieht. All das aber nicht nach dem Vorbild eines Computer-Handbuchs, sondern lustig, unterhaltsam und mit Augenzwinkern. In vielen Episoden sind daher auch Gifs eingebunden – was wäre das Internet ohne sie. Auch hier eine Explosion der unterschiedlichen Bildmotive - das Cookie-Monster neben rauchenden Herren im Anzug und Katzenfotos. Natürlich niemals die Gleichen - je nach Aufenthaltsort, Sprache und Vorlieben wird der Nutzer einen anderen Film sehen. Denn wie gesagt: Warum allen das gleiche erzählen, wenn man den Nutzer auch da abholen kann, wo er sowieso gerade ist.
* Über die Autorinnen: Sandra Marsch ist Social Media Managerin beim BR und fungiert bei "Do Not Track" als Projektleiterin und Conversation Master. Christiane Miethge ist Projektleiterin und Autorin bei "Do Not Track".
** Über Do Not Track: "Und Sie, wo holen Sie sich Ihre Nachrichten?" Mit dieser harmlosen Frage startet die erste Folge von Do Not Track und holt den Nutzer dort ab, wo er vor fünf Minuten wahrscheinlich eh war. Beim täglichen Surfen im Netz. Jetzt kann er seine Lieblings-Nachrichtenseite eingeben und sieht, wie unzählige Tracker ihn gerade in diesem Augenblick überwachen. Er kann live miterleben, wie die Tracker sich untereinander austauschen, und lernt, wie sie ihr Wissen über ihn zu umfangreichen Persönlichkeitsprofilen verdichten und damit Milliarden verdienen. In einer späteren Folge kann er dann sogar selbst in die Rolle eines solchen Datenhändlers schlüpfen und mit seinen eigenen Daten spielen; er kann Korrelationen herstellen, sehen, wie schon mit wenigen Datenpunkten IQ, Charaktereigenschaften, politische und religiöse Einstellungen errechnet werden können. Von Überwachung auf Mobiltelefonen bis Big Data – jede der interaktiven Episoden hat einen anderen Fokus, eine andere Bildsprache, andere interaktive Überraschungen mit einer Gemeinsamkeit: Sie sind auf den Nutzer abgestimmt.
Ein Beispiel – Episode drei, Thema: Soziale Netze. Daran arbeitete der Programmierer und Medienkünstler Owen Mundy aus Florida in den USA, der Blogger und Journalist Richard Gutjahr aus München und Tel Aviv; der Internetaktivist und Rechercheur Wolfie Christl aus Wien; Regisseur Brett Gaylor aus Victoria in Kanada, die Produktionsfirma Upian aus Paris – und der BR aus München. Das Ergebnis: Die fiktive Firma Illuminus bietet dem Nutzer an, sein Facebook-Profil auszuwerten. Sie berechnet anhand von Wahrscheinlichkeiten seine Charaktereigenschaften - aber auch, ob er der Typ Mensch ist, der wahrscheinlich einen Kredit zurückzahlen kann. Alles basierend auf wissenschaftlichen Studien des Psychometrischen Zentrums der Universität Cambridge.